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Berliner Zeichner Fil„Ich hatte nichts mehr zu sagen“

Didi & Stulle, Berlins schweinerüsselige Loser, sind Geschichte, denn Zeichner Fil schreibt lieber Romane. Zum Glück gibt es jetzt die Gesamtausgabe.

Auch die Kanzlerin gehörte zum Didi-&-Stulle-Pandämonium. Oder nur jemand gleichen Namens? Foto: Fil/Reprodukt

taz: Fil, 18 Jahre lang ist Ihr Comic Didi & Stulle in der zitty erschienen, letztes Jahr war Schluss. Fiel der Abschied schwer?

Fil: Überhaupt nicht. Alles, was man lange macht, verliert irgendwann einmal den Drive. Also: Ich hatte schon ganz schön die Schnauze voll und einfach nichts mehr zu sagen.

Wie sind Sie aus der Nummer raus gekommen?

Ich hatte schon lange Lust, mal ein Jahr lang Pause zu machen, aber ich hab mich nie getraut. Weil ich das Gefühl nicht loswurde, dass die bei der zitty unsicher waren, ob es wirklich gut ist, was ich da mache. Wenn die ihre Leser gefragt haben, was raus soll, kam immer als erstes: „Didi & Stulle!“ Wenn die aber gefragt wurden, warum sie zitty lesen, kam auch immer als erstes: „Wegen Didi & Stulle!“ Also habe ich angefangen, ein Jahr vorzuarbeiten, und zwei Jahre lang jeden Monat drei statt zwei Geschichten gemacht. Und mir dann das Jahr genommen, um rauszufinden, ob mir etwas fehlt. Und es fehlte mir null.

Da war für Sie alles klar?

Dann ist auch noch mein Redakteur in Rente gegangen, und die haben mir gesagt, dass die zitty jetzt wöchentlich erscheint und ich weniger Geld bekomme, aber am Ende des Monats mehr verdient habe, weil ich ja doppelt so viel arbeite. Da habe ich gekündigt.

Haben Sie auch sonst vorgearbeitet?

Das war das einzige Mal, dass mir das gelungen ist.

Im Interview: Fil

1966 geboren, heißt bürgerlich Philip Tägert und wuchs im Märkischen Viertel auf. Von 1997 bis 2015 erschien zweiwöchentlich in der zitty sein Kult-Comic „Didi & Stulle“. Er veröffentlichte aber auch zahlreiche andere Comic-Alben. Außerdem ist er als Bühnenkomiker bekannt – und als Autor zweier Romane namens „Pullern im Stehn“ (2014) und „Mitarbeiter des Monats“ (2016), die im Wesentlichen Fils Jugend im Westberlin der 1980er Jahre verarbeiten.

Sie brauchen den Druck?

Absolut. Zum Glück bin ich da nicht allein. Mein Lieblingsbeispiel ist die Band Slayer. Die hätten am 6.6.2006 ein Album veröffentlichen können. 666, the number of the beast, Johannesevangelium, die Teufelsnummer, ja? Sie hatten sich sogar genau 25 Jahre vor dem Tag gegründet. Aber dann haben sie’s einfach nicht rechtzeitig geschafft.

Auch den Cliffhanger haben Sie neu definiert: Bei Didi & Stulle wusste man nie, ob der aufgelöst wird, ob da eine Woche später überhaupt eine Pointe draus wird.

Es fällt mir extrem schwer, mit einem Gag zu enden. In diesem Punkt war mein Vorbild immer “Gaston“ von André Franquin. Diese Comics sind witzig durch Gaston selbst, was der macht und wie der aussieht – und nicht über einen Gag, der am Ende alles auflöst.

Der erste Band der Gesamtausgabe fängt mit den ganz alten Didi & Stulle-Comics an, die Sie 1987 gezeichnet haben. Dann kommt ein großer Zeitsprung – und plötzlich haben Sie einen eigenen, viel professionelleren Stil. Was ist dazwischen passiert?

