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Beruhigung durch FußballEin Tor wie damals von Angelo Vier

Fußballer können durchs Leben helfen, nur weil es sie gibt. Wie sie Fantasien freisetzen, das weiß unser Kolumnist aus eigener Erfahrung.

Beim SC Verl ist Träumen möglich Foto: imago/Eibner

M anchmal denke ich an Angelo Vier, einfach so, völlig unvermittelt. Ich habe keine konkrete Erinnerung an eines seiner Tore, und auch sonst ist mir nichts Spektakuläres in Erinnerung geblieben. Der Name ist natürlich super, ein astreiner Daktylus oder vielleicht auch ein Anapäst mit Auftakt, ich habe den Unterschied nie so recht begriffen.

Vermutlich hängt es mit Simon Terodde zusammen, dass mir immer wieder Angelo Vier einfällt, weil Simon Terodde viele bescheinigen, zu gut für die zweite, aber nicht gut genug für die erste Liga zu sein. Ein Zwischenreichspieler, der häufig gezwungen ist, hin- und herzuhüpfen, weil er in keiner Liga wirklich Platz hat; nie seine Bestimmung findet. Ein Geist ist er eigentlich, einer, der in den Wänden zwischen den Welten lebt. Jetzt ist er fast Rekordtorschütze der zweiten Liga, ein Treffer fehlt ihm noch. Alle warten darauf, dass das jetzt passiert. Es fühlt sich aber gar nicht nach etwas Besonderem an: Es wird früher oder später eh der Fall sein. Dann wird Dieter Schatzschneider, wie es seine Art ist, noch zwei-, dreimal vom Leder ziehen, als hätte er ein Pils zu viel gehabt; in der Hoffnung, dass er noch ein Bild-Interview kriegt, darauf scheint so ziemlich alles, was er sagt, ausgelegt zu werden. Da ist mir Simon Terodde natürlich lieber, der wirkt immerhin sehr nett.

Vielleicht ist alles Wissen über dieses Spiel eine Art Geisterjagd. Was kann man schon wissen, das dann nicht allen Zauber nimmt? Klar, es gibt Gründe, warum Simon Terodde in der ersten Liga nie reüssiert hat; es gibt Gründe, warum Timo Werner aktuell nicht als einer der weltweit besten Spieler gilt; bei Timo Werner ist es beispielsweise recht schnöde auch der VAR, der ihm aktuell eine schlimme Zeit beschert, vor Einführung des Videobeweises hätte er wahrscheinlich fünf bis neun Tore mehr vorweisen können; so aber steht er bei jedem zweiten Tor, wie sich hinterher herausstellt, versehentlich im Abseits.

(Wobei, bei Timo Werner ist das eigentlich ganz lustig; jemand, der aus Karrieregründen zu RasenBallsport Leipzig gegangen ist, mithin versucht hat, von den aktuellen Entwicklungen im modernen Fußball so weit es irgend geht zu profitieren; der obendrein als einer der schnellsten Spieler überhaupt gilt; ausgerechnet so jemand wird dann von diesen Entwicklungen eingeholt: noch besser, von einem Standbild überholt. Das ist schon lustig. Aber nur kurz.)

Ich hätte schwören können, dass Angelo Vier bei Greuther Fürth war, aber: Da hat sich mein Hirn nur etwas zusammengereimt.

Ich hätte schwören können, dass Angelo Vier mindestens eine Saison bei Greuther Fürth gespielt hat in seiner aktiven Zeit, aber nein: Da hat sich mein Hirn nur etwas zusammengereimt. Es hätte diese Saison auch zu gut gepasst wahrscheinlich: ausgerechnet bei Greuther Fürth, die alles versuchen, aber immer ist es zu wenig, egal was sie tun. Stattdessen war er bei Verl, bei Rot-Weiss Essen auch, Gütersloh, Oberhausen auch und Osnabrück. Kurz auch mal in Bremen, kurz auch mal in Bielefeld, später dann in der österreichischen Liga. In Essen ist er Torschützenkönig der zweiten Liga geworden und die Mannschaft ist in dem Jahr trotzdem abgestiegen, das wusste ich noch. Ich hab auf Youtube nach Videos seiner Tore gesucht, man findet quasi nix; stattdessen wird mir ständig diese animierte Kinderserie in die Ergebnisse gespült. „Der Weltrekord und Brechbraten“, aha.

Es hat etwas ungemein Beruhigendes für mich, an Angelo Vier zu denken, das liegt nicht nur an diesem schönen Namen, sondern vor allem daran, dass ich mir dazu alles ausdenken kann. Früher habe ich das manchmal in Kneipen ausprobiert, wenn Robert Lewandowski sich auf engstem Raum um vier Mitspieler gedreht hat und dann den Ball in den Winkel drosch, sagte ich bisweilen einfach: „Wie damals Angelo Vier.“ Niemand hat je widersprochen. Alle wissen ungefähr, was gemeint ist, irgendwas klingelt; es bleibt aber unklar, was. Nur dass der Name super ist, darauf können sich immer alle einigen.

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