„Berliner Zeitung“ und der Fall Reichelt: Von Austern und Instanzen
Holger Friedrich hat den Negativpreis „Verschlossene Auster“ gewonnen. Das ist hochverdient, obwohl er geredet statt geschwiegen hat.
E s ist hier nicht bekannt, ob Holger Friedrich gerne Austern schlürft. Eine hat der Verleger der Berliner Zeitung jetzt aber. Weil er Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt bei Springer verpfiff, widmete ihm das Netzwerk Recherche (NR) kurzerhand seinen Negativpreis „Verschlossene Auster“. Der geht zwar normalerweise an Menschen und Institutionen, die Informationen verweigern und Berichterstattung verhindern. Doch NR (Offenlegung: Ich bin dort Mitglied und war auch mal im Vorstand) hielt den Fall Friedrich zu Recht für so gravierend, dass die Auster kurzerhand umgewidmet wurde.
Heute werde also jemand ausgezeichnet, „der Auskunft gegeben hat, obwohl er dazu verpflichtet gewesen wäre, zu schweigen“, sagte Ex-Spiegel-Chef Georg Mascolo mit viel Pathos in seiner Laudatio am vergangenen Samstag bei der NR-Jahreskonferenz in Hamburg. Friedrich sei jemand, „der uns daran erinnerte, dass die Pressefreiheit nicht nur von außen bedroht werden kann: sondern auch von innen.“
Der böse Bube sieht das notwendigerweise anders, von daher wird ihn vermutlich auch die Rüge des Deutschen Presserats nicht weiter jucken. Die hatte er kurz davor noch gleich obendrauf bekommen. Laut Ziffer 5 des Pressekodex gibt die Presse nämlich Informanten ohne deren ausdrückliche Zustimmung nicht preis. „Als Verleger ist Holger Friedrich Teil der Presse, unabhängig davon, ob er noch weitere unternehmerische Funktionen innehat.“ Jetzt heißt’s lustig abzuwarten, ob und vor allem wie die Berliner Zeitung diese Rüge veröffentlicht. Eigentlich gehört das zum guten Ton. Holger Friedrich war zwar Mittwochabend bei der Medianight des Medienverbands der freien Presse. Mit der taz wollte er aber nicht sprechen. Dafür hing er mit Ex-Bundespräsident Christian Wulf ab, der ja auch einen eher eigenwilligen Kurs mit den Medien fuhr.
„Friedrich selbst macht schon ’ne Menge, um in die Geschichte einzugehen“, sagt die Mitbewohnerin. „Doch mit diesem Preis helfen auch andere an seiner Unvergänglichkeit mit. Wo stellt Friedrich wohl seine Auster hin?“
bringt hier jede Woche Unordnung in die aufgeräumte Medienwelt. Seit 1. Juni ist er leitender Redakteur beim KNA-Mediendienst.
Alle Whistleblower*innen zum offenen Kanal?
Fairerweise gibt’s ja noch die gute alte selektive Wahrnehmung! Veröffentlicht hat die Berliner Zeitung nämlich schon mal ein Urteil des Berliner Landgerichts, in dem Friedrich gegen Reichelt gewonnen hat. Da urteilte die Kammer allen Ernstes, Reichelt hätte „auch aufgrund seiner langjährigen einschlägigen Berufserfahrung bekannt sein müssen, dass insbesondere mit Gewinnerzielungsabsicht tätige Veröffentlichungsmedien kein,sicherer Hafen' für ihnen anvertraute Informationen und deren Quellen sind“. Und alle Whistleblower*innen gehen jetzt zum offenen Kanal, oder was?
Da setzt also mal eben ein Gericht den Informant*innenschutz und damit eine der wesentlichsten journalistischen Grundregeln außer Kraft. Zweite Instanz, bitte aufheben!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Selenskyj bringt Nato-Schutz für Teil der Ukraine ins Gespräch
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo