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Berliner wehren sich gegen HeimstadenHeimstaden bekommt Grenzen gezeigt

Das Ringen um Abwendungsvereinbarungen für 2.200 Wohnungen mit dem schwedischen Immobilien-Investor geht in die heiße Phase.

Mieter protestieren am Alexanderplatz gegen den Verkauf von Häusern an Heimstaden Foto: Christian Mang

Berlin taz | Tempelhof-Schönebergs Bezirksstadtrat Jörn Oltmann (Grüne) ist empört. So etwas Dreistes habe er in seinem ganzen Job noch nicht erlebt, sagt er. Genervt ist Oltmann vom skandinavischen Immobilien-Investor Heimstaden, weil dieser sich in Verhandlungen mit Bezirk und Senat einfach nicht auf sozialverträgliche Kriterien verpflichten will. Oltmann sagt: „Auf der eigenen Homepage gibt Heimstaden an: ‚Ein Zuhause, auf das Sie sich verlassen können‘ – tatsächlich sind sie gleich null bereit, bezahlbares Wohnen abzusichern.“

Der Stadtrat für Stadtentwicklung und Bauen sagt: „Heimstaden bewegt sich in Verhandlungen einfach überhaupt nicht! Die geben sich als langfristiger und freundlicher Vermieter, wollen aber nicht im Entferntesten eine vernünftige Abwendungsvereinbarung unterzeichnen.“ Der Konzern komme Berlin kein Stück entgegen – Oltmanns Vermutung ist: „Die wollen eiskalt aufteilen, in Eigentum umwandeln und die Wohnungen möglichst teuer veräußern.“

Heimstaden ist derzeit auf Shoppingtour in Berlin. Der Konzern will stadtweit 130 Häuser erwerben und könnte seinen Bestand jetzt noch einmal um 3.900 Wohnungen und 208 Gewerbeeinheiten ausbauen. Als Kaufpreis des Pakets wurden über 800 Millionen Euro kolportiert. Es wäre der wohl größte Immobiliendeal des Jahres.

78 der Häuser und damit 2.202 Wohnungen liegen in Milieuschutzgebieten. Viele der betroffenen Mieter:innen haben sich in Rekordzeit organisiert und bauen enormen Druck auf, damit Bezirke und Senat das dort greifende Vorkaufsrecht durchsetzen.

Ausweitung der Milieuschutzgebiete

Gesetz Nach § 172 Baugesetzbuch kann jeder Bezirk Milieuschutzgebiete erlassen. Ziel ist es, bezahlbaren Wohnraum zu schützen und so eine Verdrängung von Geringverdienern zu verhindern. Bauherren und Eigentümer in Milieuschutzgebieten müssen alle Bauaktivitäten, die zu einer Modernisierung führen, vom Bezirk genehmigen lassen. Bauliche Veränderungen, die mit der Perspektive einer Mietsteigerung erfolgen, werden in der Regel untersagt. Ferner hat der Bezirk ein Vorkaufsrecht, wenn eine Wohnimmobilie verkauft wird. In der Regel versucht er aber zunächst, mit dem Erstkäufer eine Abwendungsvereinbarung abzuschließen und ihn dadurch zu verpflichten, 20 Jahre lang auf die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen zu verzichten.

Ausweitung In Berlin gibt es 63 soziale Erhaltungsgebiete – und es werden immer mehr. So hat das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg unabhängig von den aktuellen Verhandlungen mit Heimstaden letzte Woche den Beschluss gefasst, die Zahl der Milieuschutzgebiete in Tempelhof-Schöneberg von derzeit acht auf elf auszuweiten. Die neuen Gebiete befinden sich in Friedenau, Mariendorf und am Wittenbergplatz. Wenn eine Untersuchung bestätigt, dass alle Kriterien für die Ausweisung als Milieuschutzgebiete erfüllt sind, tritt die Regelung in Kraft. Nach Angaben von Tempelhof-Schönebergs Baustadtrat Jörn Oltmann (Grüne) wird dann annähernd die Hälfte der Bevölkerung des Bezirks in einem sozialen Erhaltungsgebiet wohnen. (plu)

Bezirke haben Mitspracherecht

In diesen sogenannten sozialen Erhaltungsgebieten, die besonders von Verdrängung betroffen sind, haben die Bezirke ein Mitspracherecht bei Immobilienverkäufen, um die soziale Mischung der Wohngebiete zu schützen. Falls sich der Käufer nicht auf sozialverträgliche Kriterien einlässt – in einer Abwendungsvereinbarung –, kann der Bezirk von einem Vorkaufsrecht Gebrauch machen. Dafür hat er nach Bekanntwerden der Kaufverträge zwei Monate Zeit. So hat sich etwa die Deutsche Wohnen im Juli beim Kauf von 16 Häusern dazu verpflichtet, von Umwandlung in Eigentum und von Luxusmodernisierungen für 20 Jahre abzusehen.

Auf Vergleichbares will sich Heimstaden offenbar nicht einlassen. Auf Presseanfragen der taz hat Heimstaden bislang noch nicht reagiert. Die nächste Verhandlungsrunde ist am späten Montagnachmittag. Nach taz-Informationen müssen die Verhandlungen innerhalb dieser Woche abgeschlossen sein. Kommt es zu keiner einvernehmlichen und akzeptablen Abwendungsvereinbarung, müssten die Bezirke zugunsten öffentlicher Wohnungsbaugesellschaften oder Genossenschaften vorkaufen – oder die Häuser gehen an Heimstaden. Die Zeit drängt also.

Elf der zum Verkauf stehenden Häuser und damit 259 Wohnungen liegen in Tempelhof-Schöneberg. Selbst mit der Deutschen Wohnen habe man eine bezirksübergreifende Abwendungsvereinbarung abgeschlossen, so Oltmann: „Es kann doch nicht sein, dass Heimstaden hinter diesem Abschluss zurückbleiben will.“

Angst vor Mieterhöhung

Die jetzt betroffenen Mieter-Initiativen hätten Angst – vor steigenden Mieten nach Modernisierungsumlagen und Eigenbedarfskündigungen nach Umwandlung in Eigentum, sagt Oltmann: „Gerade für Menschen mit wenig Einkommen wäre das angesichts der Lage auf dem Wohnungsmarkt eine Katastrophe.“

Die Senatsverwaltung für Wohnen (Linke) führt die Verhandlungen am Montagnachmittag für den Senat, für die Bezirke ist Bezirksstadtrat Jochen Biedermann (Grüne) aus Neukölln am Tisch. Auch dort sind 27 Häuser betroffen. Wenn Heimstaden sich nicht bewegt, kann es gut sein, dass die Bezirke zuschlagen und von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machen.

Erst vergangenes Wochenende hat der Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel noch im taz-Interview gesagt, dass dafür trotz Corona genug Mittel gestellt werden müssten – auch wenn das vorrangige Ziel in solchen Fällen Abwendungsvereinbarungen seien.

Heimstaden hat das Vorkaufsrecht bereits zu spüren bekommen – erst vor gut drei Wochen haben Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg von dem Recht Gebrauch gemacht.

Oltmann drängt darauf, dass die Bezirke nun wieder zuschlagen, falls Heimstaden sich erneut nicht bewegt: „Es wird Zeit, Heimstaden die Instrumente zu zeigen und die Ausübungsbescheide vorzubereiten. Keinesfalls darf sich Heimstaden mit ihrer Strategie durchsetzen“, so der Stadtrat. Betroffenen Mieter:innen bietet er an, sie am Montag nach dem Treffen über sein Büro in einer Videokonferenz zu informieren.

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3 Kommentare

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  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Es muss doch möglich sein, den Kauf von mehr als 5 Häusern innerhalb von z.B. 2 Jahren an ausländische Investoren zu verbieten!!

    Sucht euch ein anderes Spielfeld, auf dem ihr fette Profite realisieren könnt.

    • @17900 (Profil gelöscht):

      Was ändert´s denn, ob ein "ausländischer" oder ein "inlandischer" Investor Profit macht? Das Spielfeld heißt weltweiter Kapitalismus! An weltweit operierenden Konzernen haben Anleger*innen aus der ganzen Welt Anteile. Die Kategorie "Nation" macht überhaupt keinen Sinn und kann nur der Spaltung der Ausgebeuteten dienen.

  • Möglicherweise spekuliert der Investor auch einfach darauf, dass der Bezirk nicht in der Lage ist die Finanzierung von 11 Häusern gleichzeitig aufzubringen und sitzt die ganze Sache einfach aus. Kein Grund für so eine aufgesetzte Empörung. Und selbs wenn alle 11 Häuser anderweitig anGenossenschaften veräußert werden sollten, bleiben noch mehr als genug Wohnungen vom gesamten Konvolut.Echter Druck sieht anders aus.