Berliner Abgeordnete zu Lage in der Türkei: „Die Hoffnung schwindet schnell“
Tuba Bozkurt verließ ihren Berliner Wahlkampfstand, um Spendenpakete zu packen. Ihre Familie lebt im Erdbebengebiet.
![Mitglieder dertürkischen Gemeinde stehen aufgereiht, um große Plastiksäcke mit warmer Kleidung weiterzureichen Mitglieder dertürkischen Gemeinde stehen aufgereiht, um große Plastiksäcke mit warmer Kleidung weiterzureichen](https://taz.de/picture/6082834/14/32114702-1.jpeg)
taz: Frau Bozkurt, Sie sind Berliner Abgeordnete mit türkischen Wurzeln, ihre Familie lebt in der Provinz Malatya, einem der Epizentren der schweren Erdbeben seit Montagfrüh. Haben Sie Kontakt zu Ihren Angehörigen?
Tuba Bozkurt: Ich habe in den letzten Stunden sehr viel mit meinen Cousins gesprochen, die in Malatya leben. Die Menschen sind beim ersten Beben in der Nacht zu Montag aus den Häusern gerannt, in ihren Schlafanzügen, in die Kälte. Irgendwann sind sie wieder reingegangen. Dann kam das zweite, noch stärkere Beben. Die Häuser sind eingeknickt wie Kartenhäuser, hat mein Cousin erzählt. Er ist in der Baubranche tätig. Eigentlich, sagt er, gibt es seit dem letzten großen Erdbeben 1999 Vorgaben, dass erdbebensicher gebaut werden muss. Aber da werde sich oft nicht dran gehalten.
Haben Sie Angehörige, die noch vermisst sind?
Wir haben zu vielen aus der Familie noch keinen Kontakt. Das Dorf, aus dem mein Vater stammt, ist gänzlich vom Mobilfunknetz abgeschnitten. Zwei Familienangehörige sind tot. Meine Eltern sind zum Glück gerade in Berlin zu Besuch. Die letzte Nacht war hart: Diese schrecklichen Nachrichten die ganze Zeit. Meine Eltern fühlen sich auf eine – natürlich irrationale – Art schuldig, dass sie hier sind. Sie sagen, das Privileg, jetzt in Berlin zu sein, fühlt sich falsch an.
Die 40-Jährige ist Abgeordnete der Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Derzeit kämpft sie um ein erneutes Direktmandat in ihrem Wahlkreis in Berlin-Mitte.
Es haben sich in Berlin aus der türkischen Community heraus schnell Sammelstellen für Spenden organisiert. Sie haben am Montag selbst Kartons gepackt. Wie erleben Sie diese große Solidarität?
Ich kenne die Menschen, die sich jetzt engagieren, teilweise persönlich. Ich habe am Montag spontan meinen Wahlkampfstand – in Berlin sind ja am Sonntag Abgeordnetenhauswahlen – verlassen und habe versucht, beim Sortieren der Spenden zu helfen. Innerhalb von nur vier Stunden hat diese Hilfsbereitschaft ein unglaubliches Ausmaß angenommen. Die Menschen sind auch in die Geschäfte gelaufen, in Drogerien und Klamottenläden, und haben eingekauft: Winterkleidung, Kinderkleidung, Hygieneprodukte. Auch aus der arabischen Community kam übrigens viel Hilfe.
Wie funktioniert von diesen Ad-hoc-Sammelstellen der Transport in die Krisengebiete?
In der Nacht zu Dienstag hatten viele türkische Unternehmer in der Stadt erst mal spontan ihre Lagerhallen zur Verfügung gestellt, um die Karton zwischenzulagern. Dienstagfrüh hieß es dann, über die türkische Botschaft werden von Turkish Airlines kostenlose Cargo-Flüge in das Katastrophengebiet organisiert.
In der kurdischen Bevölkerung gibt es Misstrauen gegenüber der staatlichen türkischen Katastrophenhilfe. Bekommen Sie das auch mit, wenn Sie draußen unterwegs sind, am Wahlkampfstand oder beim Kistenpacken?
Ja, wenn es um Geldspenden geht, gibt es großes Misstrauen, ob das Geld bei allen Betroffenen gleichermaßen ankommt. Die Menschen aus Deutschland können auch über die Aktion Deutschland Hilft spenden.
Was wünschen Sie sich jetzt, mit Blick auch auf Ihre Familie in der Türkei, an Hilfe aus Deutschland?
Es braucht jetzt schnell mehr Suchtrupps in den Katastrophengebieten. Es braucht vor allem Gerätschaften für die Bergung der Opfer. Die Hoffnung schwindet in der Eiseskälte jetzt schnell.
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