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Berliner GeschichteTempelhofs dunkle Seite

Auf dem ehemaligen Flugfeld stand ein KZ. Der Senat bewirbt den Ort als "Tempelhofer Freiheit". Vereine finden das zynisch und fordern eine Gedenkstätte.

Die Zwangsarbeiterbaracken auf einem britischen Luftbild von 1943. Bild: Luftbilddatenbank/TARA

Auf dem Tempelhofer Feld soll eine Gedenkstätte für Opfer des Nationalsozialismus entstehen, fordern mehrere Berliner Vereine. „Am nördlichen Rand des Feldes stand eines der wichtigsten Konzentrationslager der frühen Nazizeit, das KZ Columbiahaus“, sagt Beate Winzer vom „Förderverein für ein Gedenken der NS-Verbrechen auf dem Tempelhofer Flugfeld“. Auch ein Zwangsarbeiterlager stand auf dem Gelände.

Die aktuelle Planung für das Flughafengelände sieht sowohl eine große Freifläche als auch Wohn- und Gewerbebebauung vor. Das Flughafengebäude soll weiterhin als Event-Location genutzt werden. Außerdem soll auf dem Feld der Neubau der Zentral- und Landesbibliothek enstehen.

Spuren sichtbar machen

Winzer hingegen will die Spuren des Zwangsarbeiterlagers sowie des KZs „für alle sichtbar machen.“ Auch Jürgen Karwelat von der Berliner Geschichtswerkstatt pflichtet bei: „Das Tempelhofer Areal ist groß genug, um dieser Erinnerung ihren Platz zu geben.“ Im größten Konzentrationslager Berlins wurden zwischen 1934 und 1936 vor allem politische Häftlinge eingesperrt, gefoltert und getötet. Als sich die Verfolgung durch die Nazis ausweitete, wurde das KZ am Columbiadamm geschlossen, weil es nicht genug Kapazitäten hatte. Der neugebaute Flughafen wurde ab 1939 zur Montage von Kriegsflugzeugen genutzt und gehörte zu einem der größten Rüstungsunternehmen Deutschlands.

„Ein Drittel der Belegschaft waren ZwangsarbeiterInnen, die unter schrecklichen Bedingungen litten“, sagt Winzer. Dass das Tempelhofer Feld seit 2010 mit dem Namen „Tempelhofer Freiheit“ beworben wird, sei schlichtweg eine Beleidigung den Opfern gegenüber.

Mitgeprägt hat diesen Namen die Tempelhof Projekt GmbH. Die Gesellschaft ist für die Verwaltung und Entwicklung des Tempelhofer Felds verantwortlich. „Tempelhofer Freiheit – unser Name ist Programm für die Zukunft und nicht für die Vergangenheit“, sagt Geschäftsführer Gerhard Steindorf. Der Senat sieht das ähnlich: „Mit dem Namen Tempelhofer Freiheit wollen wir eine Zukunftsperspektive aufzeigen und keine historische Aussage machen“, sagt Manfred Kühne, in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zuständig für das Tempelhofer Feld. Er könne allerdings verstehen, dass der Name „missverständlich sein könne“.

Eine Gedenkstätte, so Kühne, sei von Senatsseite nicht geplant. Stattdessen soll es etwa eine Tafel geben, an der über die Geschichte des Geländes informiert wird. Eine Tafel – das ist dem Kreuzberger Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) nicht genug. Er warnt vor einer Musealisierung des Flugfelds: „Wir brauchen einen Ort der aktiven Auseinandersetzung und des Lernens“, sagt Schulz. Für einen solchen Ort, an dem Geschichte erlebbar wird, spricht sich auch die Bezirksbürgermeisterin von Tempelhof-Schöneberg, Angelika Schöttler (SPD), aus. Sie befürworte Grabungen auf dem Gelände, um Spuren zu sichern, sagte sie der taz. Die Vereine gehen davon aus, bei Grabungen auf Reste des Konzentrationslagers zu stoßen, da dieses nur aufgeschüttet, aber nicht zertrümmert worden sei.

