Bestseller „Geflochtenes Süßgras“: Die Welt ist noch zu retten
Robin Wall Kimmerer zeigt in ihrem Buch, wie indigenes Wissen und Naturwissenschaft eine Symbiose eingehen können.
Die US-amerikanische Botanikerin und Ökologin Robin Wall Kimmerer hat, wie so viele ihrer Landsleute, äußerst vielfältige Wurzeln, die in ihrem Fall teilweise bis nach Europa, vor allem aber weit in die Geschichte ihres Landes zurückreichen. Wall Kimmerer gehört der indigenen Nation der Potawatomi an.
Zum Thema ihres Buches „Geflochtenes Süßgras“, das auf außergewöhnlich ganzheitliche Weise das Verhältnis von Mensch und Natur reflektiert, gehört auch ihre eigene Lebenssituation als im positivistisch-naturwissenschaftlichen Geist gebildete Akademikerin, die im Laufe ihres Erwachsenenlebens Wege gefunden hat, das kategorisierende Denken der Wissenschaft und das auf Erfahrung und Naturbeobachtung basierende, überlieferte indigene Wissen miteinander zu verbinden.
Robin Wall Kimmerer: „Geflochtenes Süßgras“. Aus dem Englischen von Elsbeth Ranke unter Mitarbeit von Wolfram Ströle und Friedrich Pflüger. Aufbau Verlag, Berlin 2021, 461 S., 24 Euro
Das geflochtene Süßgras aus dem Buchtitel ist eine zentrale Metapher sowie ein wichtiges Praxisbeispiel für gelungenes Zusammenleben, vielleicht könnte man es sogar „Symbiose“ nennen, von Mensch und Flora.
Das wildwachsende Süßgras von Nordamerika (verwandt mit in Europa bekannten Getreidearten), ein einst von indigenen Gemeinschaften auf sehr vielfältige Weise genutzter Rohstoff, ist in seinen Beständen dramatisch zurückgegangen. Wall Kimmerer berichtet von Forschungsarbeiten, die eindeutig belegt haben, dass dieser Rückgang jedoch keinesfalls auf übermäßige Ausbeutung der Bestände zurückzuführen ist, sondern im Gegenteil darauf, dass aus den bestehenden Flächen immer weniger entnommen wurde.
Prinzip der Nachhaltigkeit
Die gesündesten und üppigsten Süßgrasflächen finden sich in der Nähe von Siedlungen, deren BewohnerInnen weiterhin Süßgras ernten und verarbeiten. Erst die Ernte ermöglicht es den Pflanzen, sich zu erneuern; wo nicht geerntet wird, überaltern die Bestände und verschwinden mit der Zeit. Aber die Erneuerung kann natürlich nur dann gelingen, wenn lediglich ein gewisser Anteil der Pflanzen entnommen wird; ebenso wie man ein Gewässer nicht leerfischen sollte, wenn man möchte, dass Jungfische nachwachsen.
Inwieweit kann das Prinzip dieser nachhaltigen „Ehrenhaften Ernte“, wie die indigenen Völker Amerikas sie über Jahrtausende praktizierten, allgemein wiederbelebt und auch auf andere Lebensbereiche übertragen werden? Wie schaffen wir es, in der heutigen Überflussgesellschaft wieder eine so enge Verbindung der Menschen zur übrigen lebenden Welt zu entwickeln, dass ressourcenschonendes Verhalten normal wird?
Solche Überlegungen stehen im Hintergrund sämtlicher Kapitel dieses vielseitigen Buches, in dem Wall Kimmerer auch aus ihrer beruflichen Praxis als Professorin für Botanik erzählt und sehr viele verschiedene Aspekte im Verhältnis von Mensch und Umwelt beleuchtet. Es ist eine reichhaltige, bunte Themen- und Geschichtensammlung.
Persönlicher Ton
Viele Kapitel gehen von persönlichen Erlebnissen der Autorin aus, angefangen auf ihrem eigenen Grundstück, auf dem es unter anderem mehrere große Ahornbäume sowie einen Teich gibt. Sie erläutert anschaulich, wie Ahornsirup gewonnen wird (eine sehr arbeitsreiche Angelegenheit), was der Unterschied zwischen einem eutrophen und einem oligotrophen Gewässer ist oder warum die traditionelle indigene Anbauweise der „drei Schwestern“ Mais, Bohne und Kürbis große Vorteile für die beteiligten Pflanzen hat.
Ein Kapitel handelt von einer Aha-Erlebnis-reichen Lehrexkursion mit Studierenden, bei der die einzelnen Bestandteile des Teichrohrkolbens in hingebungsvoller Handarbeit zu zahlreichen Gebrauchsgegenständen verarbeitet werden, ein anderes berichtet von den verheerenden ökologischen Folgen der Industriewirtschaft für den Onondaga Lake im Bundesstaat New York, aber auch von den Möglichkeiten der Renaturierung zerstörter Landschaften.
Manchmal gerät die Autorin etwas zu sehr ins Plaudern, und ein etwas strengeres Lektorat hätte sicher etliche Redundanzen beseitigen können. Aber egal; gerade der persönliche Ton, den Wall Kimmerer anschlägt, ist es, der inspiriert und mitreißt. Deutlich spürbar steht hinter ihrem Schreiben die Überzeugung, dass es möglich ist, diese Welt doch noch zu retten: Würde es dafür nicht schon ausreichen, wenn alle Menschen lernten, die anderen Lebewesen auf der Erde wieder wirklich wahrzunehmen und zu respektieren? Mehr würde es doch gar nicht brauchen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP