Berliner Schulen: Noch viel zu wünschen übrig
Schüler*innen der Klassenstufen 3 und 8 schneiden noch schlechter ab als im Vorjahr. Gleichzeitig ist der Lehrer*innenmangel weiter hoch.
Hier an der Landsberger Allee, direkt neben dem Europasportpark, ist Berlins erste Compartmentschule nun fast fertig. Compartment, weil die Klassenräume im neuen Gebäude der Maria-Leo-Grundschule nicht mehr entlang langer Flure aufgereiht, sondern als offene, von mehreren Seiten zugängliche Räume mit großen Fensterfronten gebaut wurden, in denen die Schüler*innen selbstständig zwischen Schreibtischen, Stehtischen und Leseecken wechseln können. „Wir wollen hier Schule neu denken“, sagt Schulleiterin Sandra Scheffel. „Wir sind auf allen Ebenen inklusiv“, sagt sie und erzählt, wie viel Freude es ihr und dem Team bereitet habe, die Schule und das an Montessori-Pädagogik angelehnte Konzept zu entwickeln.
Vor diesem Hintergrund hat Schulleiterin Scheffel auch keine Probleme, Lehrer*innen zu finden die an ihrer Schule arbeiten wollen – im Gegensatz zu zahlreichen anderen Schulen in Berlin, die teilweise nur 80 Prozent oder sogar nur 60 Prozent ihres Stellenbedarfs mit ausgebildeten Lehrer*innen decken konnten.
Mehr Schüler*innen Im neuen Schuljahr lernen an den allgemeinbildenden Schulen 395.110 Schüler*innen - rund 6.500 mehr als im Vorjahr. Dazu kommen 80.180 Berufsschüler. Berlin hat sechs neue Schulen - insgesamt 706.
Neue Lehrer*innen Berlin hat auf 2.444 Vollzeitstellen zum aktuellen Schuljahr 3.225 Lehrer*innen neu eingestellt, 144 mehr als vor einem Jahr. Viele arbeiten Teilzeit. Darunter sind 1.164 "klassisch ausgebildete" Lehrer*innen, die anderen sind Quereinsteiger. (usch)
„Ja, es fehlen Stellen“, sagt Bildungssenatorin Günther-Wünsch. Aber der Unterricht sei von Lehrer*innen abgedeckt. Um Lehrer*innen zu entlasten, könnten Schulen nun auch Verwaltungsmitarbeiter*innen einstellen, oder Mitarbeiter*innen aus anderen Berufsfeldern, etwa Lerntherapeut*innen, pädagogisch Unterrichtshilfen, Sozialarbeiter*innen oder Erzieher*innen. Hoffnung mache ihr auch, dass Berlin mit rund 3.225 Personen mehr neue Lehrer*innen als noch zum vorherigen Schuljahresanfang eingestellt hätte. Im Mai hatte es noch so ausgesehen, als ob etwa 1.460 volle Lehrer*innenstellen frei bleiben würden – im Schnitt zwei pro Schule. „Das könnte sein, dass es doch weniger als befürchtet werden“, sagte Günther-Wünsch. Genaue Zahlen würden erst Ende September vorliegen.
Zahl der Schulplätze steigt
Berlins Schulen stehen damit weiterhin vor dem großen Problem: Der Lehrer*innenmangel verschärft sich und gleichzeitig steigt die Zahl der Schulplätze. Mit rund 395.110 Schüler*innen lernen mehr Kinder und Jugendliche als je zuvor an Berlins allgemeinbildenden Schulen. Darunter sind rund 7.500 Schüler*innen aus der Ukraine. Rund 1.100 geflüchtete Kinder und Jugendliche haben zum Schulstart noch keinen Platz bekommen können. Die Senatorin setzt für sie auf tagesstrukturierende und schulvorbereitende Maßnahmen. Und sie sieht eine leichte Verbesserung: „Im Mai hatten wir rund 1.700 Geflüchtete ohne Schulplatz“, sagt sie.
Ein weiterer Schwerpunkt sei, es, die Bildungsqualität zu verbessern – insbesondere angesichts der Ergebnisse aus den Vergleichsarbeiten, bei der Berlins Schüler*innen nochmals schlechter abgeschnitten hatten als im Vorjahr. Zwei Drittel der Schüler*innen in den Klassenstufen 3 und 8 hätten nicht die Mindeststandards in den Basiskompetenzen in Mathe und Deutsch erreicht, räumte Günther-Wünsch ein. Es waren die ersten umfassenden Vergleichsarbeiten nach Corona.
Schulen sollen Qualitätsentwicklung machen
Die Bildungssenatorin will dafür Fachbereichsleiter*innen für Mathe und Deutsch an den Grundschulen einsetzen. Deren Aufgabe soll es sein, die Qualitätsentwicklung an den Schulen voranzubringen – oder überhaupt erst anzustoßen. „Wir müssen mit den Ergebnissen arbeiten und daraus dann Schlüsse für die Arbeit an den Schulen ziehen“, sagte die Senatorin. Außerdem sollen halbjährliche Gespräche den Lernprozess der Schüler*innen begleiten, und zukünftig sollen die Schüler*innen mindestens vier statt bisher drei Klassenarbeiten in Deutsch und Mathematik pro Schuljahr schreiben.
„Mit gemischten Gefühlen“ blicke er ins neue Schuljahr, sagt Landeselternsprecher Norman Heise. Es sei erfreulich, dass sich tatsächlich mehr Lehrer*innen mit unterschiedlichen Qualifikationen gefunden hätten. „Das wäre spannend, die Gründe zu analysieren, damit man diese Effekte verstärken kann“, sagte er. Er begrüßte die Fachbereichsleiter für die Grundschulen. Er bezweifelte allerdings, dass tatsächlich an allen Schulen der Unterricht gesichert sei.
Von den nahezu idealen Bedingungen an der Maria-Leo-Grundschule scheinen die meisten anderen Schulen noch ein gutes Stück entfernt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga