Besetzung in Berlin-Friedrichshain: Verfestigte Wohnsituation
Seit Monaten ist die Alte Teppichfabrik besetzt. Das Gelände ist mittlerweile abgeriegelt, geräumt wird bislang aber nicht. Zeit für einen Blick auf die Gemengelage.
Still liegt das große Backsteingebäude in der Sonne. Von Bewohnern ist nichts zu sehen, dass das Haus besetzt ist, merkt man kaum – wäre da nicht das Drumherum: ein neu aufgestellter Bauzaun, daneben steht eine ganze Reihe von Polizeifahrzeugen. Die Beamten haben sich rund um das Gelände postiert, auf dem Grundstück selbst streifen Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma umher. Vor fast zwei Wochen hatte es auf dem Gelände einen Polizeieinsatz gegeben, als Besetzer und Sicherheitsleute aneinandergeraten waren. Seitdem ist die Situation unverändert: Sechs Besetzer, die nachweisen konnten, dass sie hier schon länger wohnen, dürfen hier ein und aus gehen (siehe Kasten). Ansonsten ist das Gelände abgeriegelt; geräumt wird bislang aber nicht. Was wollen die verschiedenen Konfliktparteien? Die taz hat nachgefragt.
Das sagen die Besetzer
Direkt erst mal gar nichts, eine Mailanfrage der taz bleibt unbeantwortet. Allerdings äußern sie sich über ein Blog: „Ihr Konzept von einer Stadt der Reichen geht uns am Arsch vorbei“, schreiben sie dort, „wir nehmen uns das 500qm Loft für lau und kämpfen weiter für ein kollektives Leben, das wir selber bestimmen“. Nach eigenen Angaben haben sie das nach dem Ende der vorherigen Nutzung als Eventlocation leer stehende Gebäude bereits vor mehreren Monaten besetzt und planen bislang nicht, es so bald wieder zu verlassen. Auf Verhandlungen haben sie dabei offenbar wenig Lust: „Wir fordern nichts und verhandeln nicht um kleine Brotkrumen, die sie uns zuwerfen. Wir nehmen uns das, was eh uns allen gehört.“
Das sagt der Eigentümer
Hausbesetzungen erfüllen den Straftatbestand des Hausfriedensbruchs. Ein Eigentumserwerb durch eine Besetzung ist rechtlich nicht möglich. Dennoch ergibt die Berliner Rechtsprechung, dass Besetzungen in bestimmten Fällen nicht ohne Weiteres geräumt werden dürfen: Können wie jetzt im Fall der Alten Teppichfabrik Personen nachweisen, dass sie bereits über einen längeren Zeitraum in dem Gebäude wohnen – eine „verfestigte Wohnsituation“ nennt das Polizeisprecher Winfrid Wenzel“ –, braucht der Eigentümer für die Räumung einen Räumungstitel, den er nur durch eine entsprechende Klage beim Gericht erwirken kann. Dazu passt auch der als Berliner Linie bekannt gewordene Umgang mit Hausbesetzungen, wonach Besetzungen innerhalb von 24 Stunden geräumt werden sollen, gegen bereits besetzte Gebäude aber nur dann vorgegangen wird, wenn der Eigentümer einen Räumungstitel vorlegt. (mgu)
Seit Anfang Juni 2017 gehört das Gebäude der Freien Besitzgesellschaft mbH mit Sitz im fränkischen Rottendorf, zu der auch das Modelabel S. Oliver gehört. Ihre Pläne für das Gebäude: Auf 2.500 Quadratmetern soll Gewerbe einziehen, außerdem sollen 35 Mietwohnungen geschaffen werden. Genauere Angaben über die geplante Nutzung macht die Firma, die für die Kommunikation in dieser Sache den ehemaligen Regierungssprecher Bela Anda beauftragt hat, nicht. Von der Besetzung habe die Firma Mitte Juli erfahren. Laut Anda hat es seitdem einen Gesprächsversuch mit den Besetzern gegeben, der aber abgebrochen wurde, weil „die Meinungen verhärtet blieben“. Ein Räumungstitel liege bislang nicht vor, der Eigentümer habe inzwischen aber Räumungsklage eingereicht. Eine Sprecherin des Landgerichts wollte das am Mittwoch weder bestätigen noch dementieren.
Das sagt die Polizei
Momentan sei die Polizei Tag und Nacht mit einer Hundertschaft vor Ort, bestätigt Polizeisprecher Winfrid Wenzel. „Wir müssen verhindern, dass dort weitere Menschen einziehen, außerdem hatte es ja bereits tätliche Angriffe auf Sicherheitsdienstleister und Polizisten gegeben“, begründet er den Einsatz, der „bis auf Weiteres“ weiterlaufen werde. Mit dem Eigentümer stehe die Behörde in Kontakt, ob und wann eine Räumung erfolgen könne, sei aber gerade noch unklar.
Das sagt die Security
Der Sicherheitsmann am Zaun ist sich sicher: „So schnell kriegen die die Besetzer hier nicht raus.“ Die seien schlau, hätten gute Anwälte – und der Eigentümer habe sich offenbar nicht gut über die Situation informiert: „Als wir hier eingesetzt wurden, hieß es, wir dürfen niemanden aufs Gelände lassen – erst später wurde klar, dass einige von denen sehr wohl hier raufdürfen.“ Er ist sauer, seine Kollegen seien „verheizt“ worden, zu der Eskalation am 28. Juli hätte es nicht kommen müssen, wenn sie nicht falsche Anweisungen gehabt hätten. Nun seien sie rund um die Uhr vor Ort, „immer mit acht Mann, das kostet“. Das Sicherheitsunternehmen gehört dem ehemaligen Kickboxer Michael Kuhr, der derweil über den Berliner Kurier verlauten lässt, er sei sich sicher, „am Ende als Sieger aus diesem Kampf“ hervorzugehen.
Das sagt die Politik
Bezirk und Land halten sich bisher weitgehend aus dem Konflikt heraus. Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) war am Mittwoch bis Redaktionsschluss für eine Stellungnahme nicht zu erreichen, laut Polizei ist der Bezirk aber in Gespräche zwischen dem Eigentümer und den Behörden involviert.
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