Berlins Parlamentspräsident zur AfD: „Schärfere Auseinandersetzungen“
Der Ton im Haus hat sich mit dem Einzug der AfD verändert, sagt Ralf Wieland (SPD). Er fordert statt eines Teilzeit- ein Vollzeitparlament.
taz: Herr Wieland, Sie sind in der zweiten Wahlperiode Parlamentspräsident. Was ist anders geworden, seit 2016 die AfD ins Abgeordnetenhaus einzog – außer dass es erstmals sechs Fraktionen gibt?
Ralf Wieland: Grundsätzlich hat uns das ja erst mal Probleme mit den Räumen beschert – alle Fraktionen mussten zusammenrücken. Und wegen zusätzlicher Redezeit fangen die Plenarsitzungen seither eine Stunde früher an. Aber das sind ja bloß Formalien. Natürlich ist zu merken, dass bestimmte Themen von der AfD hochgezogen werden, die dafür sorgen, dass es schärfere Auseinandersetzungen im Parlament gibt, als das vorher der Fall war.
Müssen Sie öfter rügen oder zur Ordnung rufen als in Ihrer ersten Amtszeit?
Statistisch kann man das noch nicht sagen, aber ich glaube schon, dass es mehr Ordnungsrufe gibt. Allerdings ist in der ersten Zeit einer Legislaturperiode die Aufregung vielleicht auf allen Seiten noch größer, und auch die übrigen Fraktionen, wenn ich das mal so sagen darf, müssen lernen, wie sie mit der AfD umgehen. Muss ich über jedes Stöckchen springen? Muss ich nicht auch aufpassen, dass ich in der Art und Weise, wie ich reagiere, nicht selbst einen Verstoß begehe?
Claudia Roth, die grüne Vizepräsidentin des Bundestags, hat der taz jüngst berichtet, im Bundestag habe sich das Klima deutlich verändert, Mitarbeiterinnen des Parlaments und der Fraktionen fühlten sich bedroht oder behelligt. Kommt so etwas auch auf den Gängen des Berliner Abgeordnetenhauses vor?
Solche Hinweise habe ich nicht.
Ralf Wieland61, wirkt zwar wie ein Berliner Urgestein und blieb bei seinem Besuch in der taz auch sofort an einem Fotobuch über den Wedding hängen, wo er seinen Wahlkreis hat. Geboren ist er aber in Wilhelmshaven, aufgewachsen in Rheinland-Pfalz. Nach Berlin kam er 1977, wo er später SPD-Landesgeschäftsführer war. 1999 wurde er Mitglied des Abgeordnetenhauses, 2011 Präsident des Parlaments, das ihn 2016 in diesem Amt bestätigte.
Manche sagen, Berlin sei mit der hiesigen AfD-Fraktion noch verhältnismäßig gut dran im Vergleich zu den Höckes und Poggenburgs in anderen Landtagen. Sehen Sie das vom Präsidentenstuhl auch so?
Die hiesige AfD-Fraktion unterscheidet sich schon deutlich von den AfD-Fraktionen in anderen Landtagen, etwa in Thüringen oder Sachsen-Anhalt. Das hat auch etwas mit der Fraktionsführung zu tun. Herr Pazderski als Vorsitzender und der parlamentarische Geschäftsführer versuchen, bestimmte Sachen nicht zuzulassen. Der Ausschluss von Herrn Wild aus der AfD-Fraktion sagt ja auch etwas aus.
Im Bundestag hat der frühere Präsident Norbert Lammert (CDU) beklagt, die Regierung beteilige das Parlament nicht in dem vorgeschriebenen Maße, und mahnte Rechte des Hauses an. Müssen Sie Ähnliches über den Senat sagen?
Im Einzelfall gibt es immer wieder kleinere Konflikte, etwa wie ausführlich der Senat auf eine Anfrage von Abgeordneten antworten muss. Aber im Verhältnis zu dem, was wir auf der Bundesebene haben, in deutlich kleinerem Maße. Wir haben ja auch das Instrument der Ministerbefragung: In jeder Plenarsitzung können Abgeordnete jedes Senatsmitglied befragen. Dafür haben wir die Fragestunde.
Was leider Abgeordnete der regierenden Parteien nutzen, ihren Senatoren mit einer abgesprochenen Frage Gelegenheit zur Eigendarstellung zu geben.
Das gehört mit dazu, da müssen wir uns nichts vormachen. Grundsätzlich ist es so, dass gar nicht alle Parlamente die Direktbefragung kennen. Bei uns hat ja auch, das ist alte Berliner Tradition, jede Fraktion dieselbe Redezeit. Beides stärkt die Rechte der Opposition.
Wie handhaben das denn andere Parlamente?
In anderen Landtagen, aber vor allem im Bundestag, wird die Redezeit nach Größe der Fraktion zugewiesen. Das hieß im Bundestag in der vergangenen Wahlperiode mit der damals noch wirklich Großen Koalition, dass die Opposition viel weniger zu Wort kam.
Was nicht von Respekt gegenüber dem Parlament zeugt, ist, dass die Regierungsbank zeitweise wie verwaist ist. Als es jüngst mal um den BER und Tegel ging, waren weder der zuständige Finanzsenator noch der Regierungschef im Saal und mussten erst herangerufen werden.
Das ist etwas, was wir ja immer kritisieren. Es ist schon so, das Senatsmitglieder, um deren Zuständigkeit es geht, anwesend sein müssen. Aber in dem von Ihnen geschilderten Fall kamen beide dann ja schnell zurück. Es ist auch nicht immer böser Wille oder eine Missachtung des Parlaments.
Die Ausstattung der Abgeordneten, vor allem mit Mitarbeitern, ist zwar durch die jüngste Parlamentsreform besser geworden – aber im Vergleich zu Bundestagsabgeordneten weiterhin kärglich. Kommt da noch mehr?
Ich kenne eine solche Debatte nicht. Ich glaube, dass wir im Vergleich zu anderen Landtagen – und das ist ja die Bezugsgröße, nicht der Bundestag – gar nicht so schlecht dastehen.
Die Kontrolle der Regierung passiert in Berlin ja im Nebenjob – das Abgeordnetenhaus ist offiziell ein Teilzeitparlament, dessen Mitglieder noch einem anderen Beruf nachgehen. Was aber für viele kaum machbar ist.
Das ist eine echte Lebenslüge. Ein andere Tätigkeit mit dem Abgeordnetenmandat zu verbinden, das ist doch fast nur Freiberuflern möglich …
… es gibt ja auch viele Anwälte im Parlament.
Aber andere haben ein Problem, wenn sie beispielsweise neben allen anderen Sitzungen und Aufgaben pro Monat zwei ganze Frei-Tage für eine Untersuchungsausschusssitzung nehmen müssen. Der Mitarbeiter in einem Bundesministerium bekommt das vielleicht in Teilzeit noch hin, nicht aber die Bankangestellte oder der Stationsarzt.
Und warum ändert sich daran nichts? Es schränkt ja merklich auch die Gruppe derer ein, die überhaupt daran denken können, ein Parlamentsmandat anzustreben.
Weil man im Parlament eine Zweidrittelmehrheit bräuchte, um die Verfassung zu ändern, damit Berlin ein Vollzeitparlament bekommt.
Haben da welche Angst um ihr eigenes Mandat, weil ein Vollzeitparlament kleiner sein würde?
Darum ist es ja eine gute Idee, dass Wolfgang Schäuble als Parlamentspräsident im Bundestag, wo man ja auch über eine Verkleinerung nachdenkt, angeregt hat, dass eine Änderung erst für die übernächste Wahlperiode gelten soll.
Was wäre denn aus Ihrer Sicht die angemessene Größe eines Berliner Vollzeitparlaments, das jetzt 160 Mitglieder hat?
Laut Verfassung sind es 130 Sitze, die Differenz zu 160 Mandaten ergibt sich durch Überhangmandate, um das Wahlergebnis richtig abzubilden. Für das Vollzeitparlament sollte das Abgeordnetenhaus um die 100 Sitze haben.
Auf diesen Sitzen nehmen fast nur noch Akademiker Platz – auch wenn gerade die beiden obersten Repräsentanten Berlins, Sie und Regierungschef Müller, als gelernter Speditionskaufmann und Drucker, da eine Ausnahme bilden. Sehen Sie darin ein Problem?
Klar waren früher bei der SPD mehr Gewerkschafter und Nicht-akademiker in der Fraktion. Aber der Fabrik- oder Schichtarbeiter, der war selten im Parlament – da darf man sich nichts vormachen, das ist Romantik.
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