Berliner Punkrockklassiker Beton Combo: Zurück zum Beton
Mit Songs wie „Nazis Raus!“ schrieb die Band Beton Combo Punkrockgeschichte. Jetzt ist ihr Debütalbum frisch gepresst wieder zu haben.
Die Geschichte beginnt im Jahr 1978. Kaum eine Gegend in Westberlin ist zu dieser Zeit so abgefuckt wie die Gropiusstadt im Süden Neuköllns. Weiße und graue Hochhäuser, wohin man blickt, Wohnzelle reiht sich an Wohnzelle reiht sich an Wohnzelle. Eine lebensfeindliche Umgebung, in der man sich verlieren kann, ein Ortsteil wie eine Sackgasse: Dahinter kommt nur noch die Mauer.
Für Jugendliche gibt es wenige Auswege. Die Älteren hängen im Haus der Mitte in der Lipschitzallee ab, wo auch härtere Drogen kursieren und das durch „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, das Buch von Christiane F., in genau jenem Jahr berühmt wird. Wem es dort zu rau und zu heavy zugeht, der besucht den anderen Jugendklub in einer Oberschule, ebenfalls an der Lipschitzallee.
Dort haben Heske und Shake ihr zweites Zuhause. „Das war unser Laboratorium. Wir hatten da große Freiheiten, es gab Übungsräume, in denen wir uns ausprobieren konnten. Wir haben unser ganzes soziales Leben dort verbracht“, erinnert sich Shake im Interview. Denn jetzt gibt es auch ein Ventil, um seinen Frust loszuwerden: Punk hält Einzug in Berlin.
Heske und Shake sollen wenig später in einer der wichtigsten deutschen Punkbands jener Zeit spielen. Beton Combo heißt die Gruppe, sie existiert von 1979 bis 1985, ein Album, eine Single und eine Mini-LP erscheinen im Lauf der Jahre. Heske und Shake waren ihre Kurz- beziehungsweise Spitznamen damals, so wollen sie auch noch heute genannt werden. Ersterer ist von Beginn an in der Band, Shake stößt 1980 als Bassist dazu.
Beton Combo: „Perfektion ist Sache der Götter“ (Static Age Musik)
Plattenverkauf? Nicht so wichtig
„Es gab aber auch vor uns schon einige Punkbands in Berlin“, betont Shake. „Zum Beispiel Katapult, Auswurf und Ätztussis. Diese Bands haben wir uns angesehen. Sie haben uns inspiriert, selbst etwas zu machen.“ Beton Combo gehören dabei zu der Politpunkfraktion, genauso wie die befreundete Band Stromsperre, die sich im gleichen Jugendhaus gründet und zu den ersten Hardcorebands Deutschlands zählt. Prägend für Beton Combo ist aber auch der frühere Politrock. In vorderster Front: Ton Steine Scherben.
Das einzige volle Album, das es von Beton Combo je gab, „Perfektion ist Sache der Götter“ aus dem Jahr 1981, ist kürzlich in einer Neuauflage beim Neuköllner Label Static Age Musik erschienen – ein Klassikeralbum mit Songs wie „Kreuzberg“ („Kreuzberg lebt / auch wenn alles in Beton erstarrt“), „Heideröslein“ und „Nazis Raus!“. Denn ja, auch das so oft gecoverte Stück „Nazis Raus!“ stammt aus der Feder der Beton Combo, auf dem Album ist es in einer experimentellen Orgelversion zu hören („N. R.“). „Typisch für uns“, sagt Shake. „Von dem Song gibt es kein normales Studio-Take aus der Zeit. Das war uns nicht wichtig. Wir haben das Stück gerne live gespielt, aber es war nicht unsere Intention, damit Platten zu verkaufen.“
Ihre Musik stößt aber noch heute auf Interesse: Die ersten 500 neu gepressten LPs waren flugs ausverkauft, das Label hat bereits nachgepresst. „Viele Themen sind immer noch aktuell“, sagt Heske, „Nazis toben sich irgendwo aus, es laufen selbst ernannte Querdenker durch die Gegend, und friedlicher ist die Welt ganz sicher nicht geworden in den 40 Jahren.“
Heske und Shake stehen an einem Dezemberabend 2020 am Breslauer Platz in Friedenau. Das Interview findet neben einem Imbiss statt, auf einem leeren Platz mit trostlos blinkendem Tannenbaum steht man in der Kälte rum. Typisch für ein Gespräch mit Beton Combo im Coronajahr. Während Heske der Mann für die in breitem Berlinerisch vorgetragenen Anekdoten und die genauen Daten ist, ordnet Shake historisch ein und reflektiert. Beide sind in ihren Fünfzigern, beide zehren bis heute von dieser Zeit.
