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Berliner RegisterMit Stickern fängt der Rechtsruck an

Ein Spaziergang in Berlin-Reinickendorf besucht Orte rechter Vorfälle im Kiez. Hotspots sind demnach die Residenzstraße und Stellen entlang der U8.

Kampf um Symbole: Ein antikurdisches Graffiti ist übermalt mit der Jahreszahl der Gründung der kurdischen Arbeiterpartei PKK Foto: Susanne Memarnia

Der Franz-Neumann-Platz ist in seiner Trostlosigkeit kein guter Ausgangspunkt für einen Spaziergang – zumindest nicht, wenn man die schönen Ecken von Reinickendorf erkunden will. Der Brunnen mit drei bronzenen Frauengestalten ist abgestellt und voller Zigaretten-Kippen, die Bäume vor der Geschäftszeile wurden gefällt. Ein Bauschild kündet von einer Zukunft mit viel Grün und Platz für spielende Kinder, noch ist davon nichts zu sehen.

An den Stufen des trockenen Brunnens versammeln sich an diesem sonnigen Nachmittag zwölf Erwachsene, die meisten Frauen mittleren Alters. Sie sind gekommen, um am Kiezspaziergang „Rassismus im Ortsteil Reinickendorf – gibt's das?“ teilzunehmen. Dafür sei dieser Ort genau der richtige Startpunkt, erklärt Johanna Herzog, eine junge Frau, die sich als Mitarbeiterin des Registers Reinickendorf vorstellt, das den Spaziergang zusammen mit der Volkshochschule und der Stadtbibliothek anbietet. Denn das Gebiet Reinickendorf-Ost rings um die Residenzstraße und entlang der U8 sei ein Hotspot rassistischer Vorfälle im Bezirk.

Herzog erzählt ein Beispiel: 2023 wurde ein Familienvater auf der Residenzstraße, als er gerade sein Kind ins Auto setzte, von einem vorbeikommenden Radfahrer rassistisch beleidigt und geschlagen. „Den Grund weiß man nicht“, sagt Herzog – und insofern sei der Vorfall typisch. Oft gebe es Konflikte im Straßenverkehr „und die Leute greifen schnell zu Gewalt“, oft spiele auch Alkohol eine Rolle.

In jedem Berliner Bezirk gibt es ein sogenanntes Register, also eine vom Land finanzierte Stelle, bei der Jeder rechtsextreme und diskriminierende Vorfälle melden kann. Anders als die Polizei nehmen die Register nicht nur strafrechtlich relevantes wie Sachbeschädigungen, Beleidigungen und Angriffe auf, sondern auch niedrigschwellige Vorfälle wie Aufkleber oder diskriminierende Äußerungen oder Handlungen. Sie überprüfen die Meldungen, systematisieren sie und erstellen Chroniken, aus denen sich ablesen lässt, wo es in der Stadt besonders viel diskriminierende Gewalt und Aktivität gibt.

Zahlen in Reinickendorf im Vergleich niedrig

Im Vergleich mit anderen Bezirken, vor allem in Ost-Berlin, sind die Zahlen für Reinickendorf eher niedrig: „In Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick kommen sie mit der Auswertung der Meldungen gar nicht mehr hinterher“, sagt Herzog. Aber wie überall steigen die Zahlen auch in Reinickendorf stark an, laut der Chronik von 103 in 2022 auf 175 in 2023.

Foto: Bettina König/register-rd

Beim Spaziergang konzentriert sich Herzog auf rassistische Vorfälle. Sie erzählt von einem Brandanschlag auf das Kulturzentrum der Kurdischen Gemeinde im vorigen Herbst – ebenfalls in der Residenzstraße – der nur mit Glück rechtzeitig bemerkt wurde, so dass es keine Verletzten gab. Der Vorstand der Gemeinde vermute türkische Rechtsextremisten von den Grauen Wölfen hinter der Tat, denn schon früher hätten diese das Zentrum bedroht.

