Berliner Stadtautobahn A100: Doch lieber für Fahrräder öffnen?
Nach ein paar Tagen im Betrieb sehen sich die KritikerInnen der A100-Verlängerung schon bestätigt. Chaos herrscht bisher aber nur punktuell.

Nun das große Aber: So viel freie Fahrt gibt es nur außerhalb der Rushhour, und ab kommender Woche werden die Karten mit dem Ende der Schulferien ohnehin wieder neu gemischt. Auch in den vergangenen Tagen blieb bei Weitem nicht alles so entspannt wie auf der Testfahrt: Am Freitag etwa stauten sich die Fahrzeuge so weit auf die Autobahn zurück, dass die Strecke zeitweise gesperrt werden musste – denn sie führt durch einen Tunnel, und in Tunneln dürfen Autos nach Möglichkeit nicht stehen.
Für viele kritische BeobachterInnen haben sich damit alle Befürchtungen eines ohne Not geschaffenen Verkehrschaos bewahrheitet. „Dass der neue Abschnitt schon am zweiten Tag wegen Überlastung gesperrt werden musste, ist der deutlichste Beweis dafür, wie berechtigt unsere Warnungen waren“, sagt Claudia Leistner, grüne Verkehrsstadträtin von Treptow-Köpenick, der taz.
Verschärftes Nadelöhr
Das Nadelöhr an der noch nicht fertiggestellten Elsenbrücke habe sich verschärft, so Leistner. Schon jetzt erreichten sie Beschwerden von BürgerInnen. Besonders betroffen seien die Fahrgäste der BVG-Busse auf der Elsenstraße: Dort komme es offenbar zu Verspätungen von bis zu 30 Minuten, und Busse wichen notgedrungen auf Radstreifen aus. Leistner: „Eine Situation, in der am Ende alle verlieren.“
Die ebenfalls grüne Verkehrsstadträtin von Friedrichshain-Kreuzberg, Annika Gerold, schlägt in dieselbe Kerbe und erinnert daran, dass ihr Bezirk immer gefordert habe, mit der Eröffnung mindestens bis zur Teilinbetriebnahme der neuen Elsenbrücke Anfang 2026 zu warten. „Der Senat hat uns leider abblitzen lassen und unsere Einwände ignoriert“, so Gerold. Wie Leistner fordert auch sie von der Landesregierung, eine vorläufige Sperrung des 16. Bauabschnitts „ernsthaft zu prüfen, um weitere Verkehrsbeeinträchtigungen und Schäden abzuwehren und die Menschen vor Ort vor Verkehrschaos, Immissionen und Lärm zu schützen“.
Verkehrsforscher Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) sieht das genauso, und er hat sogar eine überraschende Idee für die Übergangszeit: „Warum öffnen wir die Autobahn solange nicht für den Fuß- und Fahrradverkehr?“, fragt er sich und den Senat. „Das hätte etwas Spektakuläres und wäre ein tolles Signal für die ganze Welt.“
Knie sagt, die Probleme seien absehbar gewesen und würden sich nach Ende der Urlaubszeit noch zuspitzen: „Wir Menschen sind opportunistische Wesen, und natürlich haben wir hier eine Einladung zu mehr Verkehr.“ Die neue Autobahnverbindung erzeuge „neue Verkehre, die vorher nicht da waren“, anstatt – wie vom Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) beteuert – die Kieze zu entlasten.
Der Wissenschaftler vermutet, dass die bundeseigene Autobahn GmbH als Bauherrin und Betreiberin der A100 die Eröffnung zum jetzigen Zeitpunkt mit all den erwartbaren Problemen „sehr bewusst“ gewählt habe: „Damit haben sie ihre Begründung für den 17. Bauabschnitt nach Friedrichshain.“ Der ist bekanntlich schon Teil des Bundesverkehrswegeplans, der Gesetzescharakter hat, aber ohne klare Unterstützung durch das Land schwerlich umzusetzen sein wird. Aktuell ist in Berlin nur die CDU dafür, das horrend teure nächste Teilstück zu bauen, die SPD sperrt sich dagegen – was sich auch wieder ändern kann.
Auf taz-Anfrage will sich die Senatsverkehrsverwaltung gar nicht zum Thema äußern und verweist auf die Autobahn GmbH. Deren Sprecher für die Region Nordost, Ralph Brodel, kann die aktuelle Aufregung nicht ganz nachvollziehen. „Wir hatten bei der Informationsveranstaltung im April zusammen mit der Senatsverwaltung klar darauf hingewiesen, dass es natürlich zu Behinderungen kommen wird, bis die Elsenbrücke fertig ist.“ Man analysiere jetzt ständig die Lage und steuere bei der Programmierung der Lichtsignalanlagen nach.
Im Übrigen, so Brodel, gebe es zu Spitzenzeiten auf allen Berliner Autobahnen immer wieder Staus. Das könne auch – wie am vergangenen Freitag auf der A100 in Neukölln – an einem Unfallfahrzeug liegen, das den Verkehrsfluss stoppe. Bei der Beurteilung der aktuellen Lage rät Brodel im Telefonat mit der taz zur Mäßigung: „Der ganze Abschnitt war jetzt 113 Stunden in Betrieb, und davon gab es 1,5 Stunden Stauerscheinungen.“
Ruhe im Kungerkiez
Es bleibt spannend, wie das Verkehrsexperiment A100 ausgeht. Der Treptower Kungerkiez, gleich um die Ecke der neuen Anschlussstelle, wirkt zumindest am Montagmittag eher ruhig – das Staugeschehen in Richtung Elsenbrücke fängt erst ein paar hundert Meter weiter an.
Dem Apotheker an der Elsenstraße, der das Verkehrsgeschehen immer gut im Blick hat, ist bislang keine Veränderung aufgefallen. Und er sieht das ganze eher von der positiven Seite: „Die ganzen Leute, die bislang von oder nach Neukölln unterwegs waren, sind ja vorher durch unseren Kiez gefahren. Da dürfte die Autobahn eher für Entlastung sorgen.“
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