Besinnungsloser Aufsatz über Drogen: Feinkost für Käfer
Torsun, Sänger des Berliner Elektropunkduos Egotronic, hat mit „Raven wegen Deutschland“ einen kurzweiligen Roman über seine Drogenexperimente geschrieben.
Wer viele Drogen nimmt, braucht immer noch mehr. Getreu dieser Maxime, über deren Praxis Außenstehende nur staunen können, ist „Raven wegen Deutschland“ das durchgeknallteste Bekenntnis zum Hedonismus seit Langem. Ein besinnungsloser Aufsatz darüber, was alles mit der Psyche passiert, wenn sie auf Endlospartys in den Wahnsinn getrieben wird.
Geschrieben in einer Sprache, die auch Leser von „Bussi-Bär“-Comics nachvollziehen können. Protagonist der Geschichte ist Torsun alias Thorsten Burkhardt, arbeitslos, unglücklich verliebt, mit dem Duo Egotronic macht er schrottigen Electropunk.
Im Underground ist der 37-Jährige ein nicht ganz unumstrittener Held, der qua antideutsche Gesinnung links wie rechts aneckt, auf der Bühne durch seine Abgehhaltung viele Sympathien unpolitischer Popfans einheimst. Egotronic sind eine linksradikale Version von The Prodigy: Zu den Agitproptexten ihrer Chiptunes lässt sich auch pogen.
Torsun und Kulla: "Raven wegen Deutschland. Ein Doku-Roman". Ventil Verlag, Mainz 2011, 278 Seiten, 12,90 Euro
Tatsächlich leidet Torsuns Musikprojekt nach dem Ausstieg des anderen Bandmitglieds unter Ladehemmung, weshalb er beschloss, seinen Drogenkonsum zu erhöhen. Vielleicht führt das ja zu neuer Kreativität, wie er schreibt.
Wie ein Käfer auf dem Rücken
Er berichtet, wie er sich in das Berliner Bermuda-Dreieck zwischen Berghain, Bar 25 und den Freiluftclubs entlang der Revaler Straße im Stadtteil Friedrichshain schmeißt. Dort schluckt er Ecstasy, zieht Speed, nimmt Ketamin, bis er nur noch wie ein Käfer auf dem Rücken liegend verharrte, als „Verbimmelter unter Verbimmelten“.
Es wundert, wie sich sein Erinnerungsvermögen erhalten hat und dass er zusammen mit dem Blogger Daniel Kulla dieses Machwerk verfassen konnte. Anders, als der Bandname Egotronic suggeriert, ist die Erzählebene nicht im Autoparlando gehalten, sondern gebrochen: Torsun lässt viele Begebenheiten aus der Sicht seiner Freunde in eingestreuten Interviews kommentieren.
Burkhardt stammt aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Mit Dancefloor sozialisiert wurde er in den neunziger Jahren in der Mannheimer Disco „Milk“. „Doku-Roman“ heißt sein Buch im Untertitel.
Als Nachklapp zur Plagiatsdiskussion um die Guttenbergs oder Hegemanns wirkt „Raven wegen Deutschland“ erfrischend: Hier experimentiert der Kleinbürger noch selbst und lässt, wenn er es denn hinter die Türsteher schafft, die Klassenzugehörigkeiten hinter sich, um mit Gleichgesinnten auszuschweifen. Zu Risiken und Nebenwirkungen streut Torsun übrigens nützliche Ratschläge ein.
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