Debatte zum Völkerrecht: Das Recht des Stärkeren
Völkerrechtswidrig oder nicht – die Debatte über die Angriffe der USA und Israels ist müßig. Kein Gericht entscheidet darüber, sondern Staaten.

K aum eine Frage ist gleichzeitig so eminent wichtig und vollkommen müßig wie die, ob die Angriffe Israels und der USA auf den Iran vom Völkerrecht gedeckt sind. Einerseits ist das von elementarer Bedeutung. Das Gewaltverbot der UN-Charta ist – zumindest in der Theorie – das einzige Rechtsprinzip, das verhindert, dass Staaten nach Lust und Laune Krieg führen, um politische, ökonomische oder territoriale Ziele zu erreichen.
Das Völkerrecht kennt nur zwei Ausnahmen für die Anwendung militärischer Gewalt: unmittelbare Selbstverteidigung oder vorherige Billigung des UN-Sicherheitsrats. Letztere gab es nicht, und dass nur ein militärischer Präventivschlag Iran von einem unmittelbar bevorstehenden, womöglich nuklearen, Angriff abhalten konnte, kann Israel nicht glaubhaft behaupten. Die USA versuchen es gar nicht erst. Der republikanische Senator und „Falke“ Lindsey Graham sagt nur, das iranische Regime habe „es verdient“. Das hat mit Völkerrecht nun gar nichts zu tun.
Genau das ist allerdings, andererseits, auch der Grund, weshalb es müßig erscheint, sich über die Frage der Völkerrechtswidrigkeit in längere Debatten zu begeben: Es wird andauernd verletzt. Denn es ist in der realen Welt nicht das Recht, das Staaten daran hindert, ihre Interessen militärisch durchzusetzen, sondern die Frage der Machbarkeit und der möglichen Konsequenzen. Das Recht des Stärkeren ist zu keinem Moment vom Völkerrecht abgelöst worden.

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Dazu kommt: Kein Rechtssystem bewegt sich im politischen Vakuum, aber das Völkerrecht vermutlich am allerwenigsten. Beispiel Nato-Einsatz im Kosovokrieg 1999: Hätten USA und die Nato damals die Zustimmung des UN-Sicherheitsrates gesucht und bekommen, wäre genau der gleiche Einsatz vollkommen rechtmäßig gewesen. Weil sie – vermutlich zu Recht – ein russisches Veto erwarteten, haben sie den Sicherheitsrat nicht einmal darüber abstimmen lassen; damit war der Einsatz klar völkerrechtswidrig. Kein Gericht entscheidet, sondern ein politisches Gremium. Und es ist so zusammengesetzt, dass es Macht abbildet – das Recht des Stärkeren eben.
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