Berliner Museen: Die Scheune für alle

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz beginnt, für das Museum des 20. Jahrhunderts zu werben. Das wurde auch Zeit.

Soll soll's werden: Das Museum des 20. Jahrhunderts, von der Berlinern auch Scheune genannt

Vielleicht liegt es am Satteldach. Womöglich können deutsche Kultur­interessierte das Satteldach noch immer nicht als modern empfinden, sehen es noch immer als viel zu gemütlich, seit die Nazis es zum Teil der „deutschen Baugesinnung“ erklärten und das Flachdach verdammten. Kann sein, dass dies einer der Gründe ist, warum die Feuilletons bundesweit in den letzten Wochen so viel Häme über das Berliner Museum der Moderne ausgeschüttet haben, das 2026 fertig werden soll (Spatenstich ist am 3. Dezember) und dessen Arbeitstitel derzeit „Museum des 20. Jahrhunderts“ lautet.

Schon vor einigen Wochen wurde bekannt, dass das Museum nicht wie anfangs kalkuliert 200 Millionen, sondern 450 Millionen Euro kosten wird. Ende letzter Woche hat der Haushaltsausschuss des Bundestags diese Kostensteigerung brav bewilligt. Es heißt, das Museum der Moderne sei das Prestigeprojekt von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU), sie könne es einfach nicht mehr absägen. Es heißt auch, diese horrende Summe sei kaum gerechtfertigt für einen Bau, der aussehe wie eine „monströse Glucke“, für ein Haus, das von den charmanten Berlinern schon jetzt wahlweise als „Scheune“, „Bierzelt“, „Reithalle“ oder „Aldi“ beschimpft wird.

Es ist, als habe die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die das Museum bauen lassen will, am Montagabend begonnen, die Flucht nach vorn anzutreten – und endlich damit angefangen, ihr viel gescholtenes Baby zu bewerben. Bei einem Infoabend zur Planung des Museums hat sie in den Kammermusiksaal geladen. Auf dem Podium sitzt eine feine Auswahl an Nachbarn (zum Beispiel Hannes Langbein von der St.-Matthäus-Kirche), Mueseumsmachern (zum Beispiel scheidender Direktor der Nationalgalerie Udo Kittelmann) und Journalisten (zum Beispiel Kunstkritikerin Swantje Karich). Sie zeigen sich weitgehend schockiert über die Berichterstattung und glücklich über die Bewilligung der Gelder, was zunächst einmal mindestens voreingenommen wirkt.

Höhepunkt des Abends ist der Vortrag des Architekten Jacques Herzog vom Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron, das 2016 den Wettbewerb für das Museum gewonnen hat und auch die Elbphilharmonie in Hamburg, das Olympiastadion in Peking oder die Allianz Arena in München gebaut hat. Herzogs Art ist überhaupt nicht überheblich, er scheint sich völlig darüber im Klaren, dass die Kostensteigerung eine fette Kröte ist, und doch entfaltet er die Pläne zum Museum mit solcher Sachkenntnis, dass den Kritikern, die im Publikum sitzen und später noch zu Wort kommen werden, sogleich ein wenig der Wind aus den Segeln genommen zu sein scheint.

An einem schwierigen Ort

Zuerst einmal dies: Das Museum wird zwischen Philharmonie, Gemäldegalerie, St.-Matthäus-Kirche und Staatsbibliothek auf dem Kulturforum entstehen. Also an einem schwierigen Ort, der seit Jahrzehnten wie ein verödetes Loch in der Stadtlandschaft wirkt, das besonders in den berüchtigten Wintermonaten dieser Stadt selbst von den widerstandsfähigsten Berlinern als zugige Zumutung begriffen wird, die man möglichst nicht zu Fuß durchqueren sollte. Der Grund, warum das Museum so viel teurer wird als geplant, ist, dass es weit in die Tiefe gehen muss, um ausreichend Ausstellungsfläche für die großartige Sammlung der Nationalgalerie zu schaffen.

In der Neuen Nationalgalerie, dem Mies-van-der-Rohe-Bau, der derzeit renoviert wird, wird man weiterhin nur 20 Prozent der Sammlung zeigen können. Schon kurz vor den Ausführungen Herzogs hat der Leiter der Neuen Nationalgalerie, Joachim Jäger, beschrieben, über welche Schätze diese Sammlung verfügt. „In Berlin wurde politischer gesammelt als anderswo“, hat er gesagt. Und: „Kaum einer weiß, dass wir nach dem Museum of Modern Art in New York die größte Medienkunstsammlung der Welt besitzen.“

Die größte Aufgabe des neuen Museums aber wird sein, die umliegenden Gebäude zu verbinden, sich nach allen Richtungen zu öffnen, sodass es eigentlich kein Vorn und kein Hinten gibt, und Plätze zu schaffen, die man nicht nur Lust hat zu durchlaufen, sondern auf denen man auch verweilen mag. Meuron redet hier von einem Konzept der Dichte und der Begegnung. Er entspricht dabei sehr genau der Richtung, in die moderne Museen heute gehen müssen, wenn sie auch in Zukunft noch funktionieren wollen. Sie dürfen sich nicht länger als Tempel des Bildungsbürgertums begreifen, die still durchwandelt werden wollen.

