Berlins Polizei fährt Fahrrad: Verfolgungsjagd im Rotlichtmilieu

Eigentlich soll die Fahrradstaffel der Polizei das Verkehrsklima verbessern. Bisher aber müssen vor allem Radler dran glauben, die über Rot fahren.

Blockiert hier vorbildlich in Doppelreihe den nachfolgenden Busverkehr: Fahrradstreife der Berliner Polizei. Bild: dpa

„Halt! Polizei!“, schreit Nadine Hartung und tritt energisch in die Pedale. Mit ihrem weißen Trekkingrad jagt sie einer Radfahrerin im roten Kleid hinterher. Die Flüchtige ist etwa Mitte dreißig und trägt kurzes braunes Haar. Kurz dreht sie sich um, zeigt sich unbeeindruckt und fährt weiter. „Halt! Halt!“, ruft Nadine Hartung noch einmal. Schließlich nimmt das Fangspiel auf der anderen Straßenseite ein Ende. Sie sei soeben über Rot gefahren und man müsse ihre Personalien aufnehmen, klärt Hartung die Radfahrerin auf. Was die ganze Aufregung denn solle, fragt die Frau im roten Kleid unwirsch. Sie bekommt einen Strafzettel wegen Missachtung der roten Ampel – ihre Flucht dagegen war kostenlos.

Seit dem frühen Morgen sind Nadine Hartung und Sascha Ziegler an diesem Tag mit ihren Fahrrädern auf den Berliner Straßen unterwegs. An ihren Gürteln, die sie um die Hüfte tragen, sind Pistole und Taschenlampe befestigt. Die beiden sind Teil der Polizei-Fahrradstaffel, die vor drei Wochen ins Leben gerufen wurde. „Unser Ziel ist es, zwischen Rad- und Autofahrern zu vermitteln“, sagt Ziegler, der auch privat oft mit dem Rad fährt. Er ist der Leiter der 20-köpfigen Staffel, die von Montag bis Freitag im Gebiet zwischen Regierungsviertel und Alexanderplatz eingesetzt wird. In zwei Schichten sind jeden Tag zwischen 7 und 20 Uhr zehn Einsatzteams unterwegs.

Alexanderplatz, vormittags gegen halb zwölf. An der Grunerstraße Ecke Alexanderstraße machen Nadine Hartung und Sascha Ziegler Halt. Sie postieren sich an zwei aufeinander folgenden Ampeln für eine sogenannte Rotlichtüberwachung. „Weil die Fahrradfahrer an dieser Stelle oft auch bei Rot weiterfahren, gefährden sie die Fußgänger, die zur gleichen Zeit die Straße überqueren wollen“, sagt Nadine Hartung.

Sie zieht eine Stoppuhr aus der kleinen schwarzen Tasche auf ihrem Gepäckträger. Sobald die Ampel auf Rot schaltet, stoppt sie die Zeit. 21 … 22 … drei Fahrradfahrer zischen vorbei. Eine Ampel weiter sieht Ziegler das Handzeichen seiner Kollegin und – ene mene muh – entscheidet sich für den jungen Mann im grünen T-Shirt. „Anhalten!“, ruft er ihm mit erhobener Hand und strengem Blick entgegen.

Die Berliner Radfahrer fühlen sich wohl im Rotlichtmilieu. Kaum einer kümmert sich darum, ob die Ampeln nun gerade Grün oder Rot zeigen. Bestes Beispiel dafür an diesem Tag ist ein Kurierfahrer, der die roten Fußgängerampeln nutzt, um sich über eine große Kreuzung zu schlängeln. Hartung und Ziegler halten ihn an. Er ist in Eile und will weiterfahren, so schnell es geht. Hastig steckt er den grünen Strafzettel in seine Hosentasche. „Schon der zweite heute“, murmelt er und steigt wieder auf sein Rennrad.

„Wir wollen niemanden ärgern, sondern erreichen, dass sich im Kopf was tut“, sagt Sascha Ziegler. Bevor sich dort was bewegt, ist aber erst mal der Geldbeutel dran: 120 Euro Strafe kostet das Überqueren der Ampel, wenn diese schon länger als eine Sekunde Rot zeigt. Zusätzlich gibt es einen Punkt in Flensburg.

Während Ziegler noch die Personalien des Straftäters aufnimmt, sausen sechs weitere Radler an ihm vorbei – alle bei Rot. „Manchmal sind es einfach zu viele“, sagt Ziegler. „Da müssen wir uns eben für einen entscheiden.“ Nach 40 Minuten beenden Hartung und Ziegler ihre Überwachung. Die Bilanz: Eine Handvoll Knöllchen haben sie verteilt – der Großteil der Radler ist trotzdem bei Rot gefahren.

Der ADFC zeigt sich von der Fahrradstaffel der Polizei bisher sehr angetan. Trotzdem fordert Vorstandsmitglied Bernd Zanke, dass die Polizisten nicht nur als Kontrolleure unterwegs sind: „Wir erwarten, dass sie das Geschehen aus dem Blickwinkel eines Fahrradfahrers beobachten und wenn nötig eingreifen“, so Zanke.

Viele Verkehrsteilnehmer seien nicht mehr ausreichend geschult, was die Verkehrsregeln angehe, kritisiert allerdings Polizist Ziegler: Einen Autoführerschein bräuchten die meisten Berliner nicht, weil sie in der Stadt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Fahrrad mobil genug wären. Das sei einer der Gründe, warum es zu Unfällen kommen könne.

Zwar weist auch ADFC-Mann Zanke darauf hin, dass der Trend gerade unter jungen Leuten in Großstädten weg vom Auto und hin zum Fahrrad geht. Er betont aber auch, dass nicht nur bei Radlern, sondern auch bei Autofahrern großes Unwissen herrsche, was die Verkehrsregeln angeht. „Viele haben das, was sie in der Fahrschule einmal gelernt haben, schon wieder vergessen“, sagt er. Aufgabe der Fahrradstaffel sei es deswegen auch, den Verkehrsteilnehmern grundsätzlich ein wenig Nachhilfe im Verkehrs-Abc zu geben.

Ziegler und Hartung entdecken einen Fahrradfahrer, der auf einem Gehweg fährt. Er trägt einen dunklen Anzug und fährt nicht sehr viel schneller als Schrittgeschwindigkeit. Er müsse auf der Straße fahren, wo der Radweg gekennzeichnet ist, damit er die Fußgänger nicht gefährde, belehrt ihn Ziegler. Der Mann wird wütend und macht seinem Ärger hitzig Luft. Wie er denn jemanden gefährden solle, fragt er: Es sei ja niemand in Sicht weit und breit. Punkt für ihn – der technische K. o. folgt jedoch auf dem Fuße: Wenn er keine Einsicht zeige, müsse er mit einer Strafe rechnen, sagt Ziegler. Der Radler schiebt sein Fahrrad mürrisch auf die Straße und setzt kopfschüttelnd seinen Weg fort.

Etwas gekostet hat ihn die Aktion immerhin nicht: „Wir versuchen, mit den Menschen zu sprechen“, sagen Hartung und Ziegler. Wenn die mit sich reden ließen und Einsicht zeigten, könne man „das gesetzliche Auge auch schon mal zudrücken“.

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