Berliner Verkehrspolitik: Friedrichstraße frei für Autos
Das Verwaltungsgericht erklärt die Sperrung der Friedrichstraße für ungültig. Die freie Fahrt für Autos könnte aber begrenzt sein.
Die Richter gaben damit der Klage einer Geschäftsinhaberin an der Friedrichstraße im Eilverfahren recht. Die Voraussetzungen für eine Straßensperrung lägen nicht vor, urteilten die Richter. Denn eine Straßennutzung könne nur dann eingeschränkt werden, wenn es eine „konkrete Gefahr für die Sicherheit“ gebe. Die Senatsverwaltung für Verkehr habe die Sperrung für Autos aber nur mit mehr „Aufenthaltsqualität in der Friedrichstraße“ begründet. Das reiche nicht aus.
Eine spätere, langfristige Umgestaltung zur Fußgängerzone betrifft der Eilentscheid aus Sicht von Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) nicht. „Das Verfahren zur endgültigen Umwandlung und die Einrichtung der Fahrradstraße in der Charlottenstraße laufen unabhängig von der heutigen Gerichtsentscheidung weiter“, hieß es von der Grünen-Politikerin. Ob es außerdem zu einem Berufungsverfahren am Oberverwaltungsgericht gegen den Eilentscheid kommt, ließ die Jarasch-Verwaltung am Dienstag offen.
Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) gab indes am Dienstag nach der Senatssitzung zu verstehen, dass sie eine schnelle Umsetzung der Gerichtsentscheidung erwarte: „Es ist ein Urteil gefallen, und das muss auch zügig umgesetzt werden“, sagte Giffey.
Die Sperrung der Straße hatte im Spätsommer 2020 nach viel Vorlauf als sogenannter Verkehrsversuch begonnen. Die Entscheidung, den knapp einen halben Kilometer langen Abschnitt zwischen Leipziger Straße und Französischer Straße Fußgängern und Radfahrern vorzubehalten, sollte die Straße beleben – Händler zeigten sich aber schon damals skeptisch, sie befürchteten Umsatzeinbußen und weniger Publikumsverkehr.
Die im Dezember 2021 ins Amt gekommene neue grüne Verkehrssenatorin Bettina Jarasch stoppte im Frühjahr das Projekt ihrer Vorgängerin Regine Günther. Zu groß war die Rückmeldung, dass der Radverkehr auf zwei Spuren in der Mitte der Straße einer echten „Flaniermeile“ im Weg steht. Dort ist das Tempo zwar auf 20 km/h beschränkt – viele Radler sind aber schneller unterwegs.
Jaraschs neuer Ansatz: Die Sperrung beibehalten, aber den Fahrradstreifen in der Mitte beenden und Radler durch benachbarte Straßen führen. Für dieses Ziel „Fußgängerzone“ läuft ein Antrag der Jarasch-Verwaltung beim Bezirksamt Mitte, der die Einstufung der Friedrichstraße als öffentliche Autostraße beenden soll.
Kommt der durch, wäre die Rechtsgrundlage eine andere. Die Verkehrsbehörde müsste sich nach einer solchen offiziellen Umwidmung nicht mehr auf den Gefahren-Paragrafen berufen. Laut einer Sprecherin von Jarasch soll dieser „verwaltungsrechtliche Prozess“ im Frühjahr 2023 abgeschlossen sein. Beschleunigen könne man das Verfahren nicht, „weil Fristen eingehalten werden müssen“, hieß es. Ein weiterer Senatsbeschluss für eine autofreie Friedrichstraße sei dann aber nicht erforderlich.
Steilvorlage für Opposition
Die Opposition nahm das Urteil am Dienstag als Steilvorlage: „Diese Klatsche für den rot-grün-roten Senat war absehbar“, war von CDU-Partei- und Fraktionschef Kai Wegner zu hören. Die Geschäftsleute in der Friedrichstraße und den Nebenstraßen hätten deutliche Einbußen hinnehmen müssen – „die Straße verkam zur Rennstrecke für Fahrradfahrer“.
Grundsätzlich wurde FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja: „Auf einen Senat, der immer und immer wieder wissentlich Recht bricht, kann man sich nicht verlassen.“ In der rot-grün-roten Koalition habe Ideologie dazu geführt, „dass einem offensichtliche Rechtsvorschriften und die Anliegen der Menschen egal sind“.
Die Interessenvertretung Mitte e. V., in der vor allem Gewerbetreibende organisiert sind, forderte indes „eine internationale Ausschreibung für die Historische Mitte unter verkehrspolitischen sowie städtebaulichen Aspekten und keine provinzielle Planung um einen gescheiterten Verkehrsversuch von ein paar Hundert Metern herum“.
Auch bei den Verkehrswende-Lobbyisten von Changing Cities war die erste Reaktion am Dienstag eine entsetzte, aber aus anderem Grund: „Es ist furchtbar, dass immer erst Menschen zu Schaden kommen müssen, bevor eine verkehrliche Umgestaltung von Straßen möglich ist“, sagte Sprecherin Ragnhild Sørensen der taz.
Sørensen spielte damit auf die strikte Auslegung des Gefahren-Paragrafen 45 in der Straßenverkehrsordnung an. Der hatte auch schon beinahe die Pop-up-Radwege gekippt, die während der Pandemie entstanden – bevor die Verkehrsverwaltung argumentativ nachbesserte. Nun müsse man bei der Friedrichstraße aber in die Zukunft schauen, betonte Sørensen: „Bisher war das Prinzip des Shared space in der Friedrichstraße nicht gut kommuniziert. Das kann sich jetzt mit einem neuen Fußgängerkonzept ändern.“ Klar sei: „Die Lösung kann ja nicht sein, einfach die Autos wieder zurückzuholen.“
Franziska Giffey machte indes klar, dass selbst eine Umwidmung zur Fußgänger- und Radfahrerzone für sie nicht die Lösung sei: „Einfach entwidmen und dann gucken, was wird“ sei nicht der richtige Weg. Es brauche ein breit angelegtes Konzeptverfahren für den ganzen Bereich rund um die Friedrichstraße, der auch die Charlottenstraße mit einbeziehe. Wann sich da etwas bewegt, ist aber derzeit noch nicht absehbar. Die Verkehrsverwaltung will dazu auch die Zivilgesellschaft beteiligen.
Eine zweite Chance
Der Sprecher des Fußgänger-Lobby-Verbands Fuß e. V., Roland Stimpel, betonte gegenüber der taz: „Das ist jetzt eine zweite Chance für die Friedrichstraße.“ Statt schnurgerader, breiter „Radschnellwege“ müsse der Radverkehr „so geführt werden, dass auch Fußgänger tatsächlich flanieren können“. Und an die Adresse des Einzelhandels in der Friedrichstraße: „Ich hoffe, sie überlegen sich ihrerseits, wie sie Kunden zurückgewinnen wollen, die sie jetzt durch die Autos und die schlechtere Luftqualität vor ihren Geschäften vergraulen werden.“
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