Berliner Kunst- und Modeprojekt: Mit Lumpen dekolonisieren
Barbara Caveng thematisiert in ihrer Kunst die Modeindustrie. Im kleinsten Waschsalon Berlins arbeitet sie mit Stücken von der Straße.
Nirgends in Berlin ist es wohl so dreckig wie in Neukölln. Eine Straße ohne Plastikmüll oder ausrangierte Möbelstücke ist nicht ganz leicht zu finden. Müll? Für Barbara Caveng sind die Neuköllner Gehsteige eine große Fundgrube. Seit Neuestem wühlt die Künstlerin regelmäßig in Weggeworfenem. „Es ist wie eine Schatzsuche“, sagt sie. Caveng ist auf der Suche nach Kleidung. „Ich sehe mich ein wenig in der Tradition der mittelalterlichen Lumpensammler:innen.“
Ihre Fundstücke bringt die 57-Jährige dann in ihren kleinen Waschsalon. In der Jansastraße 12 sollen auch Nachbar:innen gefundene Kleidung waschen können. „Nach dem Waschen kommt noch unser Label drauf, und schon sind die Klamotten wieder im Kreislauf“, sagt Caveng. Wer mag, kann sich auch andere Stücke mitnehmen. „Streetware Saved Item“ nennt sie ihr Gesamtprojekt, das sich rund um den absurd schnelllebigen Modebetrieb dreht. Caveng will den Prozess dahinter beleuchten, auf die kolonialistischen Machtgefüge aufmerksam machen.
Neben der Künstlerin steht eine Schneiderpuppe mit einem halbfertigen Kleid aus Etiketten. „Made in China“ steht auf den meisten, auch „Turkey“ oder „Mauritius“. Will man den Modebetrieb ernsthaft reformieren, kommt man ums Dekolonisieren nicht herum. Das Waschen sei dafür eine passende Metapher. Etwas reinzuwaschen, „aus Schwarz mach Weiß“, das Bleichen – da schwinge viel mit, sagt Caveng. Ihr gehe es weniger ums bloße Recyceln als darum, Kleidung als Insignien wirtschaftlicher Macht darzustellen.
Der Kampf gegen die Wegwerfindustrie gleicht ohnehin einem Kampf gegen Windmühlen. Allein in Altkleidercontainer wird in Deutschland jährlich über eine Million Tonnen Kleidung gegeben. Fußballfelder oder das Saarland lassen sich hier vergleichsweise nicht mehr bemühen, aber füllte man diese Menge in Lkws, würden diese aneinandergereiht eine Schlange vom nördlichsten bis zum südlichsten Punkt Deutschlands bilden. Dass Kleiderspenden bereits lokale Textilmärkte in Afrika zerstört haben, kommt noch hinzu. „Ich halte den Menschen für komplett überreizt“, sagt Caveng. „Die Dinge haben keinen Wert mehr für uns.“ Dabei sei Kleidung ungeheuer politisch. Caveng engagiert sich mit ihrer Kunst auch im Ausland, war in Kriegsgebieten im Irak und Syrien unterwegs. Die Lebenssituation unterscheide sich zwischen den Ländern enorm, die Kleidung manchmal jedoch kaum. „Ich habe Kleidung in den Booten in Lampedusa gesehen, die genauso auch in meinem Kleiderschrank hängen könnten“, erzählt sie.
Der Wert der Kleidung
Doch auch hierzulande ist Kleidung je nach Lebenslage unterschiedlich viel wert. Obdachlose etwa müssten bei ihrer Auswahl besonders auf das Material achten, sagt Alice Fassina. „Kunstfaser geht nicht, das stinkt zu schnell.“ Fassina ist Kostümbildnerin und arbeitet gemeinsam mit Caveng an „Streetware“. Der karitative Teil ist ihnen neben der Kunst wichtig. So fahren die beiden regelmäßig mit ihrer frisch gewaschenen Kleidung durch die Nachbarschaft und bieten sie Wohnungslosen an. Der Aufzug fällt auf; Caveng und Fassina präsentieren die Stücke auf einer Kreuzung zwischen Wäscheständer und Kinderwagen. Einmal wöchentlich bieten sie zudem Touren zum Thema Obdachlosigkeit an; unter Führung von Jan Markowsky, der selbst einige Jahre auf der Straße gelebt hat.
„Mein Outfit ist übrigens – von der Strumpfhose bis zum Spitzen-BH – komplett von der Straße“, erzählt Caveng. Aufgefallen wäre das nicht. Kleidung von der Straße, das Spiel mit Vintage, steht echter Bedürftigkeit natürlich krass entgegen. Dieses Spannungsverhältnis auf die Spitze treibt das vierköpfige Team hinter „Streetware“ mit ihrem Lumpenball, der – so die Pandemie es erlaubt – im Juli stattfinden soll. „Er geht zurück auf den ersten Lumpenball in Wien 1872“, sagt Fassina. Adlige kleideten sich in Lumpen – echte Armut wurde so verhöhnt. Der Berliner Ball soll als Abschluss des „Kongresses auf der Kleiderhalde“ stattfinden. Dafür werden 20 Tonnen Kleidung aufgeschüttet; auf diesen Hügeln wird dann eine Woche lang diskutiert. Ort und Zeit stehen noch nicht fest.
Überhaupt haben Caveng und ihr Team noch viel vor. Outdoor-Aktionen, weitere Stadtführungen und Workshops mit Jugendlichen sind bereits in Planung. Gesichert ist die Finanzierung für das Waschprojekt allerdings zunächst nur für ein halbes Jahr. „Traumhaft wäre daher ein richtiger Waschsalon“, sagt Caveng. Arbeit hinterm Bügelbrett – steht das einem modernen Frauenbild nicht entgegen? Die Künstlerin lacht. „Dass wir mit diesen Motiven nur spielen, sieht man doch sofort.“ Caveng wird dann doch nachdenklich. Dass das Bild von zwei waschenden Frauen falsche Assoziationen wecken könnte, darauf sei sie überhaupt nicht gekommen. In ihrer Wirklichkeit waschen Männer längst genauso häufig wie Frauen. „Aber“, seufzt sie, „man denkt schließlich immer, wir wären schon weiter, als wir es tatsächlich sind. Auch was Feminismus betrifft.“
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