Berliner Fluchttunnel: Dreißig Meter Teilungsgeschichte

Bisher waren Fluchthelfer und Fluchttunnel abstrakte Begriffe in Büchern und Berichten. Jetzt kann man endlich einen davon in Berlin besichtigen.

Einweihung des Besuchertunnels durch Dietmar Arnold (links) und Michael Müller Foto: Uwe Rada

Was bedeutet es, wenn eine Stadt dreieinhalb Jahre lang beschossen wird? In Sarajevo ist der wichtigste Erinnerungsort an die Belagerung der Stadt von 1992 bis 1996 ein Tunnel zwischen der Stadt und dem Flughafen, durch den Menschen fliehen oder Waffen geschmuggelt werden konnten.

Was bedeutet es, wenn eine Stadt 28 Jahre lang von einer Mauer geteilt wurde, an der Schießbefehl herrschte? Anders als Sarajevo hat Berlin erst 30 Jahre nach dem Mauerfall seinen Tunnel begonnen. Es ist der Zugang zu einem Fluchttunnel in der Brunnenstraße 143.

Bei der Eröffnung am Donnerstag, bei der auch der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) zugegen war, sagte Dietmar Arnold von den „Berliner Unterwelten“: „Wir sind jetzt die Einzigen, die ihren Gästen einen echten Fluchttunnel präsentieren können.“

Es war ein Kraftakt, den der Verein zwei Jahre lang stemmte. 334 Tonnen Mergel mussten ausgehoben werden, um den dreißig Meter langen Besuchertunnel an den authentischen Fluchttunnel zu graben, der zwischen Herbst 1970 und Februar 1971 entstanden ist. Dieser führte von der Brunnenstraße 137 im Wedding in die Brunnenstraße 142 in Mitte; die untertunnelte Strecke zwischen West und Ost betrug 105 Meter. Es war einer von sieben Tunneln auf dem nur 350 Meter langen Grenzabschnitt an der Bernauer Straße.

Ulrich Pfeifer hat den Tunnelbau vor 49 Jahren geleitet. Über die Fluchthelfer und ihre Motive sagte er: „Fast alle damals sind wir nach dem Mauerbau in den Westen gegangen. Ich selbst bin durch die Kanalisation geflüchtet. Und wir hatten alle Freunde, die diesen Scheißstaat verlassen wollten.“

Skizze des Tunnels von der Brunnenstraße 137 zur 142 Foto: Uwe Rada

Wie viel Mühe der Bau des Tunnels kostete, machte Pfeifer ebenfalls deutlich: „Weil es bei einem anderen Tunnel zweimal Wassereinbruch gab, haben wir vier Meter tiefer gegraben. Der Tunneleingang ist eine schiefe Ebene, damit die Loren das Erdreich abtransportieren konnten.“

Doch fünf Meter vor dem Durchbruch auf Ostberliner Gebiet wurde der Tunnel entdeckt. „Wir haben gesehen, wie die Stasi mit Ultraschallsondierung den Boden untersuchte. Das war deprimierend.“ Kurz darauf wurde der Tunneleingang zugeschüttet. Die Arbeit war umsonst

Heute ist es ein Glück, dass es diesen Tunnel noch gibt. Und dass die Unterwelten als Bauherr diesen „positiven Wahnsinn“ wagten, wie es Michael Müller nannte. Leider ist der Tunnel, der das Zeug zu einer der spannendsten Berliner Touristenattraktion hätte, nur im Rahmen von Führungen der Unterwelten zu besichtigen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.