Ich bin Autodidakt, aber ich habe einfach unheimlich viel gezeichnet. Die ganzen Jahre über habe ich jenseits von Didi & Stulle ein Album nach dem anderen herausgebracht. Leider ohne jeden Erfolg. Okay, irgendwann habe ich mal Aktzeichnen gelernt. Deshalb stehen meine Figuren ganz gut, sie haben Schwere.

Und nun: drei Bände Didi & Stulle im Schmuckschuber für 99 Euro. Fast ein Coffee Table Book. Gefällt Ihnen das?

Sagen wir, es gefällt mir gegen meinen Willen. Eigentlich wollte ich die besten zusammensuchen und 300 Seiten Paperback machen, billig, fürs WG-Klo. Das war für mich immer der Ritterschlag, wenn ich irgendwo zu Besuch war und Didi & Stulle auf dem Klo gefunden habe. Aber es gefällt mir natürlich trotzdem, wie es jetzt ist, weil es edel ist, weil es mich aufwertet. Außerdem meinte mein Verleger, dass meine Fans ja auch dicker geworden sind. Und damit hat er, fürchte ich, recht.

Release-Party

Am heutigen Freitag, 18 Uhr, gibt es die „Didi & Stulle“-Box Release-Party mit Fil, inklusive Schaufensterkonzert mit anschließender Signierstunde. Modern Graphics, Kastanienallee 79, Prenzlauer Berg

Wie würden Sie jemandem Didi & Stulle erklären, der sie tatsächlich bisher nicht kennen sollte?

Die Grundidee ist: Didi & Stulle sind auch wer. Sie werden von der Gesellschaft zum Verlierersein verdammt, aber sie wollen sich ums Verrecken nicht so sehen. Im Grunde sind das auf eine traurige Weise total aktuelle Figuren, jetzt, wo wir den großen Katzenjammer haben mit Trump und der AfD.

Würden die beiden AfD wählen?

Von der Struktur her wären sie fast AfD-Wähler. Aber das würden sie auch wieder nicht machen, weil sie ja Individualisten sind: Sie haben mehr zu bieten, sie sind ja nicht dumm. Also, dumm schon, aber …

Woher kennen Sie solche Typen?

Ich komme aus dem Märkischen Viertel, ich habe da 15 Jahre lang gewohnt, mein Abi nachgemacht – und nicht studiert. Mit meinen alten Schulfreunden hänge ich immer noch ab. Viele sind in miesen Jobs hängen geblieben; einer von ihnen, ein alter Punker, sitzt jetzt im Rollstuhl und flucht über die Flüchtlinge, die bei ihm um die Ecke angesiedelt werden, weil er vor ihnen Angst hat. Aber wenn meine blöden Facebook-Freunde dann dauernd sagen, das sind Faschos, Sexisten und Rassisten, wenn die sich da voll einen ablabern, dann denke ich mir: „Ihr seid doch nicht besser.“ Ich meine: So wie wir drei hier sitzen, gehören wir doch zu einer Art ungewollten Elite, eine Brain- oder Toleranz-Elite. Wir können es uns leisten, nicht feindlich gegenüber Neuerungen zu sein.

Im Gegensatz zu Didi ist der kleine Stulle ja ebenfalls eher ein Gutmensch.

Stulle ist ein schwieriger character. Ich habe ihn natürlich als den Guten konzipiert und anfangs auch als heimliches Genie, bei dem man immer dachte, er kann alles, nur Didi hält ihn zurück. Aber Didi ist eigentlich der interessantere Typ, hochgradig versponnen; er hat zu allem seine komplett absurde Meinung, er nimmt sich seinen Platz in der Welt. Ohne Didi ist nix los. Zum Schluss wurde Didi immer mehr mein Held.

Er ist ein krasser Sadist!

Das stimmt, aber ich sehe diese Struktur immer in Freundschaften. Ich habe ja jetzt zwei Bücher geschrieben und meine Freunde schreiben auch alle. Jetzt könnte ich die anrufen und sagen: Boah, also mit meinen Büchern läuft es total gut! Mache ich nicht, aber andere machen das, die quälen einen gerne ein bisschen. Du definierst dich halt auch ein bisschen darüber, dass du über deinem Freund stehst. In Beziehungen ist das auch ganz krass.

Irgendwie führen Didi & Stulle ja eine Art Beziehung, oder?

Liebe ist schon da, sexuelle Begierde eher bei Didi. Er hat schwule Tendenzen, die er sich natürlich nicht eingesteht. Und was ich früher gar nicht wusste, aber total Sinn macht: Das Sexualzentrum liegt im Hirn direkt neben dem Aggressionszentrum. Diese ganze Wut, das Hauen, das ist natürlich auch fehlgeleitete Sexualität.

Haben Sie eigentlich mal Probleme bekommen wegen Beleidigung oder Pornografie?

Das Verrückte ist: Mit Didi & Stulle nie. Mit meinen anderen Comics, auch in der zitty, habe ich irrsinnig Ärger gehabt, bis hin zu Mord- und Kastrationsdrohungen, aber mit Didi & Stulle hatte ich totale Narrenfreiheit. Einmal, da war gerade mein Kind unterwegs, hab ich eine Sequenz gezeichnet, wo Didi Stulle in den Bettkasten sperrt. Er bohrt ein Loch hinein und dann fickt er dieses Loch. Du siehst den erigierten Schwanz, und der spricht sogar, mit französischem Akzent. Ich habe das in nackter Panik gemalt, weil ich dachte, mein Leben ist jetzt vorbei. Warum die das durchgewunken haben, weiß ich bis heute nicht.

Sie haben die Grenzen des Humors ausgetestet?

Ich frage mich immer: Ist es lustig oder nicht? Nicht: Ist es korrekt oder nicht? Außer bei Rassismus und Gewalt gegen Frauen. Einmal hab' ich bewusst provoziert, da sagt Didi: „Wir waren arm, statt Internet hatten wir nur einen Bottich mit Amselfotzen.“ Das macht natürlich überhaupt keinen Sinn. Aber als dann gar nichts kam, hat mich das eher traurig gemacht. Ich dachte: „Ich habe kein Korrektiv, ich werde immer schlechter werden!“ Wurde ich auch. Wie die neue Metallica, die ich mir als alter Fan geholt habe. Zu denen sagt halt auch keiner: „Das ist zu lang! Macht mal 'ne Melodie oder so!“

Sie haben mal gesagt, Didi & Stulle seien von Bikern im Märkischen Viertel inspiriert.

Ja, von Leuten, mit denen ich als Kind und Teenie abgehangen habe. Das waren so Turnschuh-Biker, die hatten gar kein Motorrad, aber die sahen halt aus wie die jungen Metallica. Ich hatte vor denen immer Respekt, auch wenn die mir nie was Böses getan haben. Ich konnte immer zu denen sagen: „Ihr seid zu fünft, ich bin allein“ – das haben sie eingesehen.

Und das hat Ihnen gefallen?

Die hatten so einen trockenen Berliner Humor und so eine Selbstsicherheit, die wir als Punks oder Waver nicht hatten. Die hatten so eine enge Welt. Es war ganz klar, was für ‘ne Mucke die hören und was für Freundinnen die haben. So überkandidelten Frauen, die wir gut fanden, da haben die nur gesagt: “Die spinnt.“

Ganz schön sexistische Typen auch. Was interessiert Sie am Sexismus?

Ich bin ja ein Kind der 80er, mit den ganzen Diskussionen, ob man einem Mädchen die Tür aufhalten darf. Die Antwortet lautete natürlich: Nein, das ist sexistisch. Wir haben uns nichts getraut. In den Neunzigern war es wieder anders, da hatte man so eine Freude am politisch Unkorrekten, weil man sich als Mann ein bisschen freigestrampelt hat aus diesem Korsett.

Warum kommen bei Didi & Stulle fast keine Migranten vor?

Das habe ich mir verkniffen: Ich will nichts machen, was eine Vorlage sein könnte für Rassismus. Ich habe auch in Wedding und Moabit gewohnt, ich kann nicht alle Migranten als freundliche, positive Typen darstellen. Nicht, weil sie einer anderen „Rasse“ angehören würden, sondern weil viele die Kinder von Bauern und ihre Eltern krass zu ihnen sind. Ich finde es ein bisschen traurig, dass man in der linken Szene komplett blind ist auf diesem Auge.

Jetzt wohnen Sie schon lange in Prenzlauer Berg. Wo haben Sie denn da Ihre Didi & Stulle abgeholt?

Das ist tatsächlich eine Diskrepanz und auch ein Grund, warum es sich ein bisschen erschöpft hat. Irgendwann habe ich aber auch gedacht, ich könnte hervorragende Comics über die Hipster und Touristen machen …

Also nur noch Bühnenshows und Bücher?

Comiczeichnen ist für mich persönlich ein bisschen vorbei. In der letzten Zeit wurden ja Graphic Novels so gehypt, also Comics mit ernsten Themen, von Leuten, die gar nicht gut Comics zeichnen können, die das wie ein Storyboard auffassen. Die ganze Szene ist so lahm geworden, nicht mehr so Undergroundtypen wie früher, wie Seyfried oder Ralf König oder Walter Moers. Das waren alles Dropouts, und das waren meine Helden. Und Leute wie OL oder ©Tom und ich, wir haben alle keine Ausbildung, wir sind Schluffis gewesen, Spontis. Jetzt sind das alles Hochschulabsolventen.

Anarchie in den Literaturbetrieb reinbringen ist ja auch nicht gerade eine kleine Mission.

Nee. Aber ich mache das. Und nicht nur Anarchie, sondern auch die Freude am Genre. Ich werde Horrorgeschichten schreiben oder fantastischen Realismus. Dass der Held Superkräfte entwickelt und fliegen kann. Das hat in Deutschland nie funktioniert, aber ich werde der sein, der das macht. Jetzt noch nicht, jetzt habe ich zwei superkonventionelle Bücher geschrieben über meine Jugend in den 80er Jahren, was jeder Depp macht, aber das ist nur …

… zum Anwärmen.

Genau.

Und der Erfolg?

Der gibt mir recht.

Leute wie der Ärzte-Sänger Farin Urlaub sagen über Sie: Der Fil könnte so berühmt sein, der könnte reich sein …

Ja, reich wäre gut.

Berühmt nicht?

Ich sage meiner Tochter immer: Das beschissenste Leben hat Brad Pitt. Der kann ja nicht mal Einkaufen gehen. Ich finde andere Sachen geil. Im Urlaub in Spanien habe ich mal aus Steinen ein riesiges AC/DC-Zeichen gebaut, riesengroß, aus mannshohen Lettern, genau in der Schrift, mit dem Blitz in der Mitte. Keiner wusste, wer es gemacht hat, aber alle haben gestaunt. Das ist eigentlich einer meiner größten Erfolge.

Sie wollen gar nicht erfolgreich sein?

Motörhead waren immer meine Vorbilder, weil sie gesagt haben: Wir sind die Größten von den Kleinen. Das bin ich auch. Von den Erfolglosen bin ich der erfolgreichste. So kann man auch happy sein.

Wirklich?

Ich könnte bestimmt berühmter sein, ich habe auch vom Fernsehen immer wieder Angebote bekommen. Aber dann lebt man in dieser äußeren Welt, und das Privatleben wird dünn. Da hätte ich keinen Bock drauf. Man muss in seinem persönlichen Leben ein Held sein. Auch, wenn das irgendwie moralisch klingt.

Könnte es sein, dass Didi & Stulle irgendwann wiederauferstehen?

Ist nicht auszuschließen. Ich würde mich freuen, wenn ich mal wieder anfangen würde zu zeichnen. Das mache ja jetzt seit zwei Jahren nicht mehr. Aber der Mensch ist auch faul, und Zeichnen ist irre anstrengend – was man gar nicht denkt, weil man Comics so schnell liest. Egal: Ich würde gern wieder mit denen anfangen, es dann aber von einer anderen Seite angehen. Ich weiß nur noch nicht, von welcher. Man müsste vielleicht stärker an die Gegenwart andocken, sie noch besser in Berlin verorten. Aber jetzt verkaufen wir erstmal diesen Schuber.

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