Beschäftigungspolitik: Selbsthilfe - vor allem für den Chef
Im Bremer Problem-Bezirk Tenever arbeitet seit einem Jahr eine "Interkulturelle Werkstatt" als Beschäftigungsträger. Alles war links, sozial engagiert - und unkontrolliert. Jetzt schritten die Behörden ein.
Bohrende Fragen an Hafid Catruat: Vier Stunden lang hatte der Geschäftsführer des größten Bremer Beschäftigungsträgers, der Interkulturellen Werkstatt Tenever (IWT), am Freitag Besuch von Angehörigen der Anti-Korruptions-Abteilung des Bremer Sozialressorts, der "Innenrevision": Die Vorwürfe reichen von Veruntreuung bis zur persönlichen Bereicherung. "Wir haben nichts Entlastendes gefunden", erklärte danach ein Sprecher der Behörde, "von einer geordneten Geschäftsführung kann nicht die Rede sein." Daher sollen umgehend alle Projekte der IWT auf einen anderen Träger übertragen werden - es geht um einen staatlich subventionierten Umsatz von rund 1,5 Millionen Euro.
Vor einer guten Woche war die Welt noch in Ordnung in Tenever, einem Problem-Stadtteil von Bremen. Ob seiner vielen guten Projekte konnte sich der Verein über mangelnde politische Unterstützung nicht beklagen. Diverse Geldgeber, die für eine Kontrolle verantwortlich waren, haben offenbar alle Warnsignale überhört: Im Januar bereits hatte ein IWT-Mitarbeiter, der fristlos entlassen worden war, der für Hartz IV zuständigen Arbeitsgemeinschaft für Integration und Soziales (Bagis) berichtet, dass die Wirklichkeit hinter der schönen Fassade ganz anders aussieht. Im März formulierte dann ein Mitarbeiter der Sozialbehörde, dem die Abrechnungen komisch vorgekommen waren, schriftlich, er könne die "Verantwortung für eine reguläre Nachweiskontrolle nicht übernehmen".
Anfang August schließlich informierte ein weiterer IWT-Mitarbeiter die Bremer Arbeit GmbH (BAG), ein städtisches Dienstleistungsunternehmen für Beschäftigungsprojekte, über Ungereimtheiten. Vier Tage später wurde der Mann von IWT-Geschäftsführer Catruat mit dem Vorwurf konfrontiert, ihn hintergangen zu haben - und entlassen. Offenbar hatte die BAG die Hinweise nicht ernst genommen und der IWT einen Tipp gegeben. Noch am vergangenen Montag hielt die BAG ihre Hand schützend über die IWT, als sie erklärte, sie sehe keinen Grund zur Beanstandung.
Dabei hatte zuvor bereits Andreas Berenthal, der - ebenfalls fristlos entlassene - Verwaltungsleiter der IWT, gegenüber der taz erklärt, er habe mit Geschäftsführer Catruat die Vereinbarung getroffen, dass sie beide 4.000 Euro im Monat verdienen sollten - doppelt so viel wie ihre offiziellen Bezüge. Berenthal wollte damit fingierte Zahlungen an seine Frau rechtfertigen. Anderen Mitarbeitern zufolge hat Catruat ebenfalls in die eigene Tasche gewirtschaftet.
Im Zentrum eines internationalen Viertels sieht sich die "Interkulturelle Werkstatt Tenever" (IWT).
1995 ist der Verein aus einer Initiative der Bewohner entstanden. Etwa fünfzig Mitarbeiter verschiedener Herkunft werden dort beschäftigt.
Aufgaben sind nach eigenen Angaben Beratung und praktische Hilfe im Leben.
Fördern will der Verein den kulturellen und sozialen Austausch der Bewohner des Quartiers, etwa mit Festen, Ausflügen und Bildungsangeboten. Mitgestaltung ist ausdrücklich erwünscht.
Die IWT-Buchhaltung spiegelt die wirklichen Geldflüsse nur zu einem Teil wider. Geschäftsführer Catruat soll mit Drohungen und Schikane wie der "König von Marokko" regieren, wird kolportiert - "unmenschlich", sagt ein Mitarbeiter. Im vergangenen Dezember waren die Gehälter der Mitarbeiter um 20 Euro gekürzt worden, weil angeblich das Geld fehle. Was damals niemand erfuhr: Das Salär des Geschäftsführers stieg zur selben Zeit. Dass Hilfstransporte nach Marokko, darunter teures medizinisches Gerät, in Catruats Heimatdorf ankamen und dass ihr Verbleib in den Akten der IWT nicht dokumentiert ist, rundet das Bild ab.
Die vorerst letzte Ungereimtheit: Als die Mitarbeiter des Vereins Quartier, Nachbarn der IWT, jüngst ihre Strom-Abschlussrechnung sahen, trauten sie ihren Augen nicht. Ein Elektriker fand heraus: Die IWT hatte seit einem Jahr die Leitung angezapft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Getöteter General in Moskau
Der Menschheit ein Wohlgefallen?
Sturz des Assad-Regimes
Freut euch über Syrien!
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Bombenattentat in Moskau
Anschlag mit Sprengkraft
Weihnachten und Einsamkeit
Die neue Volkskrankheit
Foltergefängnisse in Syrien
Den Kerker im Kopf