Berlins scheidender SPD-Chef Saleh: Der Steuermann hat sich verzockt
Raed Saleh ist im Kampf um seine Zukunft als SPD-Landeschef brachial gescheitert. Gut möglich, dass nun ungemütliche Zeiten auf die Partei zukommen.
D er bislang mit allen Wassern gewaschene Taktiker Raed Saleh hat sich verschätzt und – noch mehr – überschätzt. Das Ergebnis der Mitgliederbefragung um den künftigen Vorsitz der Berliner SPD ist überdeutlich: Die eigenen Genoss:innen wollen den Landeschef nicht länger an ihrer Spitze sehen.
Dass es im Rennen der drei Duos um den Parteivorsitz nicht für Platz eins reichen würde, war absehbar. Dass Saleh es gemeinsam mit der jungen und dezidiert links verorteten Bezirkspolitikerin Luise Lehmann mit trostlosen 15,7 Prozent der abgegebenen Stimmen aber nicht einmal in Sichtweite von Platz zwei schafft, überrascht dann doch.
Die brachiale Niederlage zeigt dabei, dass die Mitglieder an der SPD-Basis – die in weiten Teilen ein unbekanntes, weil inaktives Wesen sind – keine Lust mehr haben auf die Art und Weise, wie Saleh Politik macht. Wenn es in den vergangenen Jahren brenzlig wurde für ihn und seine Positionen, dann sortierte der „große Steuermann“ seine innerparteilichen Truppen. Dann wurde telefoniert, dann gab es Vieraugengespräche. Bis die Richtung wieder stimmte.
Noch-Parteichef Raed Saleh und Noch-Parteichefin Franziska Giffey haben die Hauptstadt-SPD gemeinsam zu einer Top-down-Organisation gemacht, was unter den einfachen Mitgliedern, aber auch vielen Funktionär:innen für ein veritables Frustpotenzial gesorgt hat.
Putsch der Fraktion gegen Saleh ist nicht in Sicht
Das ließ sich zuletzt detailliert in einer Analyse der Wahlen 2021 und 2023 nachlesen, den der Landesvorstand selbst in Auftrag gegeben hatte. Auch wenn in dem vernichtenden Dokument die Wahlschlappen und der desolate Gesamtzustand der Partei vor allem der Spitzenkandidatin Giffey zugeschrieben wurden. Raed Saleh, seit 2011 Fraktionschef im Abgeordnetenhaus und seit 2020 Parteivorsitzender, war mitgemeint.
Der Spandauer wollte oder konnte nicht erkennen, dass seine Zeit an der Spitze der Partei ebenso vorbei ist wie die von Giffey. Nun hat er dafür die Quittung bekommen. Für Spekulationen, Saleh könnte nach dem Partei- auch den Fraktionsvorsitz abgeben, scheint es gleichwohl zu früh.
Ein Putsch der Fraktionsmitglieder gegen ihren Chef ist erstens nicht in Sicht. Wer Saleh kennt, weiß zweitens, dass er nicht ohne weiteres freiwillig von der Macht lassen wird. Sein Wirkungsbereich ist fortan wieder ausschließlich die SPD-Fraktion. Diese Position dürfte er weidlich nutzen wollen und weiter auszubauen versuchen. Motto: Mir egal, wer unter mir Parteivorsitzender ist.
Tatsächlich dürfte interessant werden, wie sich Salehs Verhältnis zu seinen Nachfolger:innen gestaltet. Einen Vorgeschmack lieferten jetzt schon mal die erbittert geführten Diskussionen über Salehs Politik der generellen Gebührenfreiheit in Kita und Schule.
Egal wie die Entscheidung um den künftigen Parteivorsitz am Ende ausgeht: Die SPD könnte sich mit zwei konkurrierenden Machtzentren auf absehbare Zeit weiter vor allem mit sich selbst beschäftigen. Das war noch nie eine gute Idee.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid