Berliner palästinensischer Herkunft: Kampf gegen Klischees
Rund 40.000 Menschen palästinensischer Herkunft werden mit Stereotypen bedacht. Einige wehren sich dagegen. Hier kommt Künstlerin Lara Ziyad zu Wort.
Sie haben selten gute Presse: BerlinerInnen palästinensischer Herkunft tauchen in der medialen Berichterstattung meist als Schulversager, Intensivtäter, in Zusammenhang mit antisemitischen Vorfällen oder – wie jüngst beim Mord an Nidal R. am Tempelhofer Feld – mit kriminellen Clans auf.
Dazu kommt die besondere Lage, in der sich Palästinenser*innen in Deutschland befinden. Ihre Vorfahren wurden bei der Gründung Israels vertrieben oder flüchteten später vor der israelischen Besatzung: nach Deutschland, ins Land des Holocaust, der grausamsten Judenvernichtung der Geschichte.
In vielen palästinensischen Familien, auch in Berlin, ist die Vertreibung aus der Heimat als „Nakba“ bekannt, zu Deutsch „Katastrophe“. Während der 70. Jahrestag der israelischen Staatsgründung in diesem Jahr auch in Berlin gefeiert wurde, haben Palästinenser*innen hier der Vertreibung lieber im Stillen gedacht.
„Wir Palästinenser stehen unter Generalverdacht“, sagt der ehemalige Leiter einer palästinensischen Organisation, der anonym bleiben möchte – wie auch eine der auf diesen Seiten Porträtierten, die hier lebt und sich kritisch gegenüber der israelischen Besatzungspolitik äußert. „Viele junge Palästinenser*innen trauen sich nicht, sich zu engagieren“, glaubt er. „Sie haben Angst, dass das ihrer beruflichen Karriere schaden könnte.“
Lara Ziyad schreddert Vergangenheit und Herkunft
Für die Wochenendausgabe der taz.Berlin am 24./25.11.2018 haben wir drei Menschen porträtiert, die sich engagieren. Sie stehen nicht repräsentativ für die 40.000 Palästinenser*innen in Berlin. Aber jeder von ihnen stellt ein Thema dar, das Palästinenser*innen in Berlin jenseits der Stereotype beschäftigt. Sie nutzen die sozialen, kulturellen und akademischen Räume der Stadt, um sich mit einer Identität auseinanderzusetzen, die viele Konflikte birgt.
Keine genauen Zahlen: 35.000 bis 40.000 Palästinenser*innen leben in Berlin, ein Fünftel der Palästinenser*innen in Deutschland. Genauer lässt sich die Anzahl nicht fassen: Da die Vereinten Nationen Palästina nicht als Staat anerkennen, gelten viele als staatenlos oder besitzen die Nationalität eines anderen arabischen Landes, etwa des Libanon, Jordanien oder Ägypten.
Einwanderung Die palästinensischen Einwander*innen haben unterschiedliche Migrationswege und -hintergründe, leben unterschiedlich lange hier und haben ganz individuelle Beziehungen zu ihrem Herkunftsland oder dem Herkunftsland ihrer Eltern und Großeltern. Ein Großteil der in Berlin lebenden Palästinenser kam aus dem Libanon nach Deutschland, nachdem dort Mitte der 70er-Jahre der Bürgerkrieg auch zu schweren Angriffen auf palästinensische Flüchtlingslager führte. Viele der Jüngeren sind deshalb Flüchtlinge in der vierten Generation: Die Urgoßeltern flüchteten 1948 aus Israel, die Großeltern mit den Eltern als kleine Kinder dann weiter nach Deutschland. (heh)
So stößt die Akademikerin Yara N.* immer wieder an die Grenzen der Meinungsfreiheit, wenn sie sich in ihrer Forschung kritisch mit der israelischen Besatzungspolitik befasst. Der Aktivist Fouad El-Haj, geboren in einem libanesischen Flüchtlingslager, war als Erwachsener erstmals im Heimatland seiner Eltern. Er will endlich weg von der politischen Debatte und sich stattdessen kulturell und wirtschaftlich engagieren.
Andere wie Lara Ziyad haben die alte Heimat erst vor Kurzem verlassen. Als Staatenlose fragt sich die Künstlerin, wie gerecht eigentlich Pässe sind und wie eine ideale Heimat für sie aussehen würde – Kopien von Herkunftsdokumenten schreddert sie und macht daraus Kunst. Das Porträt von Lara Ziyad präsentieren wir auch auf unserer Homepage – genau hier:
Sie hatte einen ägyptischen, syrischen, jemenitischen Pass: Lara Ziyad
Lara Ziyad ist arg im Stress. Bis zum Samstag muss sie noch 5.000 Blatt Papier schreddern. Nur vier bis fünf Blätter davon kann sie gleichzeitig in den Aktenvernichter stecken, wo sie zuckend verschwinden. Gleich kommt ihre zehnjährige Tochter vorbei, um zu helfen. „Aber die langweilt sich auch direkt“, winkt die Künstlerin ab.
An diesem Tag im nicht enden wollenden Sommer ist es sonnig draußen vor der Tür, Ziyad steht in ihrer kleinen Galerie in Schöneberg, U-Bahn-Haltestelle Eisenacher Straße. Sie trägt eine kurze Stoffhose und Chucks mit Schnürsenkeln in leuchtendem Orange. Neben ihr liegen zehn Stapel übergroßer Kopien von Dokumenten: Pässe ihrer Mutter, ihres Vaters, von ihr selbst als Kind. In wenigen Tagen präsentiert sie ihr Kunstwerk im Museum Hamburger Bahnhof. Bis dahin müssen all diese Dokumente zu Papierschnipseln werden. „Es ist Zeit, diese Papiere, diese Stempel und Farben aufzugeben“, sagt Lara Ziyad. „Indem ich sie zerstöre, mache ich Kunst aus ihnen.“
Dokumente spielten in Ziyads Leben eine wichtige Rolle. Als palästinensische Geflüchtete wechselte die Familie ständig ihren Wohnort. „Ich hatte einen ägyptischen Pass, einen syrischen, einen jemenitischen; dann sind wir zurückgekehrt und ich hatte einen palästinensischen, mit dem ich nicht mehr ausreisen durfte“, erzählt Ziyad.
Zudems habe sie verschiedene Dokumente gebraucht, um sich zwischen Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten bewegen zu können. „Allein da gibt es drei verschiedene Karten: grün für Leute aus dem Westjordanland, gelb für die mit jordanischem Pass, blau für Leute aus Gaza“, zählt sie auf. Die Überbleibsel davon zieht sie gerade behutsam aus dem Aktenvernichter und legt sie zu den anderen Schnipseln in eine große Plastiktüte. Natürlich werden keine Originale vernichtet.
Das System der Nationalitäten und Pässe – rassistisch
In Ziyads Performance geht es nicht nur um ihre eigene Identität, sondern um das ganze System der Nationalitäten und Pässe – denn es sei rassistisch, sagt die Künstlerin. „Menschen erhalten Privilegien wegen ihrer Herkunft und nicht, weil sie etwas im Leben erreicht haben.“ In ihrer Performance bedeckt sie den gesamten Raum mit den Schnipseln ihrer eigenen Nationalitätengeschichte. Nur eine Spur bleibt für Rollstuhlfahrer*innen frei. Dann stellt sie sich mit einem Kopierer und ihrem Aktenvernichter in die Mitte des Raums und lädt die Besucher*innen dazu ein, ihre eigenen Dokumente zu vergrößern und zu vernichten.
„Meine Mutter hatte immer Angst um unsere Dokumente“, erzählt die 36-Jährige mit den kinnlangen schwarzen Locken. „Sie dachte, wenn wir eines verlieren, würden wir ewig brauchen, um es wieder zu beantragen, und dass wir es vielleicht gar nicht mehr bekommen würden.“ Ihre Familie habe daher die zahlreichen Dokumente in einem alten Samsonite-Koffer aufbewahrt. Als Ziyad entschied, diese für ihre Performance in Berlin zu benutzen, musste sie vor ihrer Abreise einige der Dokumente unauffällig mitgehen lassen. „Meine Mutter hätte das nie erlaubt“, sagt sie lachend. Darum habe sie zum Beispiel von drei verschiedenen ägyptischen Dokumenten nur eines mitgenommen.
Ziyads Galerie ist noch etwas spärlich eingerichtet, seit März arbeitet sie hier. Außer ihr und dem Aktenvernichter befinden sich ein Tisch und ein Stuhl in der Mitte des Raumes. Die Wände sind bedeckt mit Zeichnungen, ein großes Bild einer nackten Frau: mit Bleistift skizziert, nur teilweise ausgemalt, das Gesicht noch ausdruckslos.
Zehn Jahre hat Ziyad im Westjordanland als Architektin gearbeitet, bevor sie sich traute, ihrer eigentlichen Leidenschaft, der Kunst, nachzugehen. 2013 beschloss sie, im Ausland Kunst zu studieren, wurde aber mehrere Jahre von den israelischen Behörden an der Ausreise gehindert. Warum, weiß sie bis heute nicht. So begann sie in Ramallah zu studieren, bis sie sich erfolgreich gegen das Ausreiseverbot gewehrt hatte. Dann nutzte sie die Gelegenheit, das Land mit einem Studentinnenvisum zu verlassen, und bewarb sich an der Akademie der Künste in Berlin, wo sie im nächsten Jahr das Studium anfängt.
Neues Zuhause Berlin
Lara Ziyad hat ihr Leben lang als Flüchtling gelebt, mehrfach die Nationalität und den Wohnort gewechselt. Nun, in Berlin, ist sie staatenlos. Wie viele Palästinenser*innen als Staatenlose in Berlin leben, ist nicht bekannt, da sie im Bericht des Amts für Statistik Berlin-Brandenburg entweder unter den 145 registrierten Palästinenser*innen gelistet sind oder unter den 21.168 Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit. Weitere fallen in die Kategorie „Sonstiges Asien“.
Für Ziyad ist Berlin ihr neues Zuhause geworden. „Ich liebe Berlin und habe das Gefühl hierherzugehören“, sagt sie. „Aber manchmal denke ich mir: Ach, warum haben die hier nicht die Löwen, die auf dem Manarah-Platz stehen? Oder den Falafel-Laden, den ich so mag?“ Dann wiederum sehe sie in Berlin etwas, was es in Ramallah geben müsste: die öffentlichen Verkehrsmittel zum Beispiel oder die vielen Grünflächen. „Und wenn die Menschen dort genauso akzeptieren könnten, dass man sich in der Öffentlichkeit anzieht und verhält, wie man will – dann wäre Ramallah ein Paradies für mich.“ Als nächstes Kunstprojekt plant sie, eine Traumstadt zu entwerfen, eine Mischung aus Berlin und Ramallah.
Ziyads Kunst kommt gut an hier, gerade wurde sie zum dritten Mal von einer Galerie angefragt. Vor lauter Arbeit hatte sie noch keine Zeit, Deutsch zu lernen. „Die Kunstszene in Berlin ist akademischer und professioneller als in Ramallah“, sagt Ziyad in gebrochenem Englisch. Dort komme es mehr darauf an, wen man kenne und mit wem man befreundet sei. Hier dagegen müsse sie keine Kontakte pflegen, sondern einfach die Bewerbungen vorbereiten und abschicken.
Probleme wegen der politischen Inhalte ihrer Kunst hat sie bisher keine bekommen. „Ich sage ja nicht, dass ich Israel hasse, sondern thematisiere ganz bestimmte Probleme, die unbestreitbar existieren“, sagt Ziyad. „Dass Gaza und das Westjordanland nicht miteinander verbunden sind oder dass ich staatenlos bin, das habe ich mir ja nicht ausgedacht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“