„Jeder konnte sich ausprobieren damals. Das Verrückte war, dass alles so austauschbar war: Die, die an einem Tag vor der Bühne standen, sind am nächsten Tag selbst irgendwo aufgetreten“, sagt Shake. „All das hat uns befeuert, das tragen wir noch heute in unseren Herzen. 40 Jahre danach ist das noch ein großer Teil des Persönlichkeitskerns, unglaublich. Man kommt sich fast blöd vor, das zu sagen. Als ob nichts dazugekommen wäre in der Zeit.“
Als 1978 alles anfängt, da heißt die Gruppe noch DC-10, benannt nach jenem Flugzeugtyp, der in den Siebzigern eine reife Absturzserie hinlegte. Heske: „Frank, Matze, Roger, Mario und ich sind im Jugendklub einfach in den Übungskeller gegangen und haben rumprobiert. Keiner von uns konnte irgendwas, nur Matze ein bisschen Bass spielen. Eigentlich war alles richtig schlimm.“
Schlimm, aber auch egal. Sobald ein paar „Songs“ stehen, stellen DC-10 sich auf die Bühne. Ein Jahr später benennt man sich in Beton Combo um. Das passt einfach noch besser zu einer Band aus der G’stadt.
Das Dorf Berlin
Den ersten Auftritt unter neuem Namen haben sie 1979 im Schöneberger Drugstore, vor größerem Publikum tritt die Band beim „Antifaschistischen Festival“ in der TU-Mensa im September 1979 auf. Heske organsiert es mit. Er ist auch ein Jahr später beteiligt, als im Mai in Kreuzberg das KZ36 (Kommunikationszentrum 36) eröffnet, das für Punks ein wichtiger Treffpunkt werden soll. Zusammen mit Karl Walterbach kümmert er sich um das Organisatorische. Auf dem ersten (Live-)Sampler des KZ 36, ein Klassiker des Berliner Punk, besingen Beton Combo ihre natürliche Umgebung. „Gropiusstadt Endlosfuck“ heißt das Stück. „Wohnghetto voll zum Rennen / Raus zur Arbeit, rein zum Pennen / Bullenschweine überall / Endlich Zeit für ’nen großen Knall / Gropiusstadt Endlosfuck / (…) Gropiusstadt hack hack hack“, bellt Heske da ins Mikrofon.
1981 ist die Stammbesetzung gefunden: Neben Heske sind es die Gitarristen Roger und Frank, ein Schlagzeuger, der bis heute nur 3528 genannt werden will – und Shake. Er hat zwar noch nie ein Instrument gespielt, aber egal. Wenige Wochen später spielt er sein erstes Konzert, kurz darauf geht die Band mit dem Produzenten Harris Johns ins Musiclab-Studio in Wedding. „Perfektion ist Sache der Götter“ wird eingespielt. Lustig sei es zugegangen. Einen Song spielen sie mit dem Halbindianer Harris Johns ein, „Custers Alptraum“. Ein Worldmusicsong mit den begrenzten Mitteln des Punks und Indianergesang. Auch so eine Fußnote der Bandgeschichte.
