Buchautorin über den Berliner Witz: „Volle Kanne geradeaus“

Anfangs kam Roswitha Schieb gar nicht klar mit der Berliner Schroffheit. Nun hat sie eine Kulturgeschichte des Berliner Humors verfasst.

Ein Mädchen und ein Hund

Heinrich Zilles „Lieschens Weihnachten“ aus dem Jahre 1914 (Ausschnitt) Foto: akg-images/picture alliance

taz: Frau Schieb, was ist Ihr Berliner Lieblingswitz?

Roswitha Schieb: Auf diese Frage habe ich gewartet. Vielleicht der: Ein älterer Junge, acht, fragt einen Sechsjährigen: Wie alt biste denn? Na sechse. Haste denn schon mal jeroocht? Nee. Haste schon mal ne Molle gezischt? Nee. Haste schon mal mitm Mädchen jeknutscht? Nee. Denn biste ooch keene sechse.

Schnoddrig.

Straßengören halt. Oft sind das auch gar keine Witze, sondern Redensarten, flotte Widerworte.

Roswitha Schieb, geboren 1962 in Recklinghausen, ist Kulturwissenschaftlerin und Buchautorin. Zuletzt veröffentlichte sie eine Berliner Literaturgeschichte

Der Berliner Witz ist also eher die Berliner Gewitztheit.

Genau, oft entsteht die im Dialog, da gibt ein Wort das andere.

Sie haben über schlesische Spuren in Berlin geschrieben oder einen literarischen Reiseführer Breslau herausgegeben. Warum jetzt der Berliner Witz? Droht er etwa auszusterben?

Ganz so schlimm ist es nicht. Es gibt ja die Berliner noch, auch wenn die Milieus, in denen der Berliner Witz entstanden ist, teilweise weg sind. Aber tatsächlich wird er immer wieder totgesagt. Schon 1850 beklagte sich Fontane, der Berliner Witz sei auf den Hund gekommen.

In der Werbung, zum Beispiel in der U-Bahn, ist er tatsächlich nicht mehr so präsent wie vor dem Mauerfall.

Als ich gerade in die taz gefahren bin, war in der U-Bahn eine Werbung des Senats für das Masketragen: „Bevor du rumgurkst, zieh dir einen über die Rübe.“ Oder die Aufschriften auf den BSR-Papierkörben, das steht schon in der Tradition der Sprachspielereien.

Wer versteht das denn noch? Seit der Wende hat sich die Berliner Bevölkerung zur Hälfte ausgetauscht.

Da kommt es bestimmt zu Missverständnissen. Nicht immer versteht der Schwabe die Berliner Art. Ich hab sie ehrlich gesagt auch lange nicht kapiert.

Sie sind 1982 aus Recklinghausen nach Berlin gekommen.

Dass diese Art von Schroffheit und einen vors Schienbeintreten nicht böse gemeint ist, habe ich erst lernen müssen. Erst mal war ich geschockt, wie grob die Leute reagieren, wenn man mit dem Fahrrad auf dem Bürgersteig fährt.

Oder der Busfahrer, der vom Fahrgast mit einer Frage belästigt wird und antwortet: Bin ick denn ’n Auskunftsbüro?!

Busfahrer, ganz schlimm. Irgendwann habe ich dann kapiert, dass man zurücktreten muss. Verbal, meine ich. Dann geht es wunderbar weiter.

Wenn man die richtigen Widerworte findet.

Und oft ist es ja so, dass die Berliner Art tatsächlich grob ist und nicht immer witzig. Das verstehen viele nicht.

Raed Saleh bei Krömer. Was für ein Witz.

Der Autor Thilo Bock ist auch großartig. Da ist vieles drin, was es auch schon im 18. und 19. Jahrhundert gab.

Braucht der Berliner Witz den Dialekt?

Nicht immer, aber meistens schon. Der Berliner Dialekt hat so etwas Naives, das kann man im Hochdeutschen gar nicht ausdrücken. Springen zwei Mädchen Springseil, sagt das eine: Na, Dora, lass mir mal. Sagt die Lehrerin, die dabei steht: Mich. Mich mal. Sagt das Mädchen: Okay, dann lass ihr mal!

Der Witz als Ergebnis eines Missverständnisses.

Und eines Sprachspiels mit dem Dialekt. Sagt das Mädchen zum Verehrer: Küss mir, Kasimir. Kasimir: Mich, Mädchen, mich. Mädchen: Küss mir, Kasimich.

Gibt es diese Art von Witz denn auch in anderen Großstädten?

Köln hat Tünnes und Schäl, auch so ’ne Figuren. Das ist aber eine andere Art von Witz, das ist nicht so schroff.

Stuttgart hat Häberle und Pfleiderer.

Wie sind die?

Langsam.

Der Wiener Witz ist noch viel fieser als der Berliner. Der tut erst harmlos, aber dann …

Hintenrum?

Hintenrum. Sagt der Berliner: Ich schlag dir ein Auge aus. Sagt der andere: Wenn du das noch mal machst, guck ich dich nicht mehr an. Der gleiche Witz geht in Wien so: Ich schlag dir ein Auge aus, und das andere lass ich dir zum Weinen.

Der Berliner Witz ist nicht hintenrum.

Nee, volle Kanne gradeaus.

Wie ist er denn entstanden?

Unter dem Soldatenkönig gab es rund ums Schloss eine gedrückte Atmosphäre, weil jeder damit rechnen musste, von der Obrigkeit verprügelt zu werden. Später entfaltete sich die öffentliche Lustbarkeit dann in Massenschlägereien.

Bolle reiste jüngst zu Pfingsten …

Und fünfe wurden massakriert. Das ist auch so ein bisschen wie der Rap entstanden. Erst kamen die Schlägereien, dann kam der Schlagabtausch. Aus dem realen Schlagen wurde die Schlagfertigkeit.

Das war Mitte des 18. Jahrhunderts.

Während der französischen Besatzung war der Witz dann so eine Art, sich durch die Verballhornung zu wehren.

Mach keine Fisimatenten.

Man benutzt den Wortschatz des Gegners, zieht ihn auf sein Niveau herunter und macht ihn dadurch lächerlich.

Die Sprachspielereien gehen vor allem auf den schlesischen Einfluss zurück, schreiben Sie.

Das ganze Redaktionsteam der Satirezeitschrift Kladderadatsch waren jüdische Schlesier aus Breslau. Die haben dann sehr erfolgreich den schlesischen und jüdischen Witz mit dem berlinischen vermengt. Damals hieß es, der Kladderadatsch habe ganz Deutschland vor dem Einschlafen bewahrt.

Wie politisch ist der Berliner Witz?

Schon zu Zeiten der Restauration Mitte des 19. Jahrhunderts hatte er eine Ventilfunktion. Wegen der Zensur hat man dann versucht, um die Ecke zu reden.

Auch in der Nazizeit?

Da gab es einmal den jüdischen Witz, etwa wenn der gelbe Stern selbstironisch „Pour le Sémite“ genannt wurde. Daneben gab es großartige sprachspielerische Kabarettisten wie Werner Finck und einen Volkswitz, allerdings durchaus nicht nur von Nazigegnern.

Berlin gilt heute als Stadt, in der man alles darf, aber nichts funktioniert. Was hat der Berliner Witz zum Image der Stadt beigetragen?

Herz mit Schnauze? Da ist natürlich was dran. Und Berlin ist ’ne flotte Stadt, nicht so lahm und behäbig. Tempo, und gleichzeitig muss man sehen, wo man bleibt.

Roswitha Schieb: Der Berliner Witz. Elsengold-Verlag, 240 Seiten, 25 Euro

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