piwik no script img

Berliner GrüneHopp oder Pop?

Im Herbst entscheiden die Grünen darüber, mit wem sie 2021 in die Wahlen zum Abgeordnetenhaus gehen. Wer wird's?

Ramona Pop und Antje Kapek in einer Abgeordnetenhaussitzung im November 2019 Foto: dpa

Berlin taz | Es wird so langsam ernst: In einem zentralen Antrag für ihren nächsten Parteitag Ende März bereiten die Grünen eine große politische Veränderung in Berlin vor. Im Herbst, so steht es in dem jetzt verbreiteten Papier, „wollen wir Grünen in einer Landesmitgliederversammlung darüber entscheiden, in welcher Formation und mit welchem Spitzenpersonal wir in die Wahl gehen“. Einfacher gesagt: Am 28. November soll klar sein, ob Wirtschaftssenatorin Ramona Pop oder Fraktionschefin Antje Kapek 2021 mit gewisser Wahrscheinlichkeit erste grüne Regierende Bürgermeisterin des Landes und erste Frau in diesem Amt überhaupt wird.

Bei den so oft Teilhabe und Partizipation betonenden Grünen darf das natürlich nicht so einfach im Text stehen. Dabei ist die Formulierung, wonach zu klären ist, „in welcher Formation“ man antrete, genauso eine Mogelpackung wie das gegenwärtige mantrahafte CDU-Gerede vom „Team“, das angeblich die Christdemokraten führen soll. Bei den Grünen legt der Begriff „Formation“ ähnlich irreführend nahe, es gebe Varianten zu einer Spitzenkandidatur – was nicht so ist.

Die Grünen haben zwar die Doppelspitze in die deutsche Politik eingebracht, und die SPD hat dieses Modell jüngst übernommen. Doch die Verfassung von Berlin sieht so etwas samt alternativer Formationen nicht vor: „Der Senat besteht aus dem Regierenden Bürgermeister und bis zu zehn Senatoren“, steht da in Artikel 55. Nur eine Person an der Spitze also, und die Möglichkeit, dass eine Frau den Posten übernimmt, kennt das Gesetz rein sprachlich gar nicht. Zwei gleichberechtigte Regierungschefs gab es zwar schon mal dort, wo es auch einen Senat gab – aber das war im antiken Rom mit zwei Konsuln an der Spitze des Staates.

Die Gesetzeslage samt Vorgaben für Kandidaturen stürzt die Grünen regelmäßig in ein Dilemma: Ausgerechnet die Partei der Doppelspitzen muss sich alle paar Jahre zu Abgeordnetenhaus- oder Bundestagswahlen für eine alleinige Nummer 1 entscheiden, die ganz oben auf der offiziellen Kandidatenliste steht. Das war nicht allzu relevant und durchaus mit viel Team-Rhetorik zu übermalen, solange die Grünen nichts mit der Führung der Regierung zu tun hatten. Und darum setzten die Grünen bei der vergangenen Wahl sogar auf eine doppelte Doppelspitze, mit den jeweils zwei Führungskräften aus Partei und Fraktion.

In den Umfragen kommen sie auf 25 Prozent

Doch dieses Mal ist das anders. Die Grünen führen die Umfragen in Berlin für die Abgeordnetenhauswahl, die für den Herbst 2021 vorgesehen ist, mit großem Vorsprung an. In der jüngsten Umfrage kommen sie auf 25 Prozent – die Linkspartei als nächststärkste erreicht bloß 17, die CDU 16, die SPD gar nur 15 Prozent. Seit Oktober 2018 liegen die Grünen in Berlin vorn, fast eineinhalb Jahre schon – und es ist kein Grund erkennbar, warum sich das ändern sollte: Mehr Autofahrer oder über die ausbleibende Mobilitätswende enttäuschte Radfahrer als bislang kann die Partei kaum noch vergrätzen. Und auch Franziska Giffey als letzte Rettung der SPD verändert bislang die Umfragewerte nicht.

Die Führung in den Umfragen währt bereits jetzt deutlich länger als vor der Abgeordnetenhauswahl 2011, als die Grünen eine Zeitlang auch Hoffnungen hegen konnten: Da wurden sie aber erst ein Jahr vor der Wahl stärkste Partei, konnten sich aber nur viel kürzer vorne halten und lagen sieben Monate später wieder dauerhaft hinter der SPD, am Wahlabend dann sogar auch noch hinter der CDU. Es lässt sich also durchaus mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass den Grünen 2021 in Berlin gelingt, was ihre Parteifreunde in Baden-Württemberg schon 2011 schafften: die Regierungszentrale zu übernehmen.