Ein weiterer Meilenstein 1981: Die Deutschlandtour „Tournee zum Untergang“. Erstmals gehen mit Slime, Aheads, Middle Class Fantasies und Beton Combo einige deutsche Punkbands zusammen auf Tour. In München gibt es Stress und Schlägereien, weil das Publikum den hohen Eintrittspreis von 10 D-Mark und die hohe Gage von Slime nicht akzeptiert.
In Berlin entsteht derweil eine heterogene Szene. Es gibt Funpunkbands wie Die Suurbiers oder Soilent Grün, aus denen später Die Ärzte hervorgehen. Dann die experimentelle Szene um Die Tödliche Doris. Und eben die Gropiusgang, gewachsen auf Beton. Man hängt miteinander ab, aber man schätzt den Sound der anderen nicht unbedingt. Im großen Dorf Westberlin treffen alle immer wieder aufeinander. Im SO36, im KZ36, im Punkhouse, im Exzess.
Punk und der Antiamerikanismus
Für Beton Combo ist das Politische dabei eher Haupt- als Nebensache. Sie spielen bei Hausbesetzungen, auf Demos, vor Knästen und in Gorleben. Radikaler Antikapitalismus ist oberstes Gebot. Politisiert ist die Band durch den Vietnamkrieg und die 68er, den Nato-Doppelbeschluss 1979, die Antiatombewegung. Es herrscht Endzeitstimmung in den Jahren des Kalten Kriegs, Reagan kommt in den USA an die Macht.
So lässt sich auch der Antiamerikanismus so gut wie aller politischen Punkbands dieser Zeit erklären. „Der Ami hat damals einfach die Militarisierung, die atomare Aufrüstung, den perversen Kapitalismus verkörpert. Inzwischen ist man ein bisschen älter geworden und denkt: Es gibt Systeme, die deutlich schlimmer sind als das hier“, sagt Heske. „Das war aber immer schon ambivalent“, meint Shake, „auf der einen Seite der Moral- und Kulturimperialismus der USA, Reagan, Bush und Trump – und wenn man es historisch betrachtet, könnte man sagen: Gerade uns in Berlin würde es ohne die USA gar nicht geben. Wir sind in einer Art amerikanischer Kolonie groß geworden – und, na klar, wir fanden’s auch geil.“
Beton Combo spielen nach dem Album noch eine Single mit drei Stücken („Sound Ltd EP“, 1983, wiederveröffentlicht 2014) und die Mini-LP „23 Skidoo“ ein, die dann 1985 die letzte reguläre Veröffentlichung der Band war.
Warum es 1985 nicht weiterging? „Ich persönlich hatte das Gefühl, dass ich alles gesagt habe, und das mehrmals“, sagt Heske. Mit der Musik Geld zu verdienen, war für die Band keine Option, einen Weg wie Die Toten Hosen oder Die Ärzte habe man nicht einschlagen wollen – auch wenn beide sich heute nicht sicher sind, ob es überhaupt möglich gewesen wäre.
1991 melden Beton Combo sich auf dem „Nazis Raus!“-Sampler noch mal zu Wort, Mitte der Neunziger spielen sie einige Konzerte. Die Bandmitglieder vergnügen sich in der Zwischenzeit in Berliner Rockabilly-, Doom- und Rockbands.
Heute arbeitet Heske seit vielen Jahren als Sozialpädagoge, zwischen 1984 und 1999 auch im Haus der Mitte. Shake ist Architekt und Projektmanager. Frank betreibt den Pulp Master Verlag. 3528 hat einen Vintagefotoladen in Neuköllln. Roger starb 1985 bei einem Motorradunfall. Alle anderen haben vor ein paar Jahren auch mal wieder zusammen Musik gemacht, doch die Vorstellungen, wie man heute klingen will, gingen weit auseinander. Ein musikalisches Denkmal wie Beton Combo lässt man aber vielleicht auch besser so, wie es ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?