Berliner Szene: Die Nummer

Selbst, wenn die bürokratischen Anliegen klein sind: Die Zeit, die man als Bürger in den Warteräumen der Berliner Bürgerämter verbringt, kann mitunter recht lang sein.

Dies ist kein biometrietaugliches Passfoto. Bild: Cathrin Bach

Wir sind gekommen, um sitzen zu bleiben. Wir sind gekommen, um eine Nummer mit dem Amt zu schieben. Es ist 13.06 Uhr, ich habe mich mit der Nummer 125 eingeloggt. Im Bürgeramt Berlin-Neukölln. Abmeldung des Zweitwohnsitzes.

Der Wartesaal ist unruhig und voll. Nicht alle schauen geradeaus in Richtung der Tafel, auf der die Nummern erscheinen, die mal dreistellig, mal irre lang in erratischer Folge erscheinen. Nein, die meisten stehen und reden, kommen und gehen, telefonieren und schwadronieren.

Vor mir sitzt eine junge Mutter mit grünen Schuhen. Das Kind lutscht hingebungsvoll an einer halb leeren Trinkflasche. Es sieht zufrieden aus. Ich muss an meine Mutter denken, die mir, wie sie mir kürzlich erzählte, zum zweiten Geburtstag den Schnuller abgenommen hat. Und ihn dann wegwarf. Ich sollte endlich reden, begründete sie ihren herzlosen, drastischen Schritt.

Nummer 104 wird an Platz 5 gerufen. Ich schaue auf meine Nummer und betrachte dann die Laufmaschen meiner Sitznachbarin, einer üppigen Frau, die in einer fremden Sprache in ihr Telefon redet. Irgendwann steht sie auf und geht. Aber wohin? Geht sie einfach und lässt ihre Nummer verfallen? Den Zettel hat sie wohl mitgenommen.

Auf ihren Platz setzt sich eine Chinesin mit blinkendem Helm. Ihr folgt ein Mann mit einer Hüfttasche, die er vor oder besser: statt seinem Penis hängen hat. Der Klingelton der Mutter vor mir: „Hey Ladies“ von den Beastie Boys.

14.46 Uhr, Nummer 117 wird an Platz 10 gerufen. Platz 8 hat sich schon seit 37 Minuten nicht mehr gemeldet. Es müssten mehr Leute eingestellt werden, damit weniger Leute warten müssen. Eine einfache Rechnung.

Dann kommt meine Nummer, und alles geht schnell. Ein Ausdruck, eine Unterschrift, auf Wiedersehen.

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