In Berlin braucht es dafür im Grunde kein großes Casting, keine Kandidatenschau – weil die führenden und bekanntesten Grünen-Frauen seit Jahren unter genauer Beobachtung der (interessierten) Öffentlichkeit ihren Job machen, nämlich Fraktionschefin Kapek und Senatorin Pop, bis 2016 ebenfalls lange Vorsitzende der Abgeordnetenhausfraktion. Völlig absurd wäre es, wenn die so sehr auf Frauenförderung setzenden Grünen ausgerechnet beim Spitzenjob ihren seit vielen Jahren bewährten weiblichen Führungskräften einen Mann vorzögen.

Auf dem Wölkchen mit Krönchen

Schon im Mai des vergangenen Jahres fragte die taz Pop, ob es ihr nicht schmeichele, dass sie als Regierungschefin gehandelt wurde. Pops Antwort damals: „Wer mich kennt, der weiß, dass ich weder auf rosa Wölkchen sitze noch mir irgendwelche Krönchen aufsetze.“ Das braucht Pop auch gar nicht, weil es im Herbst an der Partei ist, ein solches Krönchen aufzusetzen – ihr oder Kapek.

Wer von den beiden gerade vorne liegt, lässt sich schwer ausmachen. Es gibt aber Indizien. Kapek, zu Hause im – wie der gesamte Landesverband – links dominierten Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, war in den vergangenen Monaten weit weniger in der Kritik als Pop. Und obwohl auch andere Führungskräfte aus Partei und Fraktion Pops Wunsch stützen, die bisherige Auto-Messe IAA als Mobilitätsplattform nach Berlin zu holen: Es war die Wirtschaftssenatorin, die beim Grünen-Parteitag im Dezember als große Verliererin aus einer Abstimmung dazu herausging und danach verständlicherweise um ihre Fassung rang. Auch Pops pragmatische Herangehensweise in Sachen Tesla-Ansiedlung vergangene Woche – „man muss nicht immer gegen alles sein“ – brachte ihr Kritik ein.

Pop hat als Senatorin zwar formell mehr Regierungserfahrung. Aber zum einen ist ihre Wirtschaftsverwaltung eines der kleinsten Senatsressorts, zum anderen kann Fraktionschefin Kapek, wenn auch ohne Stimmrecht, in jeder Senatssitzung mit am Tisch sitzen. Es ist auch nicht so, dass da nun holzschnittartig eine Reala und über linke Kreise anschlussfähige Frau einer linken Ideologin gegenüberstünde. Vor einem Monat etwa saß Kapek mit CDU-Chef Kai Wegner in einem Gesprächssalon der Christdemokraten zusammen.

Treffen an Bio-Wurstbuden

Man diskutierte, man war sich zwar nicht einer Meinung, aber per „Du“, und Teilnehmern zufolge mündete das Treffen im kleinen Kreis an einer Bio-Currywurstbude. Auch mit CDU-Fraktionschef Burkard Dregger, der sich nach dem Thüringen-Eklat mit einer sehr misslichen Äußerung selbst in eine rechte Ecke bugsierte, stand Kapek während der Parlamentssitzung am Donnerstag eine Zeitlang plaudernd zusammen.

Ja, bis zur Abgeordnetenhauswahl sind es noch eineinhalb Jahre. Und natürlich wissen die Grünen noch genau, dass 2011 ihr Vorsprung noch schneller dahinschmolz als die Polkappen. Aber die Ausgangsvoraussetzungen sind andere als damals, der Vorsprung dieses Mal längst über eine momentane Welle wie etwa den immer langsamer werdenden „Schulz-Zug“ bei der SPD 2017 hinaus. Es dürfte Zeit sein, die Landesverfassung upzudaten, und in Artikel 55 ein „… oder der Regierenden Bürgermeisterin“ einzufügen. Ob die Kapek oder Pop heißt, braucht ja nicht im Gesetz zu stehen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Ja! Artikel 55 der Berliner Landesverfassung sollte sofort geändert werden. Allerdings könnte es sein, dass eine “Nicht-Grüne” die erste regierende Bürgermeisterin Berlins’ wird. Umfragen zur Wahl sind das Eine, Realitäten oft Andere.