Die Gruppe ist noch nicht weit gelaufen, da zeigt Herzog in der Holländerstraße auf ein Graffiti an einer Hauswand: „1999“ ist durchgestrichen und mit „1978“ überschrieben, weitere Zeichen wurden durch Übermalung unkenntlich gemacht. Die Zeichen seien Runen gewesen, „ein Symbol der Grauen Wölfe“, erklärt Herzog. Die Zahl 1999 verweise auf das Jahr der Verhaftung des PKK-Gründers Abdullah Öcalan, 1978 sei das Jahr der Gründung der kurdischen Arbeiterpartei.

Die junge Frau lässt Fotos von weiteren Schmierereien rumgehen, darunter drei Halbmonde, die in die Scheibe einer Bushaltestelle eingekratzt wurden – auch dies ein Zeichen der Grauen Wölfe. „Das sind Dinge, auf die ihr achten und uns melden könnt“, ermuntert sie ihr Publikum. Dazu müsse man solche Zeichen aber erst einmal erkennen, merkt eine Frau an.

Nicht alle Zeichen klar erkennbar

Dass Zeichen oder Sprüche nicht immer für jeden klar als rassistisch zu erkennen sind, zeigt sich auch an der nächsten Station, dem Büro der Linken am Schäfersee. Es liegt nur wenige Gehminuten von der Residenzstraße in einem ruhigen, grünen Viertel, in dem sich schicker Neubau mit einfachem Altbaubestand mischt. Auf dem Schaukasten neben dem Linken-Büro, das auch als Anlaufstelle für das Register fungiert, habe vor Monaten dieser Aufkleber geklebt, erzählt Herzog und hält ein Foto hoch: „Sozialstaat und offene Grenzen schließen sich aus“, ist darauf zu lesen.

„Erkennt jemand das Design?“, fragt Herzog in die Runde. Mehrere antworten wie aus einem Mund: „Kein Mensch ist illegal!“ Die Referentin nickt, genau dies sei das Perfide, erklärt sie: Rechtsextreme übernehmen Machart oder Slogans von politischen Gegnern und formen sie in ihrem Sinne um. Als anderes Beispiel zeigt Herzog der Gruppe das Foto von einem Aufkleber, der „White Lives matter“ verkündet und damit die „Black Lives Matter“-Bewegung verächtlich macht. Eine weitere Masche ist die betont „harmlose“ Bildsprache mancher Aufkleber. Zur Illustration machen Kopien von „Abschiebung schafft Wohnraum“ die Runde, auf denen eine comichaft gezeichnete junge Blondine lächelt und mit den Händen ein Herzchen formt.

Sticker seien ja zunächst harmlos, meint ein junger Mann, aber angesichts der zunehmenden Drohbriefe und Angriffe auf Parteibüros glaubt er, das eine führe schnell zum andern. Herzog stimm zu und ergänzt: Es sei umso wichtiger, rechte Aufkleber zu entfernen, sobald man sie dokumentiert hat. „Wenn so etwas lange stehen bleibt, ermutigt es die Täter, weil sie sich bestätigt fühlen.“ Eine Frau warnt, dass unter den Aufklebern Rasierklingen versteckt sein könnten. Das gebe es schon, bestätigt Herzog, in Reinickendorf sei es aber noch nicht vorgekommen.

Janna Voßnacker vom Grünen-Kreisvorstand Reinickendorf meldet sich zu Wort und erzählt von einem „Farbanschlag“ kürzlich auf das Kreisbüro der Grünen in Tegel, bei dem Unbekannte den Spruch „Mörder raus“ hinterlassen hätten. „Wir wussten gar nicht, wie das gemeint war“, sagt sie. Herzog nickt. Beim Register sei man sich zunächst auch unsicher gewesen, welche „Mörder“ gemeint seien. Aber ein ähnlicher Anschlag auf das SPD-Büro habe deutlich gemacht, dass die Schmierereien allgemein gegen MIgration gerichtet seien.

Foto: register-rd

Teilnehmer politisch engagiert

Es geht weiter, vorbei an Schäfersee, Kleingärten, Hundeauslaufgebiet und Seniorenresidenz. Beim Spazieren kommen die Teilnehmer ins Gespräch: Eine Frau aus Frohnau erzählt, sie wolle einfach mehr wissen über ihren Bezirk, ein Mann arbeitet mit Jugendlichen, eine ältere Frau, die sich als „Oma gegen rechts“ outet, engagiert sich in einem Sprachcafé für Flüchtlinge. Die meisten Teilnehmer, so scheint es, beschäftigen sich mit dem Thema Rassismus oder sind politisch engagiert.

Vor dem Friedrich-Engels-Gymnasium setzen sich alle bis auf Herzog auf die Treppenstufen und strecken die Beine aus. Die Referentin erzählt von Schule als „einem Ort struktureller Diskriminierung“, wo das Machtverhältnis zwischen Lehrern und Schülern Benachteiligungen Vorschub leiste – vor allem von Schwarzen Kindern, oder als Sinti und Roma oder muslimisch Gelesenen.

Wieder ein Beispiel, das dem Register gemeldet wurde: In einer Schule habe eine Schwarze Schülerin innerhalb einer Woche dreimal Rassismus erfahren, so Herzog. Erst hätten Mitschülerinnen Affenlaute gemacht, dann habe jemand das N-Wort gesagt, und schließlich sei das N-Wort im Unterricht verwendet worden. „Das führte dazu, dass das Mädchen einige Tage nicht zur Schule kam“, so Herzog, die von dem Fall über Schulsozialarbeiter erfahren hat.

Weil der „Tatort Schule“ gar nicht selten ist, gehen Herzog und ihre Kollegin auch in Schulen und machen Workshops. „Fortbildungen zum Thema Rassismus haben aber an Schulen nicht immer Priorität“, erzählt sie. Bisweilen schienen Lehrer kapituliert zu haben vor dem rassistischem „Kriegszustand“ auf dem Schulhof. „Andere Schulen sagen dagegen, sie greifen sofort ein.“

Häufung rassistischer Aufkleber

Weil niemand mehr weitergehen will bis zur letzten Station, erzählt Herzog noch etwas über die Gegend rund um die Schule. Am Kolpingplatz gebe es seit vorigem Jahr eine Häufung von rassistischen Aufklebern. Wieso hier genau, wisse man nicht. Manchmal reiche eine Einzelperson, um die Zahlen in einer Gegend hochschnellen zu lassen.

Einer der Spaziergänger erzählt von einem Fall, wo ebenfalls mutmaßlich ein Einzelner die ganze Nachbarschaft verärgert hatte: Am Fellbacher Platz in Hermsdorf sei kürzlich ein „Mahnmal“ mit Kerzen und Kuscheltieren aufgetaucht, das den Opfern von Anschlägen gedachte, die mit Datum aufgelistet waren. Allerdings enthielt die Liste nur Morde, die von „Ausländern“ begangen wurden. Solche mit „deutschen“ Tätern – etwa Hanau – fehlten. Ein paar Anwohner kommentierten das „Mahnmal“ mit eigenen Schildern und warnten vor Hetze, schließlich räumte das Ordnungsamt den Haufen ab. Kurz darauf war das Mahnmal wieder da, wieder rief jemand das Amt.

Doch neben Einzeltätern gibt es auch rechte Strukturen, die im Bezirk besonders aktiv sind, sagt Herzog. Etwa der NPD-Nachfolger „Die Heimat“, der mit Flyern wie „Migration tötet“ auf sich aufmerksam zu machen versucht und 2023 drei Kundgebungen gegen geplante Heime für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge veranstaltete.

Beim Abschlussgespräch in der Stadtbücherei geht es um eigene Rassismus-Erfahrungen, wobei die meisten aufgrund ihres Äußeren nur als Zeugen von Vorfällen berichten können. Und es geht darum, was man tun kann, wenn man Zeuge von Rassismus wird. Einige Teilnehmerinnen erzählen von ihrer Zurückhaltung einzugreifen, sei es aus Angst, selbst zum Ziel zu werden oder aus Unsicherheit, wenn es Freunde oder Familienmitglieder sind, die sich rassistisch äußern. Herzog erzählt, was sie sich angewöhnt hat, wenn sie in der Öffentlichkeit etwas mitbekommt: „Es reicht!“, rufe sie dann laut. „Das unterbricht die Situation und lenkt die Aufmerksamkeit der Umstehenden auf den Fall“, sagt sie. Und man ist nicht mehr allein.

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1 Kommentar

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  • Es wäre wünschenswert, dass die Schmierereien beseitigt werden und nicht nur drüber geredet wird.