Berlinale „Ich war zuhause, aber“: Vom Tod durchwirkt
Regisseurin Angela Schanelec zeigt in „Ich war zuhause, aber“ ein zerfallendes Familiengefüge, das zerfällt und sich neu zusammensetzt.
Das letzte Bild: Ein Esel sieht mich an. Er wendet auf den Betrachter den Blick. Damit schließt sich ein Kreis, denn mit einem Natureingang eröffnet der Film: Ein Kaninchen wird gejagt, dann ist es tot. Aus dem Nichts dieser Esel.
Man ist versucht, diesen Beginn und dieses Ende symbolisch zu nehmen. Weil aber Symbole etwas sind, das Bezüge in Richtung eines Aufgehens und Auflösens fügt, ist das angesichts eines so ungefügen, aus allen Fugen strebenden Films nicht der Begriff, der hier passt.
Der Begriff dafür ist vielmehr Allegorie. Sie benennt die Bewahrung des Nebeneinanders der Dinge und Worte in einer Spannung, die bleibt, die keine Auflösung findet; sie benennt die Offenheit für eine andere Sprache, die neben der wörtlichen Rede als eigenständige zu stehen vermag.
So nämlich ist „Ich war zuhause, aber“, Angela Schanelecs neuester Film. Es stehen hier die Dinge, die Szenen, die Körper, die gesprochenen und ungesprochenen Worte eigenständig nebeneinander. Die häusliche Szene am Frühstückstisch neben dem blutig gestoßenen Fuß, um den eine Binde geführt wird. Der banale Streit um ein Fahrrad, das nicht tut, was es soll, mit der rhythmisierten Sprache von „Hamlet“, den Kinder hier spielen, als ginge es um ihr eigenes Leben.
Er singt ihr ein Lied
Ein Lehrer (Franz Rogowski) und seine Freundin (Lilith Stangenberg) in einem Gespräch darüber, ob sie ein Kind in die Welt setzen wollen, steht neben einem sich immer weiter erhitzenden Dialog über das, was Schauspieler tun.
Dies und sehr viel mehr ist im Spiel, ein Sohn, der verschwunden war, und seine Schwester, ihre Sorge umeinander, er singt ihr ein Lied, er trägt sie wie Christophorus über das Wasser, ein Idyll, das sich nicht widerstandslos zu viel Unidyllischem fügt.
Es ist die Mutter der beiden, Astrid (Maren Eggert), die im Zentrum des Films steht, das der allerdings so wenig hat, wie es eine Geschichte gibt, die mehr wäre als eine lose, wenngleich beziehungsreiche Versammlung all dessen, was hier, als wäre es ein Leichtes, zwischen Alltagsdinge und hohen Ton, zwischen Erdverbundenes und Himmelhochstrebendes gespannt wird.
Der Titel des Films, „Ich war zuhause, aber“, spielt auf Yasujiro Ozus „Ich wurde geboren, aber …“ an, er tut es mit Recht. Am Gewicht der Welt trägt der Mensch bei Ozu meist nicht sehr schwer. Er nimmt hin, was kommt, an Freude und Leid. Das ist bei Schanelec anders, aber um das Gewicht der Welt geht es bei ihr wie bei ihm. Um das Gewicht der Welt, wie es zu tragen ist, um das Leben, den Tod und auch das Weiterleben nach dem Verlust.
Bezug, der nichts erklärt
Astrids Mann, der Vater der Kinder, ist vor zwei Jahren gestorben, Theaterregisseur ist er gewesen wie Jürgen Gosch, Angela Schanelecs Mann. (Auch das ein Bezug, der nichts erklärt, nichts auflöst, das der Film präsentiert.)
13.2., 9.30 Uhr, Friedrichstadt-Palast (FSP)
13.2., 12.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele
13. 2., 18 Uhr, FSP
14. 2., 15.30 Uhr, Odeon
Vom Tod durchwirkt ist hier alles. Hamlet wird sterben, auf eine halbe Stunde schnurrt seine Frist.
In einer atemberaubenden Sequenz in der Nacht überwindet Astrid die Mauer des Friedhofs, wie sterbend legt sie sich auf die Erde, die Arme ausgestreckt, den Grabstein berührend, dazu spielt M. Wards Coverversion von David Bowies „Let’s Dance“, „Because my love for you would break my heart in two if you should fall into my arms and tremble like a flower“, ein Vogel fliegt auf, sternklar ist die Nacht, dann Szenen, in denen Astrid mit den Kindern (Jakob Lassalle und Clara Möller) sich rhythmisch bewegt, ein Greifen und Tanzen, zurück auf den Friedhof, zur liegenden Astrid, ein kleiner Vogel gesellt sich zu ihr.
Dass das nicht Kitsch ist, im entferntesten nicht, zeugt von der traumwandlerischen Sicherheit, mit der Angela Schanelec den Worten, den Bildern, dem Schweigen, den Körpern die Freiheit lässt, sich zu binden und auch sich zu lösen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland