Besetzte Schule in Berlin-Kreuzberg: Innensenator bleibt außen vor
Die Flüchtlinge fordern von Senator Henkel ein Bleiberecht. Der lehnt jegliches Gespräch ab. Der Bezirk verweigert der Presse den Zutritt.
BERLIN taz | Im Konflikt um die von Flüchtlingen besetzte und bisher nur teilweise geräumte Schule soll nun ausgerechnet der Senat eine Lösung finden. Zwei Krisengespräche zwischen Vertretern des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, den Flüchtlingen und der Polizei endeten am Donnerstag mit Appellen an Innensenator Frank Henkel (CDU), sich in die Verhandlungen einzuschalten.
Henkel wies dies zurück: „Ein Gespräch zwischen dem Innensenator und den verbleibenden Bewohnern in der ehemaligen Schule ist weder beabsichtigt noch geplant“, teilte eine Sprecherin Henkels der taz mit. Stattdessen appellierte Henkel nochmals an die verbleibenden Personen in der Schule, „das Senatsangebot anzunehmen“. Der Innensenator ist Dienstherr der Ausländerbehörde, die über den Aufenthaltsstatus der Flüchtlinge entscheidet. Die Hauptforderung der Besetzer ist weiterhin ein dauerhaftes Bleiberecht.
Auch am Donnerstag befanden sich noch mindestens 70 Flüchtlinge in der Schule, teilte Hakan Tas, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion, mit. Zudem halten sich eigenen Angaben zufolge zahlreiche Unterstützer in der Schule auf. Überprüfen lassen sich diese Zahlen nicht, weil der Bezirk verhindert, dass Pressevertreter auf das Gelände in der Ohlauer Straße dürfen. Auch Gerüchte über angebliche Molotow-Cocktails im Gebäude und die Verfassung der Flüchtlinge konnten deswegen nicht überprüft werden. Eine für Donnerstagnachmittag vom Bezirk angekündigte Pressekonferenz kam nicht zustande, weil die Medien mit den Besetzern im Gebäude sprechen wollten. Dies verweigerte der Bezirk unter Verweis auf die angeblich brisante Sicherheitslage im Haus.
Am Dienstag hatte der Bezirk begonnen, die Schule zu räumen. Den Flüchtlingen wurden Angebote gemacht, in andere vom Senat gestellte Unterkünfte in Charlottenburg und Spandau umzuziehen. Bis Donnerstag hatten dies 208 Menschen angenommen. Der Rest weigert sich, auszuziehen. Viele verbliebene Flüchtlinge fürchten, abgeschoben zu werden. Auch am Donnerstag drohten einige damit, sich umzubringen, sollte die Schule gestürmt werden.
Die Polizei wies entsprechende Räumungsgerüchte zurück. Ein Sprecher sagte, die Polizei greife nicht von sich aus ein. Sie werde nur tätig, wenn der Bezirk sie um Amtshilfe bitte. Der Bezirk hat bisher eine Räumung ausgeschlossen und auch kein Ultimatum gestellt. „Noch liegt das Hausrecht bei uns. Ich weiß nicht, wie lange“, sagte Wirtschaftsstadtrat Peter Beckers (SPD) am Donnerstagnachmittag vor der Schule. Zusammen mit Baustadtrat Hans Panhoff (Grüne) und zwei weiteren Stadträten gehört Beckers zu der Kommission, die mit den Flüchtlingen verhandelt.
Vor den Augen der Presse, der der Zutritt zum Hof verwehrt wurde, spielte sich am Nachmittag eine rabiate Szene ab. Ein Unterstützer, der sich vom Hof aus an die Medien gewandt hatte, wurde von Panhoff angeherrscht: „Gehen Sie wieder aufs Dach.“ Kurz darauf ertönte ein Schrei. Polizisten hatten den Unterstützer zu Boden geschmissen. Er verstehe nicht, wie das passieren konnte, zeigte sich Beckers über die Szene verstört. Mehrere Medien haben inzwischen angekündigt, gegen die Einschränkung der Pressefreiheit vor Gericht zu ziehen. Es gehe zu wie in Russland, empörte sich ein Journalist. Vergleichbares habe er in Berlin nie erlebt, so ein anderer Reporter.
Der Sprecher des Bezirksamts, Sascha Langenbach, begründete das Zutrittsverbot zur Schule damit, dass einige im Haus angedroht haben, sich vom Dach zu stürzen oder sich anzuzünden. „Es gibt Benzin im Haus“, so Langenbach. Man wolle durch einen Aufenthalt der Presse keine gefährlichen Aktionen provozieren, fügte Beckers hinzu.
Am Mittag hatten Gerüchte, eine Räumung stehe bevor, dazu geführt, dass sich mehrere hundert Unterstützter hinter den Absperrungen versammelten. Auch wurde kolportiert, die Flüchtlinge sollten ausgehungert werden. Am Nachmittag durfte indes der Pfarrer der Heilig-Kreuz-Kirchengemeinde, Peter Storck, die Sperre mit vollgepackten Lebensmitteltaschen passieren. Mehrere Kilo Reis, Gemüse und Baguettes kamen so ins Haus.
Während die Abgeordneten Hakan Tas und Canan Bayram (Grüne) schon seit Dienstag als Mittler fungieren, wurde Fabio Reinhardt (Piraten) erst am Donnerstag Zutritt zur Schule gewährt. Die Forderung, der Innensenator solle kommen, bezeichnete er als müßig. Henkel freue sich, dass die autonome Szene wütend auf die Grünen sei, so seine Einschätzung. „Der wird sich höchstens bei einer Räumung blicken lassen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“