Besetzung der Volksbühne beendet: Glitzer zu Staub zu Glitzer
Die Besetzer der Volksbühne stritten nächtelang mit Berlins Kultursenator über die Zukunft des Ostberliner Theaters. Am Donnerstag wurde geräumt.
Es ist noch vor zehn Uhr am Donnerstag, als die Nachricht zum ersten Mal durch die sozialen Medien geistert. Die Polizei habe mit drei Hundertschaften die Berliner Volksbühne abgeriegelt. Für 12 Uhr war eine Pressekonferenz anberaumt, in dem das Kollektiv „Staub zu Glitzer“ Rede und Antwort stehen wollte. Die Kulturinitiative besetzt seit sieben Tagen das schönste und interessanteste, das ganz bestimmt umstrittenste Theaterhaus dieser Nation.
Sieben Tage nun, in denen die Stadtgesellschaft streitet, ob das wichtig und richtig ist, was diese jungen Leute da tun. Sie sagen, sie wollen den gerade erst angetretenen Intendanten Chris Dercon zum Rücktritt zwingen und eine kollektive Intendanz einführen. Seit seiner Berufung ist der Kulturmanager größten Anfeindungen in dieser Stadt ausgesetzt. Er wird als Fremdkörper betrachtet, der niemals die Ära seines Vorgängers Frank Castorf an der Volksbühne hätte beenden dürfen, diese wilde, anarchische Zeit.
Das Kollektiv sagt aber auch, die Volksbühne sei ein symbolischer Ort, es gehe um viel mehr als nur um Dercon. Man wolle sich künstlerische Freiräume zurückerobern, wie man sie zuletzt im Berlin der goldenen 90er erlebt hat. Von „Weltfrieden“ darf durchaus die Rede sein, von „Teilhabe“ auch.
Es ist elf Uhr und es sieht so aus, dass Teile der Besetzer die Volksbühne freiwillig räumen. Noch sei keine Anzeige erstattet worden und es ist unklar, wer überhaupt die Polizei gerufen hat. Die Polizei twittert, Dercon befinde sich im Theater und spreche mit den Besetzern. Allerdings seien nicht mehr so viele drin, 10 bis 15 Leute nur.
Berliner, die nur ein Stück Stadt zurückwollen
Am Tag zuvor hatten die Berliner Kulturverwaltung und die Intendanz des Hauses den Besetzern die friedliche Koexistenz angeboten. Sie sollten auf zwei Nebenbühnen ausweichen, auf den Grünen Salon und einen kleinen Glaspavillon. Doch im Plenum am Abend wurde eine Entscheidung vertragt. „Dass nun plötzlich die Polizei hier steht, kam für mich völlig überraschend“, sagt Sarah Waterfeld, die Sprecherin des Kollektivs, die in dieser Nacht nicht in der Volksbühne übernachtet hat und zu spät kam, um noch eingelassen zu werden.
Hätten die Besetzer das Angebot annehmen können? Zwei kleine Seitenbühnen, während im Haupthaus alles seinen Gang nimmt?
Große Häme ist in den letzten Tagen über diese Besetzer ausgeschüttet worden, nicht nur von den konservativen Medien. Es hieß, sie seien naiv und pubertär, ihre Forderungen hätten weder die Konsistenz noch die Relevanz der 68er, die ihre Unis besetzten, und auch nicht die der Hausbesetzer in den 70er und 80er Jahren.
Viele der Kritiker waren aber nicht vor Ort, als das Künstlerkollektiv am Freitag um 15 Uhr zum ersten Mal das Haus betrat. Sie haben nicht gesehen, wie am selben Abend Tausende vor den Türen der Volksbühne auf Einlass warteten. All diese Leute, die sonst nicht viel mit Theater am Hut hatten. Berliner, die hauptsächlich ein Stück von der Stadt zurück wollen, von dem sie dachten, dass es auch ihnen gehört – ein Berlin, in dem einmal mehr möglich war als die heute allgegenwärtige Sorge darum, wie man die nächste Miete zahlen soll.
Kultur für Alle
Zwölf Uhr, Daniel Bartsch, Pressesprecher von Kultursenator Klaus Lederer (Linke), sagt, man habe die Polizei „in enger Abstimmung mit der Intendanz des Hauses“ gerufen. Sarah Waterfeld hat sich entschieden, die Pressekonferenz trotzdem in Angriff zu nehmen, auch hier hinterm Zaun. „Wir sehen uns nicht veranlasst, dieses Gebäude zu verlassen“, ruft sie aus und bekommt lauten Applaus. Weiter hinten räumen Musiker ihre Instrumente in einen Umzugswagen.
Viel wurde in der Presse geschimpft, dass diese Besetzer Kulturbanausen seien, dass sie Kultur verhindern. Das ist aber nicht richtig. Der reguläre Spielbetrieb wird in diesem Haus erst Anfang November aufgenommen. Zwar sind einige Proben ausgefallen, aber auf Anordnung Chris Dercons, und entgegen der Einladung der Besetzer, sie trotzdem zuzulassen.