Gegraben werden muss ohnehin: Bevor auf dem Tempelhofer Feld neue Gebäude errichtet werden dürfen, müssen im Rahmen der Bauordnung zunächst archäologische Untersuchungen erfolgen. Diese würden im Herbst beginnen, bestätigt Karin Wegner, die Leiterin des Fachbereichs Archäologie beim Landesdenkmalamt. „Die NS-Vergangenheit auf dem Gelände haben wir dabei fest im Auge“, so Wegner.

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12 Kommentare

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  • L
    logo

    Ich finde das völlig ok. Dass man gräbt nach gedenkfähigen Überbleibseln. Und dass das alte Flugfeld Freiheit heißt. Sollte man es KZ nennen ?

  • G
    Gedenker

    Mein neuer Tagesplan:

     

    7.00 Aufstehern

    7.01 Holocaust gedenken

    7.16 Frühstück

    7.30 Arbeit

    7.30 gemeinsames Holocaustgedenken

    12.00 Mittagessen

    12.06 Holocaust gedenken

    17.00 Feierabdens

    17.05 Holocaust gedenken

    17.15 Kurze Pause

    17.20 Holocaust gedenken

    18.00 Nach Tempelhof fahren

    18.15-20.00 Holocaust gedenken

    Orte die für mein Holocaustgedenken besonders geeignet sind: Holocaustmahnmal(logisch), Tempelhofer Feld(weil noch nicht genug gedacht), Berlin(da waren die Nazis), mein Lieblingsbadesee(da haben die Nazis gebadet), beim Italiener(waren mit den Nazis verbündet), vor dem Mercedeshändler(damit wurde Hitler gefahren), beim VW-Autohaus(haben die Nazis gegründet), auf der Autobahn(eh klar), in der Bahn(fuhr ins KZ), beim Telefonieren(damit wurde der Holocaust organisiert) und natürlich in Deutschland(da kamen die Nazis her). Die einzigen Orte wo ich mal Gedenkpause habe: Bautzen, Mauerstreifen, Stasiknäste, Parteitag der SED. Da braucht man nicht gedenken. Und natürlich bei der taz(da sind die Guten). Über weitere Anregungen für neue Gedenkorte, Umbenennungen und Gedenkmöglichkeiten würde ich mich sehr freuen, denn ich will nichts falsch machen. Da ich die 70er nicht einmal erlebt habe, bin ich zwar voll verantwortlich, habe aber zu Gedenkfragen keine Ahnung.

  • E
    EnzoAduro

    @heilige Luftbrücke

    Der Park steht aber auch an der Grenze zu Neukölln und Kreuzberg. Da ist das ganze schon weniger ausgeprägt. Und Altlinke sind da selten Pro USA :-)

  • EH
    Ein Holländer

    Meine Güte, "der Deutsche" suhlt sich gerne in seiner Vergangenheit. Wer es braucht ...

  • HL
    heilige Luftbrücke

    @ EnzoAduro:

     

    Als Tempelhofer, der vor anderthalb Jahrzehnten aus "dem Westen" kam, darf ich Ihnen sagen:

     

    Die Luftbrücke ist hier eine so dermaßen heilige Kuh, daß sie garantiert niemals irgendwer übersehen wird. Die Gefahr besteht nicht. Dank Luftbrückenherrlichkeit sind in Tempelhof sogar die Roten und Altlinken US-patrioten.

    Von dem Zwangsarbeiterlager hingegen habe ich nicht mal in den Jahren was gelesen, als ich in der hiesigen Öffentlichkeitsarbeit tätig war.

  • E
    EnzoAduro

    @Leserin

    Ich stimme Ihnen zu, das die Aufarbeitung aus heutiger Perspektive besonders in den Anfangsjahren etwas unengargiert gemacht wurde. Stichwort Filbinger.

     

    ABER: Nirgendswo in der Welt, in der Geschichte der Menschheit, hat man sich auch nur in Ansatz so ernst und schonungslos mit der eigenen Geschichte auseinandergesetzt.

     

    zu 2: Ich hab kein Problem damit. Es ist nur eine Überdosis erreicht. Die Dosis macht es.

     

    Zum letzten Punkt: Ich bin ein Kind der 80er. Mich persönlich geht nicht mehr als die anderen 8 Milliarden Menschen. Mich regt auf das man mir einreden will ich sei "genetisch" vorbelastet einen Völkermord zu starten. Falls Sie das suggerieren wollen.

