Berliner Frühgeschichte: Fenster in die Vergangenheit
In Mitte wird Richtfest für das Archäologische Haus gefeiert. Es hat fast eine so abenteuerliche Geschichte wie jene, die dort bald präsentiert wird.
Seit 15 Jahren graben Archäolog*innen an diesem Ort nach Zeugnissen der Stadtgeschichte. Inzwischen ist die Ecke mit Nutz- und Wohngebäuden aus DDR-Zeiten verziert. Aber mit der Petrikirche stand dort eines der ältesten Gotteshäuser der heutigen Metropole, erst 1964 wurden die letzten Reste abgetragen. Unter der Oberfläche der Brache förderten Forscher*innen Erstaunliches zutage.
Etwa Relikte von mehreren Fassungen der Kirche; Mauern einer Lateinschule, die dort bis 1730 stand. Vor allem aber Gebeine von 4.000 Toten, wie Landesarchäologe Matthias Wemhoff berichtet. Die ältesten stammen bereits aus der Mitte des 12. Jahrhunderts, also gut 80 Jahre vor der ersten urkundlichen Erwähnung der Stadt 1237. „Zu jener Zeit muss es hier in dem slawischen Dorf in der Sumpfniederung eine sehr schnelle Entwicklung gegeben haben“, so Wemhoff über die neuen Erkenntnisse.
Auch recht schnell entwickelte sich vor 15 Jahren, als die Grabungen begannen, ein neues Verständnis von der Darstellung der Stadtgeschichte. Archäologische Funde, die im einsetzenden Nachwendebauboom auf Baustellen zutage traten, sollten nicht mehr nur ins Museum wandern, sondern sichtbar bleiben vor Ort. Archäologische Fenster nennt sich das Konzept, das Stadtbaudirektorin Regula Lüscher aus ihrem früheren Wirkungsort Zürich 2007 nach Berlin mitgebracht hat, wie sie sagt. Ein solches Fenster sollte, das war schnell klar, auch am Petriplatz entstehen.
Doch es wurde nach und nach ein ganzes Haus – das Archäologische Haus am Petriplatz. Hier werden künftig nicht nur die erwähnten Mauerreste sogar von außen einsehbar bleiben. Im Haus selbst, getragen unter anderem von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und dem Landesdenkmalamt, soll Berliner*innen die Arbeit der Archäolog*innen nähergebracht werden. Denn: „Das Interesse an der Stadtgeschichte Berlins wächst und wächst“, sagt Kultursenator Klaus Lederer (Linke), der auch für den Denkmalschutz zuständig ist.
Am Montag war erst mal Richtfest mit viel Prominenz, die sichtlich froh war, nach vielen Coronamonaten einen Präsenztermin zu haben. Auch die anderen Vorgaben stimmten: Die Baukosten von 32 Millionen Euro sind nicht gestiegen, der Zeitplan wurde eingehalten. Regula Lüscher sprach von einer komplizierten und „spektakulären Architektur“, die die Ausgrabungsstätte ohne Stützen überspanne. Und mit dem Konzept des Archäologischen Hauses sei Berlin Vorbild. Ganz fertig sind beide noch nicht, weder Haus noch Konzept. 2023 soll es dann so weit sein.
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