Berliner Szenen: Meine Hood, Alter
Auf den Spuren der eigenen Kindheit in Berlin-Rixdorf. Ein Platz hat einen neuen Namen, aber der Geruch ist derselbe wie früher.
I n der Mittagspause vom Schmiedekurs laufe ich in Berlin-Rixdorf rum. Die Pommesbude hat zu. Wieso hat die zu? Hm. Hatte die immer samstags zu? Glaube eigentlich nicht, aber egal. Wird wieder aufmachen. Muss. Die anderen Kursteilnehmer sind irgendwo essen gegangen, ich will lieber laufen und gucken. Der Herbst quetscht noch einen Rest Sonne raus.
Wo genau das ist, wo ich aufgewachsen bin, hat mich die eine aus dem Kurs gefragt, und ich hab gesagt: „Gleich hier die Straße runter, vielleicht 400 Meter“, und jetzt gucke ich auf meinem Handy in der Karten-App, wie weit das Haus weg ist, wo wir früher gewohnt haben, und es sind genau 400 Meter. Ha! Rixdorf, meine Hood, Alter. Ich laufe vom Richardplatz aus runter.
Auf dem Platz zwischen Böhmische und Kannerstraße steht ein Schild, „Freundschaftsplatz“ steht da. Hä? Seit wann heißt der so. Was denn für ’ne Freundschaft? Der hieß immer „der Platz vor Aldi“, aber Aldi gibt’s nicht mehr, und da hinten links war Bolle, und Bolle gibt’s auch nicht mehr. Platz der Suffnasen ginge vielleicht noch.
Ich laufe die Straße weiter, Kannerstraße, meine Straße. Wo ich gewohnt hab, bis ich zwölf war. Es riecht nach Herbst und Hundekacke. An jedem anderen Ort der Welt würde mich das nerven, aber hier ist es schön. Hundekacke ist so sehr der Geruch meiner Kindheit – also neben viel anderem Zeugs, Leckmuscheln und Flohmarktbarbies –, dass mich das hier nicht stört.
Unser Haus steht immer noch, es sieht dreckig aus. In meiner Erinnerung ist es hellgelb, heute ist es grau wie eine alte Ratte. Als ich vor ein paar Jahren hier war, gab es auf dem Weg zu den Häusern ein dickes, neues Eisentor, man kam nicht rein, ohne zu klingeln. Heute ist das Tor auf. Ich gucke unsere Haustür an und den Spielplatz. „Suchen Sie was?“, fragt mich ein Mädchen mit pinkem Kopftuch. „Nee, danke“, sage ich, „ich hab hier nur mal gewohnt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Experten warnen vor Trump-Zöllen
Höhere Inflation und abhängiger von den USA
Die Brennelementefabrik und Rosatom
Soll Lingen Außenstelle von Moskaus Atomindustrie werden?
Klimagipfel in Baku
Nachhaltige Tierhaltung ist eine Illusion