  • TF
    Tempelhofer Freiheit

    "Dass das Tempelhofer Feld seit 2010 mit dem Namen "Tempelhofer Freiheit" beworben wird, sei schlichtweg eine Beleidigung den Opfern gegenüber."

     

    So ein Quatsch. Der Name bezieht sich auf die Zeit für die Tempelhof bekannt ist, die Aufrechterhaltung der Freiheit Westberlins gegen den Willen der Sozialisten. Da Linke die Sozialistische Diktatur bis heute schwer vermissen stinkt es ihnen und sie holen die übliche Nazikeule.

  • L
    Leserin

    Sehr geehrter Herr Aduro,

     

    1. unsere Vergangenheit besteht eben doch größtenteils aus "Nazi" und zwar nicht nur bis sondern auch nach 1945! Dank sehr wenig Aufarbeitung - vor allem staatlicherseits - saßen die meisten VerbrecherInnen der höchsten Ränge auch später noch auf ihren Posten! Abgesehen von diesen kann man wohl auch den Großteil der deutschen Bevölkerung zumindest als Mitschuldige bezeichnen, weswegen die meisten der sog. 3.Generation von Nazis abstammen dürften

     

    2.warum haben Sie so ein enormes Problem verantwortungsbewusst mit der Nazivergangenheit umzugehen? Bald wird es keine ZeitzeugInnen mehr geben, also wird es um so wichtiger sein, andere Wege der Erinnerung und Auseinandersetzung zu beschreiten

     

    3.Geschichte ist doch kein eindimensionales Ereignis. Was ist dagegen einzuwenden, am Tempelhofer Feld sowohl der Luftbrücke als auch den Opfern von Zwangsarbeit und Folter zu gedenken, wenn sie nun mal dort stattgefunden haben?

     

    4. Es geht ja gerade darum, nicht nur an "zentralen Orten" zu gedenken. Ganz Deutschland war und ist zentraler Ort, an dem die NS-Verbrechen stattgefunden haben.

     

    Sieht sich da jemand unangenehm berührt? Vielleicht sollten Sie mal darüber nachdenken, warum sie das persönlich so angeht...

  • DL
    der lentz

    erstens steht da schon ein gedenkdingsbums am columbiadamm

    und zweitens ist die idee noch mehr da hinn zu bauen einfach m***

    wird schon so fast alles zubetoniert,für die buga gesperrt....

  • E
    EnzoAduro

    Das Tempelhofer Feld ist DER Zentrale Ort der Geschichte der Luftbrücke. Das dieser Ort auch für den Holocaust genutzt wurde mag schrecklich sein. Aber am Ende wird dem an anderen Orten gedacht. Wenngleich natürlich der Holocaust ein ungleich, unvergleichlich wichtigerer Teil der Geschichte war. Das Tempelhofer Feld war hier nicht der Zentrale Ort.

     

    Es gibt die Wanseevilla, das Holocaustmahnmal, am S-Bahnhof Steglitz ist auch was. Die Stolpersteine... In der Schule nimmt man den Holocaust quasi in allen Schulfächern außer Mathe und Sport durch. Jetzt den Namen Tempelhofer Freiheit zu verunglimpfen ist taktlos und skandalös. Denn es lenkt von der eigentlichen Geschichte die dieser Ort erzählt ab. Man benennt ja auch nicht jeden Bahnhof in Deutschland als "Holocaust-Bahnhof". Könnte man aber sicher.

  • E
    EnzoAduro

    Nebenbei dürfte wohl auch dem ungebildetsten Zeitgenossen klarsein das Tempelhofer Freiheit sich auf die Luftbrücke bezieht. Wir haben auch ein Recht an diesen Teil unserer Geschichte zu erinnern! Unsere Vergangenheit besteht nicht nur aus Nazi.

  • E
    EnzoAduro

    Noch eine Gedenkstätte? Nirgendswo haben so wenige für die NSDAP gewählt wie im Wahlkreis Berlin. Nirgendswo stehen soo viele Gedenkstätten.

     

    Stellt doch mal eine in München -der Hauptstadt der Bewegung auf- ehrlich. Dieses Overgedenkstätten in Berlin ist doch krank. Wir wollen hier auch leben!