Dreizehn Uhr, vor der Volksbühne beginnen Teile der Gruppe um Sarah Waterfeld, Theater in Gang zu setzen. Einer liest aus Artikel 27 der allgemeinen Menschenrechte: „Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gesellschaft frei teilzunehmen.“ Einer spielt Mundorgel. Einer stellt sich als protestierender Mieter aus Pankow vor. In den Gesichtern der Besetzer liegt viel Sanftes. Ein wenig Stolz vielleicht.
In den vergangenen Tagen haben sie nicht nur WG-Palaver, Kinderschminken und Vokü, sondern ein vielfältiges Kulturprogramm in der Volksbühne auf die Beine gestellt. Volksbühnenregisseur René Pollesch hat ihnen einen Mitschnitt seines ewig aktuellen Stücks „Stadt als Beute“ zur Verfügung gestellt. Es gab eine szenische Lesung des Theaterstücks „Der Herr Karl“. Oder auch einen Dokumentarfilm über den schwungvollen Protest von Künstlern in Kairo im Arabischen Frühling.
Der Chris schläft im Clubsessel
Irgendwann sagt Sarah Waterfeld grinsend: „Oh, der Polizeisprecher sagt wieder was. Da findet offenbar eine Parallelveranstaltung statt.“ Immer wieder hat sie in den letzten Tagen davon gesprochen, dass diese Besetzung eine „kollektive, transmediale und mimetische Theaterinszenierung“ sei.
Sie meint damit: Alles, was um die Besetzung herum passiert, wird vereinnahmt. Diese ganze aufgeregt Stadtgesellschaft. Der Streit in der Presse. Die Reaktion der Politik. Selbst Chris Dercon wird einfach eingebaut, der angeblich in der Nacht auf Mittwoch wieder lang mit den Besetzern geredet hat und dann um drei Uhr auf zwei zusammengeschobenen Clubsesseln eingeschlafen ist.
Dreizehn Uhr dreißig, die Polizei gibt bekannt, Chris Dercon habe Anzeige wegen Hausfriedensbruch erstattet. Wer nicht freiwillig gehe, müsse geräumt werden. Jetzt haben all jene ihren Willen, die diese Besetzer von Anfang an in die Ecke stellten. Da sei eine „latente Stimmung aus Angst, Hass und Gewalt, die jederzeit kippen kann“, schrieb Hans Marquardt in der B.Z. Dies sei ein Problem, dass man „der Erfahrung und dem Fingerspitzengefühl der Exekutive hätte überlassen sollen“, so Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung.
Kultursenator Klaus Lederer ist der Aufforderung nachgekommen, einzugreifen. Man hat ihm vorgeworfen, er habe zu sehr die Sprache dieser Leute geteilt. Er habe den Nährboden für den Aufstand gelegt, als er kurz nach Amtsantritt vor knapp einem Jahr verkündete, die Personalie Dercon müsse noch einmal überdacht werden.
Hier rebellieren die Politikverdrossenen
Aber was sind das wirklich für Leute, diese Besetzer, denen solche Aggression unterstellt wird? Es hilft, sie sich an diesem Nachmittag genauer anzusehen. Ihre Wollpullover wirken weich, ihre Augen glühend.
Da ist zum Beispiel Victor, der Sozialwissenschaften studiert hat und bei der Besetzung der Humboldt Uni im letzten Winter dabei war. Da ging es um den renommierten Berliner Sozialwissenschaftler und Gentrifizierungsgegner Andrej Holm, dessen falsche Angaben in Bezug auf seine Tätigkeit als Mitarbeiter der Stasi aufgeflogen waren. Zuerst durfte er nicht mehr Staatssekretär sein, dann sollte er auch noch sein Amt an der Uni verlieren. Vier Wochen campierten die Studenten im Gebäude, dann wurde Holm wieder eingestellt.
Da ist die stets freundliche und subversive Sarah Waterfeld.
Da sind die anderen Menschen, die jetzt ins Megafon sprechen, all sie wirken ausgesprochen wohlerzogen. Es wird wohl in die Geschichte der sozialen Bewegungen eingehen, wie sehr hier alle bemüht waren, jeden Morgen den Müll wegzuräumen, nichts zu beschädigen und jeden rauszuschmeißen, der auch nur ein Graffiti versucht hätte.
Jedenfalls hat hier eine Generation etwas ausprobiert, der sonst eher allzu viel Zielstrebigkeit und Politikverdrossenheit nachgesagt wird.
Nichts ist ausgestanden
Ab 14 Uhr werden die ersten der letzten Besetzer am Arm aus der Volksbühne geführt. Sie wehren sich nicht. Einer von ihnen sagt, die Polizei habe im Foyer ein Büro aufgebaut und nehme die Personalien der Besetzer auf. Um 16 Uhr soll es vorm Haus eine Vollversammlung geben, danach Party und Essen, alle sind eingeladen. Die Stimmung ist weiterhin friedlich, ja fröhlich. Sarah Waterfeld sagt mit sonniger Miene, man mache jetzt halt erst einmal draußen weiter. „Mal sehen, wer am längeren Hebel sitzt.“
Chris Dercon wird es wohl auch in Zukunft nicht leicht haben in dieser Stadt. Der Streit um die Volksbühne: Er ist noch lang nicht ausgestanden.
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