Berliner Wochenrückblick II: Statt studieren Bude suchen
Für Erstsemester ist das Wohnangebot in Berlin eine Qual. Wohnheimplätze sind Mangelware und selbst WG-Zimmer mittlerweile von Bafög unbezahlbar.
Ein Zimmer in einer Berliner Wohngemeinschaft kostet im Schnitt 420 Euro, stellt eine am Montag präsentierte Studie des Moses-Mendelssohn-Instituts fest. Berlins WG-Zimmer sind damit auf Platz sechs der teuersten in Deutschland.
Angesichts der explodierenden Mietpreise in der Hauptstadt ist diese Nachricht wenig verwunderlich. Dramatisch sind allerdings die Konsequenzen, die sich hinter der Zahl verbergen, besonders für die rund 50.000 Studienanfänger, von denen sich viele im Herbst auf Wohnungssuche begeben werden.
Als ich vor fünf Jahren als frischer Student nach Berlin zog, kostete ein WG-Zimmer im Schnitt „nur“ 335 Euro. Einfach zu finden war es schon damals nicht. Zwei Monate verbrachte ich auf den Sofas verschiedener Freunde, bis ich auf einer Gartenparty zufällig meinen künftigen Mitbewohner kennenlernte.
Anstatt enthusiastisch in mein Studium zu starten, verbrachte ich meine Zeit vor allem damit, Dutzende Anfragen zu schreiben, mich bei WG-Castings zu präsentieren, Wohnungen zu besichtigen und mir darüber Gedanken zu machen, wo ich die nächste Woche unterkomme. Ich war damit weder ein Einzel- noch ein Härtefall.
Wenigstens hatte ich Freunde in Berlin, andere mussten sich in Hostels einquartieren, hangelten sich von Zwischenmiete zu Zwischenmiete und hatten zum Semesterende immer noch keine feste Bleibe.
Wohnheimplätze? Fehlanzeige
Wohnheimplätze? Fehlanzeige, Wartezeiten von drei Semestern waren auch schon 2013 die Norm. Um sich zu bewerben, muss man an einer Berliner Hochschule immatrikuliert sein. Nur mit viel Glück lässt sich zu Studienbeginn ein Platz in deren oftmals abgelegenen Wohnheimen finden.
Die Situation dürfte sich seitdem noch verschlimmert haben. Die Zahl der Studierenden wird auch dieses Wintersemester einen neuen Höchststand erreichen. Es wurden aber entgegen großspuriger Ankündigungen des Senats kaum neue Wohnheimplätze geschaffen. Dafür gibt es immer mehr private Heimbetreiber, die hippe Einzelappartements für 800 Euro und mehr vermieten.
Leidtragende sind vor allem finanziell schwache Studierende. Selbst mit dem Bafög-Höchstsatz von 735 Euro ist ein Studium in Berlin ohne Nebenjob nicht mehr finanzierbar.
Besonders benachteiligt sind auch Studierende aus dem Ausland. Sie können vor Studienbeginn nicht persönlich zu Castings und Besichtigungen erscheinen, kennen sich mit der Wohnungssuche in Berlin nicht aus und werden häufiger Opfer von Betrügern.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott