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Berliner SzenenSo was gibt’s hier überall

Unsere Autorin bleibt stehen, als sie auf dem Bürgersteig einen stark alkoholisierten Menschen liegen sieht. Die Reaktionen anderer verstören sie.

Saufen, bis man umfällt: Exzessiver Konsum führt zu mehr Alkoholleichen Foto: Silas Stein/dpa

E s sind noch zehn Minuten bis zur Vorstellung. Das Kino ist nicht weit, voller Vorfreude springe ich die Stufen der U-Bahn-Station des Zoologischen Gartens hoch. Und bleibe abrupt stehen. Vor meiner Nase liegt ein kräftiger Mann, Mitte 40. Seine Kleidung ist verdreckt, sein hochgerutschtes T-Shirt zeigt seinen behaarten Bauch, sein Hosenstall ist halb offen. Die Pupillen sind nach hinten gedreht.

Ich greife zum Handy, da kommt schon ein junger Mann auf mich zu, er erscheint mir wie ein Teenager. „Ich rufe einen Krankenwagen“, sichert er mir zu. Ich nicke und packe mein Handy wieder ein. Hilflos stehe ich neben dem alten Mann, der nicht auf meine Fragen reagiert.

Da kommt eine Frau, ebenfalls um die Mitte 40, und tritt mit ihren Füßen gegen die Faust der Alkoholleiche. Sie lacht und ruft mir Dinge zu, die ich akustisch nicht verstehe. Auf einmal werde ich von der Seite angequatscht.

„Seid ihr Touris?“, fragt ein Mann und hebt sein Kinn in Richtung des telefonierenden Teenagers. Als ich ihn verständnislos anstarre, wiederholt er seine Frage. Dann zeigt er mit seiner Bierflasche auf den liegenden Mann. „So was gibt’s in Berlin überall, das ist Alltag!“ Rückwärts gehend brüllt er mir zu, dass sich in Berlin niemand um Alkoholleichen schere – und ich mich gefälligst an die Realität gewöhnen solle.

Warum Brüllen die denn alle so?!

Ich hab sein Gebrüll noch nicht verarbeitet, da schreit mich auch die Frau an: „Halt dich fern von uns!“, brüllt sie und droht mit hoch erhobenem Finger. „Lass dich nie wieder blicken!“ Der Teenager versichert mir, dass er warten wird, bis der Krankenwagen kommt.

Nach dem Kino laufe ich zurück zur U-Bahn. Der Mann von vorhin ist weg, dafür lehnt nicht weit entfernt ein anderer betrunken an einer Wand. Ich laufe vorbei – und frage mich, ob ich mich daran gewöhnen will.

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Shoko Bethke
Nachrichtenchefin/CvD
In Tokyo und Hamburg aufgewachsen, Auslandsjahr in Shanghai. Studium in Berlin, Chongqing und Halle. Schreibt seit 2021 für die taz. Kolumnistin des feministischen Magazins an.schläge (Foto: Hella Wittenberg)
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4 Kommentare

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  • Wo fängt Gewöhnung an und hört Abstumpfen auf?



    Seit wann sind Berliner:innen für ihre Herzlichkeit bekannt? Jede Busfahrt führt mir das vor Augen.



    Im Hinblick auf die Hilfe-Situation bringt die Lektüre des Bystander-Effekts vielleicht Klarheit.

  • 4G
    49732 (Profil gelöscht)

    Berlin halt!

  • Da widerspreche ich der Autorin entschieden. In meinen 27 Jahren die ich in Berlin lebe habe ich immer wieder gesehen wie diesen Leuten geholfen wird, trotz der außerordentlichen Zahl an Betrunkenen. Sie schrieb es ja sogar in ihrem Artikel, dass es hilfreiche teenager gab, die sogar läbger geblieben sind.

  • Ich habe mir schon vor langer Zeit angewöhnt, in solchen Fällen immer die 112 anzurufen. Da hat man am anderen Ende dann jemanden, der tough ist und einem genau sagt, was zu tun ist.

    Das sind Profis, die können mitunter durch gezieltes Fragen die Situation besser einschätzen, als man selbst, zumal man verunsichert und aufgeregt ist.

    Noch nie bekam ich zu hören, dass mein Anruf überflüssig wäre. Und wenn die Lage als ernst eingeschätzt wurde, kam postwendend ein Rettungswagen.