Berlins Bildungssenator drückt auf die Tube: Schulreform auf Speed
Erst bummelte er, nun muss es ganz schnell gehen: Bildungssenator Zöllner paukt die neue Schulstruktur durch. Dabei sind wichtige Elemente wie die Sozialquote für Gymnasien umstritten.
Im stillen Kämmerchen dankt Jürgen Zöllner (SPD) sicher jeden Abend dem lieben Gott für die Wirtschaftskrise. Denn nichts hat der Schulreform des Bildungssenators einen so kräftigen Schubs gegeben wie sie. Eigentlich sollte Zöllner sein Reformkonzept bereits Ende 2008 im Parlament vorstellen. Den Termin ließ er allerdings seelenruhig verstreichen. Erst im Januar präsentierte der Senator seinen Plan, der darin besteht, das bisher mit Haupt-, Real- und Gesamtschulen sowie Gymnasien viergliedrige Berliner Oberschulsystem auf nur noch zwei Schultypen einzudampfen - das Gymnasium und die neue Schulform Sekundarschule.
Und jetzt kommt richtig Fahrt in die Sache: Am Dienstag stimmte der Senat Zöllners Reformvorschlägen zu. Bis zur Jahresmitte will Zöllner auch schon das parlamentarische Verfahren abgeschlossen haben. Grund für die plötzliche Eile ist nicht zuletzt das viele Geld, das Berlin aus dem Konjunkturprogramm des Bundes erhält und - immerhin teilweise - in Bildung investiert: Mehr als 280 Millionen Euro kann und muss das Land innerhalb von zwei Jahren ausgeben. Kein Wunder, dass Zöllner derzeit zufrieden aussieht: Mit der Zustimmung des Senats für seine Reformpläne sei ein "point of no return" erreicht, so der Senator am Dienstag. Auch im Abgeordnetenhaus sehe er eine "hohe innere Bereitschaft, die Reform zügig durchzuziehen".
Unumstritten ist die nicht: Dem Koalitionspartner Linkspartei ist der Erhalt der Gymnasien ebenso ein Dorn im Auge wie die Tatsache, dass in Zöllners Konzept jede Sekundarschule selber entscheiden darf, welche Binnenstruktur sie will. Die FDP kritisiert, dass kleine Schulstandorte geschlossen werden sollen: Zöllners neue Sekundarschule soll mindestens vier Klassen pro Jahrgang umfassen. Und die Gymnasien bibbern vor den neuen Zugangsregeln, die für sie entworfen werden sollen.
Denn zumindest so weit ist Zöllner den Vorstellungen der Linkspartei, die sich von der Reform einst "eine Schule für alle" versprochen hatte, entgegengekommen: So soll auch die neue Sekundarschule bis zum Abitur führen - wahlweise nach 12 oder 13 Schuljahren. Um die von den Linken geforderte "Gleichwertigkeit" der beiden Oberschulformen zu erreichen, soll auch das Gymnasium sich ändern. Folgt das Parlament Zöllners Vorschlägen, werden Gymnasien künftig schlechte Schüler nicht mehr einfach "abschulen", also an andere Schulformen abgeben dürfen.
Im Gegenzug sollen sich dafür die Zugangsbedingungen für Gymnasien ändern. Neben dem derzeit entscheidenden Elternwillen sollen andere Zugangskriterien "an Bedeutung gewinnen", wie es schwammig in Zöllners Konzept heißt. Im Gespräch sind etwa eine höhere Bedeutung von Noten oder Auswahlgespräche der Schulen mit BewerberInnen. Um dabei soziale Segregration zu verhindern, wird über die Einführung einer Sozialquote für Gymnasien nachgedacht: Etwa 30 Prozent der SchülerInnen, so diese Idee der Linkspartei, sollten aus Familien kommen, die von der Lernmittelzuzahlung befreit sind.
Nicht einmal bei Gymnasialdirektoren in Brennpunktbezirken stößt diese Idee aber auf viel Unterstützung: "Ich kann mir nicht vorstellen, wie durch Zugangsregelungen für Gymnasien soziale Segregation verhindert werden soll", sagt etwa Georg Krapp, Leiter des Albert-Schweitzer-Gymnasiums in Neukölln. Die Trennlinie verlaufe längst zwischen den Bezirken. "Nach welchen Kriterien soll beispielsweise Charlottenburg die Kinder auswählen, die nach Neukölln müssten - und was sagen deren Eltern dazu?", fragt sich Krapp.
Solchen Bedenken will Zöllner in der Diskussion noch Raum geben. Weniger gnädig steht er allerdings Klagen aus den Bezirken gegenüber, die sich mit Turboreform und Geldsegen im Zeitdruck sehen: "Wir arbeiten im Blindflug", sagt etwa Monika Hermann, grüne Bildungsstadträtin in Friedrichshain-Kreuzberg, die wie ihre anderen BezirkskollegInnen dem Senat bis kommenden Montag mitteilen muss, wo und wie sie investieren will. Zöllner sieht das naturgemäß anders: "Uns bietet sich gerade eine riesige Chance", meint der Bildungssenator. "Wer wirklich will, ist auch unter Zeitdruck entscheidungsfähig."
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