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Berlinale-Reihe „Forum Expanded“Maschinen sehen Maschinen

Mit der Reihe „Forum Expanded“ verlässt die Berlinale das Kino und sucht Anschluss an die Kunst: Das führt zu neuen kinematografischen Erfahrungen.

Höhepunkt des diesjährigen Forum-Expanded-Programms: „Orbitalna“. Bild: berlinale

Ein Förderband in industriell geschundener Landschaft. Rattert vor sich hin. Rhythmisch, stoisch, endlos. Vermutlich ist es Teil einer Anlage zum Abbau von Braunkohle. Transportiertes Erdmaterial fährt durchs Bild. Traurige Klumpen. Lange Zeit ist kein Mensch zu sehen. Die Maschinen bleiben unter sich, stehen in der und gegen die Natur. Für wen, für was wird hier noch fossiler Brennstoff gewonnen?

Dann kommt eine Frau ins Bild. Sie steht mit ausdrucksloser Miene in einem rostigen Häuschen. Bedient Steuergeräte. Bei einem kurzen Telefonat schätzt sie das Fördermaterial ein. Die Kamera geht derweil eigene Wege, fährt in autonom kreisenden Bewegungen die Anlage ab. Eine Texturstudie in gelblich-giftigen Bildern. Die ausgewertete Natur, die abgenutzten Maschinen, der darin apparatgleich agierende Mensch: eine systemische Schließung, der der Zweck abhanden gekommen scheint.

„Orbitalna“ heißt diese 25-minütige Arbeit des polnischen Regisseurs Marcin Malaszczak. Studiert hat er an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin, sein neuer experimenteller Film bildet einen, wenn nicht den Höhepunkt des diesjährigen Forum-Expanded-Programms.

Wer „Sieniawka“ gesehen hat, Malaszczaks Langfilmdebüt, eine sehr frei in fiktionale Zeichen überschießende Beobachtung der Bewohner eines psychiatrischen Krankenheims, wird die Landschaft von „Orbitalna“ wiederkennen. Selbst das Förderband war bereits zu sehen, als Element eines imaginären Grenzgebiets, das an Science-Fiction-Topografien erinnert.

Frei in fiktionalen Zeichen

Der präzise freigestellte dokumentarische Kern von „Sieniawka“ tritt in „Orbitalna“, der auf Outtakes rekurriert, nur auf den ersten Blick zurück. Die obsessiv Oberflächen abtastende Digitalkamera und die von elektronischen Sounds bestimmte Tonspur arbeiten das postindustrielle Setting eher hyperkonkret als abstrakt auf.

Die Filme

„Orbitalna“: 15. 2., Berlinische Galerie, 11 Uhr

„Project Speak2Tweet“: bis zum 17. 2. in der neuen Kirche St. Agnes

Der Blick auf diese Szenerie erweckt den Anschein, als hätte er jede Rückbindung an menschliche Betrachterpositionen aufgegeben. Verzerrte akustische Signale folgen aufeinander, übermitteln aber keine Botschaften mehr. Maschinen sehen Maschinen an – und der Mensch zieht sich verstört hinter verfallendes Steuergerät zurück, hat Mühe, die Illusion von Kontrolle aufrechtzuerhalten.

Programmatisch wie in den letzten Jahren schon verlässt die Berlinale mit der Expanded-Sektion das Kino, sucht den Anschluss an Räume und Konjunkturen der Kunst. Selbst wer diesen Weg nicht Diskursgeste für Diskursgeste mitgehen möchte, wird beim Blick auf die völlig unterschiedlichen filmischen Ausdrucksformen zugestehen müssen, dass hier das festivalweit breiteste Spektrum (post)kinematografischer Praktiken abgebildet ist.

Auch gut eingeführte Künstlerpositionen fehlen nicht: Von Yael Bartanas unproduktiv überproduzierter Blockbuster-Paraphrase „Inferno“ über Omer Fasts eher ratlos ins Kino transferierter Splitscreen-Arbeit zur Produktion des pornografischen Bildes („Everything That Rises Must Converge“) bis zur Präsentation von Ausgrabungen aus dem Jack Smith Archive, zu der John Zorn höchstpersönlich Platten im Theater HAU auflegt.

Gewaltiges Gegenarchiv

Eine weitere herausragende Arbeit, die von einem bestimmten Ort aus spricht und ohne vordergründigen Reflexionsapparat auf den Titel des Expanded-Programms („What Do We Know When We Know Where Something Is?“) eingeht, ist in der Galerie König zu sehen. In Heba Amins Installation „Project Speak2Tweet“ verweist der audiovisuell konstruierte „Ort“ auf ein jüngeres Ereignis.

Als Mubaraks Regime die ägyptischen Breitbandanbieter im Januar 2011 zwang, vom Netz zu gehen, schaltete Google mit der neu akquirierten Tochterfirma Saynow einen alternativen Kommunikationskanal frei. Über drei Telefonleitungen konnten gesprochene Mitteilungen in Tweets umgewandelt und abgehört werden. Das Medium Telefon hielt die politische Utopie des Internets von einer herrschaftsfreien Kommunikation am Leben.

Unter „#egypt“ und „#jan25“ entstand ein gewaltiges Gegenarchiv zu staatsoffiziellen Durchsagen, in dem die ÄgypterInnen Beobachtungen, Kommentare, Strategien „von unten“ verbreiten konnten. Die multiperspektivische Live-Berichterstattung gibt heute einen faszinierend augenblicksverhafteten Einblick in die kollektive Wahrnehmung eines historischen Moments: der knapp zweiwöchigen Phase vor dem Sturz Mubaraks am 11. Februar 2011.

Heba Amins Arbeit gibt diese intensiven Zeugnisse aber nicht einfach wieder, sondern setzt bei der entscheidenden Medienschnittstelle an, wenn sie die dank Spracherkennungssoftware einst in Texte umgewandelten Mitteilungen von Sprechern verlesen lässt und mit filmischen Bildern verlassener Gebäude konstelliert.

Distanz zwischen Livehaftigkeit und Rückverwandlung

Die Distanz zwischen der Livehaftigkeit der Nachrichten und der Rückverwandlung in neutral gesprochene Beiträge, die als Untertitel wiederum zu Schrift werden, öffnet einen Raum, in dem sich die vergangenen Standpunkte auf die heutige Situation projizieren.

Die zu Dokumenten gewordenen Voicemails werden durch dieses transparente Verfahren zwischen den Medien eingespannt und dabei zugleich historisiert und neu zum Sprechen gebracht. Sie hallen durch die leere Stadt, als würden sie nach Resonanzräumen suchen. Nach dem Ort des revolutionären Versprechens in der Gegenwart.

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