Berliner Wochenkommentar II: Wehe dem, der rausmuss
Die neuen Obergrenzen der Mieten bei Hartz IV helfen vielen. Doch wer eine neue Wohnung sucht, hat es weiterhin schwer.
Für Tausende Hartz-IV-EmpfängerInnen war die Erhöhung der Mietobergrenzen zum Januar 2018 eine echte Erleichterung. Das zeigen Zahlen, die die Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linkspartei) am Mittwoch veröffentlichte. Zwangsumzüge gab es demnach bis Ende Juni nur halb so viele wie im ersten Halbjahr 2017. 51.000 Bedarfsgemeinschaften, deren Miete bisher teurer war als die Richtwerte, bewegen sich jetzt im grünen Bereich, die Betroffenen müssen nicht mehr Geld aus dem Regelsatz selbst drauflegen. Alleinerziehenden wird etwas mehr Platz zugestanden, und auch anderen Gruppen hat der Senat Ausnahmen eingeräumt – sie dürfen die Richtwerte um 10 Prozent überschreiten.
Doch wehe dem, der aus seiner bisherigen Wohnung rausmuss, sei es wegen einer Eigenbedarfskündigung des Vermieters, weil die Wohnung zu klein oder schlicht zu teuer geworden ist. Ein Beispiel: Einer vierköpfigen Familie zahlen die Behörden seit Januar eine Bruttokaltmiete von 680 Euro pro Monat, 90 Quadratmeter gelten als angemessen. Für dieses Geld finden sich in Immobilienportalen aber nur Wohnungen außerhalb der Innenstadt, die allermeisten davon deutlich kleiner.
Die Sozialverwaltung kennt die hohen Mietpreise auf dem Markt natürlich und sieht deshalb bei Neuanmietungen einen Zuschlag von 20 Prozent vor. Aber auch für 816 Euro gibt es in der Innenstadt kaum Wohnungen mit mehr als zwei Zimmern. Die besten Chancen auf eine Dreizimmerwohnung zu diesem Preis haben Suchende – wen wundert’s – am Stadtrand, etwa in Spandau und Hellersdorf.
Die Senatorin hat am Mittwoch eine positive erste Bilanz der neuen Vorschriften gezogen. Und es stimmt: Die Überarbeitung der Richtlinien trägt eine linke, soziale Handschrift, sie kann einem Teil der arbeitslosen BerlinerInnen ganz konkret das Leben erleichtern. Wenn Breitenbach aber meint, damit die Entmischung der Stadtviertel verhindern zu können, dann liegt sie falsch: Die Preise bei Neuanmietungen sind längst weitergestiegen – und ziehen den Vorgaben der Sozialverwaltung gnadenlos davon.
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