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Berlinale Forum SpecialTragödie Transamazônica

Bei der heute beginnenden Berlinale läuft Jorge Bodanzkys Roadmovie „Iracema“ über die Bewohner des brasilianischen Regenwaldes und dessen Zerstörung.

Iracema (Edna de Cássia) auf dem Boot Foto: Archive Jorge Bodanzky IMS

Die nächste Weltklimakonferenz COP 30 wird Ende 2025 in Belém im brasilianischen Amazonasgebiet stattfinden. An dem heutigen Schauplatz dramatischer Umweltzerstörung filmte Jorge Bodanzky 1974 mit einem kleinen Team und einer 16-mm-Handkamera den dokufiktionalen Film „Iracema, uma transa amazônica“.

In der Tradition des brasilianischen Cinema Novo verknüpft die Low-Budget-Produktion die systematische Plünderung des Regenwaldes mit der Ausbeutung seiner Bewohner zu einer bildstarken, schonungslosen Filmerzählung. Eine digital restaurierte Fassung dieses historischen gleichsam aktuellen Beitrags zeigt das Forum als Weltpremiere in seinem Spezialprogramm „Offene Wunden, offene Worte“.

Bodanzkys Filmdebüt begleitet Iracema, eine indigene Jugendliche, auf ihrer Fahrt über die Seitenarme des Amazonas nach Belém. Während ein lokales Radio für die Region persönliche Nachrichten über Krankheitsfälle oder Treffpunkte an Freunde und Angehörige übermittelt, werden unterwegs große Körbe Açai-Beeren vom schmalen Boot gehoben und gegen kleines Geld dem Ladenbetreiber überlassen. 

„Iracema“ bei der Berlinale

17. 2., 13 Uhr, Zoo Palast

19. 2., 19 Uhr, Arsenal 1

Workshop mit Jorge Bodanzky „Die Praxis des Dokumentarfilms ohne Grenzen“, 24. 2., SPORE. Kostenlose Anmeldung erforderlich

In der pulsierenden Hafenstadt angekommen, folgt die Kamera in kurzen Einstellungen der Teenagerin durch die Menschenmenge, vorbei an verlockenden Waren und den Vergnügungen eines Jahrmarkts.

Das wertvolle Holz aus dem Regenwald

Wenige Szenen später bewegt sich Iracema inzwischen geschminkt und auf hohen Absätzen durch die Straßen Beléms. Als Prostituierte trifft sie während des großen Volksfests „Cirio de Nazaré“ auf Tião, einen schlaksigen Lkw-Fahrer, der das wertvolle Holz aus dem Regenwald illegal in den Süden des Landes transportiert. Großsprecherisch preist er den unaufhaltsamen Fortschritt Brasiliens im Amazonas. „Es ist die Goldmine, die gehoben werden muss.“ Auch er will sich seinen Anteil an diesem Reichtum sichern.

Für die Rolle der jungen Iracema stand die fünfzehnjährige Edna de Cássia aus Belém zum ersten Mal vor der Kamera. Niemals zuvor hatte sie ein Kino besucht. Doch für Jorge Bodanzky und den Co-Regisseur Orlando Senna erwies sich die zufällige Entdeckung des Mädchens mit der natürlichen Ausstrahlung als großer Glücksgriff.

Paulo César Pereio, ein professioneller Schauspieler, übernahm den Part des Tião. In nur fünfzehn Tagen mit einem improvisierten Script und ohne eine Drehgenehmigung entstand „Iracema“ an wechselnden Schauplätzen mit den Menschen vor Ort, stets darauf bedacht möglichst wenig Aufsehen zu erregen.

Die nie vollendete Verbindungsstraße

In Brasilien herrschte von 1963 bis 1985 das Militär. Der Bau einer großen Verbindungsstraße, der „Transamazônica“ quer durch den Amazonas-Regenwald galt als ehrgeiziges Prestigeprojekt der Diktatur. Es wurde nie fertiggestellt. Jene Bauarbeiten bilden 1974 den realen Hintergrund zu Iracemas bedrückender Geschichte inmitten der  beginnenden Zerstörung des Ökosystems des Amazonas-Regenwaldes.

Auf seiner Weiterfahrt von Belém nimmt der blonde Tião die Fünfzehnjährige erst einmal mit. „Seu destino ninguém foge – seinem Schicksal kann keiner entkommen.“ Der geschwungene Schriftzug ziert die Stoßstange seines Lkws. Doch auch ohne diesen Hinweis scheint der Weg für die junge Prostituierte vorgezeichnet.

Aufnahmen von brennenden Wäldern, gerodeten Weiden und den ausgezehrten Gesichtern der Tagelöhner wechseln mit inszenierten Szenen am staubigen Straßenrand, vor Tankstellen und ärmlichen Bars. Auf dem Roadtrip verschmelzen die Grenzen zwischen fiktionaler und dokumentarischer Erzählung. An einer dieser Stationen ihrer überdrüssig, jagt Tião Iracema unvermittelt in die Dunkelheit fort.

Vielleicht auch den knappen Ressourcen der Produktion geschuldet, zeigt der Film das Schicksal seiner jugendlichen Protagonistin am Rande der „Transamazônica“ sprunghaft wie im Schnelldurchlauf. Das unterstreicht wirkungsvoll die Wucht des sozialen Abstiegs und den Preis, den ihr weiblicher Körper zahlt. Gleichzeitig schafft die stilistische Reduktion des Films ausreichend Distanz und Raum für eine Reflexion der Zusammenhänge, die „Iracema, uma transa amazônica“ überzeugend skizziert und deren Folgen bis heute schwerwiegend fortdauern.

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