Boulevards und Treppen

Sie müssen sich den Bedürfnissen der unterschiedlichsten Bevölkerungsschichten öffnen. Das Museum der Moderne, das am besten bis spät in die Nacht geöffnet sein soll, wird über viele eintrittsfreie Bereiche verfügen, wo sich die Menschen treffen können wie im öffentlichen Raum. Es soll Boulevards und Treppen mit Sitzbereichen erhalten, die sich abends in Amphitheater für Konzerte, Theaterabende, Diskussionsveranstaltungen verwandeln können. Zur Neuen Nationalgalerie führt nicht nur ein unterirdischer, aber trotzdem bespielter und lichtdurchfluteter Boulevard, auch kann sich die Scheune in diese Richtung mit großen Toren öffnen. Das Leben auf der Straße kann hineinschwappen und das, was drinnen passiert, auch das Draußen verändern.

Viele Bilder, die Herzog an diesem Abend zeigt, erinnern an ein Labyrinth, an ein Nacheinander von Räumen, von denen jeder einen anderen Bodenbelag, eine andere Deckenhöhe, eine andere Größe bekommen soll. Einige der Räume könnten heute so und morgen ganz anders programmiert werden. Man wird hier eher animiert sein, einzelne Themenräume zu kuratieren.

Manche Bilder Herzogs erinnern stärker an einen Bahnhof als an ein Museum. Der Architekt sagt Sätze wie diese: „Wir müssen Häuser bauen, die geliebt werden.“ Und: „Wir verstecken es nicht, wenn mal ein Haus wackelt.“ Und: „Bei diesem Haus sind wir extrem sicher und stolz.“

Ganz anders als beim Humboldt Forum hat sich hier einer Gedanken gemacht, was diese Stadt wirklich braucht – und erst danach, welche Formen sich dafür finden lassen. Darum schenkt das Publikum Herzog für vieles, was er sagt, begeisterten Applaus. Er ist ein guter, ein überzeugender Promoter seiner Sache.

Das Gift ist weg

Nach seiner Rede scheint es wirklich so, als sei der Kritik einiges an Gift genommen. Die Fragen aus dem Publikum sind weniger grundsätzlich und führen auch keine anderen Museen wie das in Mannheim oder das in Essen an, die beide deutlich billiger waren, allerdings auch über viel weniger Ausstellungsfläche verfügen. Eher geht es um Detailfragen: Hätte man nicht besser hinter der Neuen Nationalgalerie bauen können, wäre das nicht preiswerter geworden? Wird das Museum nicht die Gemäldegalerie in den Schatten stellen? Es geht auch um Konstruktives: Ein flexibles Haus mit tollen Ausstellungen, langen Öffnungszeiten und viel Teilhabe kostet mehr Geld, muss man da nicht schon jetzt anfangen, über Etats nachzudenken? Und: Soll das Museum wirklich Museum des 20. Jahrhunderts heißen? Gibt es keine Namen, die weniger sperrig klingen?

Nach dem Infoabend in der Philharmonie sind es zwei Gedanken, die hängen bleiben. Berlin hat kein großes, zeitgemäßes Museum der Moderne wie die Tate Modern London, es hat generell gerade sehr wenige Museen, in denen man als Berliner Lust hätte, sich zu verabreden oder auch einfach mal einen ganzen trüben Novembersonntag zu vertrödeln – ob diesbezüglich das Humboldt Forum eine erste Abhilfe wird schaffen können, ist derzeit noch immer mehr als fraglich.

Und zweitens: Die Sache mit dem Satteldach, sie hat vielleicht auch was. Immerhin fehlen Satteldächer in keiner Zeichnung, wenn Kinder Häuser malen. Das Museum könnte mit seinem spitzen Dach auch sagen, dass es einfach ein Haus sein soll, mit dem sich alle identifizieren können, das allen dienen kann. Es tritt damit zurück gegenüber den hochgestochenen Bauten von Hans Scharoun und Mies van der Rohe nebenan.

Es vermittelt direkt etwas Bescheidenes. Trotz seiner schieren Größe. Und trotz seines hohen Preises.

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