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Berliner Kli­ma­bür­ge­r:in­nen­ratDie Tür stand auf

Kommentar von Claudius Prößer

Die Empfehlungen des Kli­ma­bür­ge­r:in­nen­rats überraschen nicht wirklich. Dennoch sind sie von Wert für die Berliner Politik.

Hier wurden am 30. Juni der Politik die Forderungen des Kli­ma­bür­ge­r:in­nen­rats überreicht Foto: dpa

J etzt liegen sie also vor, die mit allergrößter Spannung erwarteten Ergebnisse des Berliner Kli­ma­bür­ge­r:i­nnen­ra­tes. 47 Empfehlungen, wie die Politik beim Klimaschutz handeln soll, ausgesprochen von genau 100 Menschen aus der ganzen Stadt, Menschen aller Altersgruppen, mit und ohne Migrationserfahrung, aus unterschiedlichen sozialen Kontexten. War diese Spannung nun gerechtfertigt? Vielleicht eher nicht, soll die Antwort hier lauten. Was keineswegs bedeutet, dass die Übung umsonst war.

Viele der Empfehlungen, die zum Teil mit großen Mehrheiten verabschiedet wurden, lesen sich wie eine Zusammenfassung wichtiger Punkte des rot-grün-roten Koalitionsvertrags bzw. der politischen Agenda der grünen Senatsverwaltung für Mobilität, Umwelt und Klimaschutz. Etliche sind in ihrer Allgemeinheit auch über das gesamte politische Spektrum hinweg Common Sense.

„Der Energie- und Ressourcenverbrauch muss in allen Bereichen – Staat, Wirtschaft und Gesellschaft – reduziert werden.“ Wer wollte da widersprechen? Ein attraktiverer ÖPNV mit guten Umsteigemöglichkeiten, ein zügiger Ausbau der Ladeinfrastruktur, die rasche Umsetzung der vom Mobilitätsgesetz vorgesehenen Radinfrastruktur? Ja klar. Schnellstmögliche Umsetzung der Solarpflicht auf Dächern, Abbau der Förderung von Gasheizungen, eine Ausbildungsoffensive in klimarelevanten Berufen, etwa im Installationshandwerk: Was denn sonst?

All das verweist auch auf einen strukturellen „Bias“, also eine bereits vorhandene Tendenz bei vielen der Ratsmitglieder – auch wenn die Verantwortlichen immer wieder auf das angewandte Losverfahren und die soziale Mischung der Teilnehmenden hinweisen. Aber ist die Vermutung wirklich weit hergeholt, dass bei 2.800 zufällig Angeschriebenen und 238 Rückmeldungen vor allem Menschen in die engere Wahl kamen, denen das Klima-Thema ohnehin am Herzen liegt?

Hätte es sich beim Bür­ge­r:in­nen­rat tatsächlich um das viel beschworene „Miniatur-Berlin“ gehandelt, hätten bestimmte Forderungen vielleicht keine Mehrheit in den Abstimmungen gefunden – vor allem diejenigen, die so konkret sind, dass ihre Folgen für jedeN einzelneN leicht vorstellbar sind. Interessanterweise fiel das Votum gegen den Weiterbau der A100 mit 59 Prozent auch so schon vergleichsweise knapp aus.

Nicht nachher wundern!

So gesehen sollte es niemanden Wunder nehmen, wenn sich das vom Kli­ma­bür­ge­r:in­nen­rat erzeugte Meinungsbild nicht bestätigt, sobald es hart auf hart kommt, also zum Beispiel über die Forderungen von „Berlin autofrei“ an den Urnen entschieden wird. Dass die Bevölkerung in Wirklichkeit vielleicht nicht ganz „so weit“ ist, zeigt ja schon ein Blick auf die Zulassungszahlen von Pkw oder andere Konsumindikatoren.

Aber: Politik wird von denen geprägt, die sich engagieren – das gilt für Parteien und Institutionen ebenso wie für ehrenamtliche Formate. Wer seine Chance ergriffen hat, Senat und Parlament durch die Teilnahme am Kli­ma­bür­ge­r:in­nen­rat auf die Sprünge zu helfen, der darf auch darauf hoffen, dass sich dieses Engagement auszahlt. Die Tür stand auf – wer wollte, konnte hindurchgehen.

Jetzt muss die Politik liefern, das haben Senatorin und Abgeordnete bei der Übergabe der Forderungen betont. Einen Richtungswechsel wird es auf der Grundlage der Empfehlungen nicht geben, aber an der einen oder anderen Stelle erhöht das Votum der BürgerInen dann doch die Legitimität von unangenehmen oder teuren Maßnahmen.

Erfreulich war vor allem die durchaus glaubwürdige vorgetragene Bereitschaft der AdressatInnen, den Dialog nicht einfach abreißen zu lassen. Senatorin Jarasch hat die RätInnen schon zur Evaluation nach einem Jahr eingeladen. Die sollten sich auf diese Chance zum Nachbohren keinesfalls entgehen lassen.

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Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1969, lebt seit 1991 in Berlin. Seit 2001 arbeitet er mit Unterbrechungen bei der taz Berlin, mittlerweile als Redakteur für die Themen Umwelt, Mobilität, Natur- und Klimaschutz.
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1 Kommentar

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  • Der sogenannte Bürgerrat hat eine ganze Reihe von Schwächen. Die Namen der RätInnEn sind nicht bekannt, die Verteilung der Wohnorte auf Innenstadt und Außenring kann nicht öffentlich eingesehen werden, im Auswahlverfahren wird bereits im ersten Anschreiben das "Interesse am Thema Klimaschutz" erfragt, sogenannte "Themenpaten" "unterstützen" den Rat, Sitzungen erfolgen nicht öffentlich, bereits bei der Auftaktveranstaltung wurde Klimaneutralität päsentiert, u.s.w.

    Angesichts dessen ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Ergebnisse voll auf Parteilinie liegen.