Berliner Landespolitik: Schnell wieder bei Sperlingskästen
Das Leben geht weiter im Abgeordnetenhaus, auch am Tag nach dem Scheitern der Ampel-Koalition und dem Wahlsieg von Donald Trump.
Gemessen an den geballten schlechten Nachrichten ist die Stimmung im Plenarsaal gut – soweit sich das von der Pressetribüne oberhalb erfassen lässt. Auch in den Gängen oder im Parlamentsrestaurant sind nicht nur Trauermienen zu sehen. Vielleicht auch, weil es immer noch schlimmer ginge und bei den Älteren des Hauses „der Tag danach“ für einen Film aus den 80ern über einen Atomschlag stehen könnte.
Es sind dabei nicht nur die Ereignisse des Vortags, die dieser Sitzung etwas Besonderes verleihen. Das Parlament erinnert in einer vorangehenden Gedenkstunde zugleich an den Mauerfall vor 35 Jahren. Rainer Eppelmann, nach der ersten freien Volkskammerwahl DDR-Abrüstungs- und Verteidigungsminister, erzählt als Gastredner, wie er die Öffnung der Grenze an der Bornholmer Straße hautnah erlebte – „diese Stunde ist bis heute die bewegendste meines Lebens“.
Von der AfD-Fraktion ist in der anschließenden Rederunde zum 9. November eine Verbindung zur US-Wahl zu hören: Es sei „eine Genugtuung für viele Ostdeutsche, dass Trump die Wahl gewonnen hat“. Der könne mehr für das Zusammenwachsen in Deutschland tun als viele Ost-Beauftragte. Mit dieser Sicht bleibt sie am Rednerpult allein.
Von globalen Folgen zum Jahnstadion
Das Ende der Ampelkoalition tauscht zum ersten Mal in der Fragestunde auf, als es um das Thema Musikschulen geht und ein jüngstes Gerichtsurteil dazu, das Honorartätigkeiten kritisch betrachtete. Ob das Ende der Ampel Konsequenzen bei diesem Thema habe, will ein CDU-Abgeordneter vom Senat wissen. Das klingt wie eine Vorlage für seinen Parteifreund und Regierungschef Kai Wegner, die Lage grundsätzlich zu beurteilen: „In dieser Zeit keine handlungsfähige Bundesregierung zu haben ist, vorsichtig gesagt, zumindest nicht gut.“
Wer in den Reihen der Abgeordneten gerade noch über globale Folgen der Trump-Rückkehr ins Amt nachsinnt oder darüber, welche die Folgen das Ampel-Aus für das Vertrauen in die Demokratie hat, den holt eine der nächsten Fragen schnell in die Berliner Details zurück. Es geht um den Abrissstopp beim Jahn-Stadion. Und da ist dann ein Landesminister gefragt, Details zum Umgang mit Sperlingskästen darzulegen.
Wäre es nicht der Tag nach den Großnachrichten, so würde etwas anderes weit mehr im Blick sein: wie sich nämlich die Linkspartei präsentiert. Es ist schließlich die erste Plenarsitzung nach den dortigen Verwerfungen zu Antisemitismus. Mehrere prominente Abgeordnete waren deswegen ausgetreten, darunter die in der letzten Reihe sitzenden Ex-Senatoren Lederer, Breitenbach und Scheel.
Tippen statt applaudieren
Drei Reihen vor ihnen hat die Landesvorsitzende Franziska Brychcy ihren Platz, die die drei am Dienstag mit dem Parteivorstand aufgefordert hatte, ihre Mandate abzugeben. Äußerlich sind keine Animositäten festzustellen. Der aufmerksame Blick auf Brychcy hält aber immerhin fest, dass sie anders als die Ex-Senatoren gleich zweimal nicht klatscht, sondern auf ihrem Computer tippt, als es um Solidarität mit der Ukraine geht.
Auf der Besuchertribüne hatten am Morgen auch Ex-Regierungschefs und die SPD-Spitze die Feierstunde mitverfolgt. Wäre zudem ein mit drei Worten zu einer verpassten Meisterschaft berühmt gewordener früherer Frankfurter Fußballtrainer geladen gewesen, hätte er vielleicht auch in Sachen Politik gesagt: „Lebbe geht weider.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!