Berlin zunehmend biberisiert: Sie passen sehr gut in diese Stadt
Biber sehen freakig aus und leben spießig. Und es werden immer mehr in der Stadt. Vor allem in Friedrichshain-Kreuzberg. Doch wo ist das Problem?
Und warum sollte dieses Ratten-Upgrade auch nicht in Berlins Szene- und Multikulti-Bezirk Nummer eins passen? Zwischen all den Bohemians, Ökos, Islamerern, Schwaben und Agenturgestalten fallen die über einen Meter lang werdenden, dicht bepelzten Kreaturen auch nicht weiter auf. Freakig aussehen, aber mit ihrem unerschöpflichen Arbeitseifer und ihrer streng monogamen Lebensweise ganz schön spießig leben – auch das passt hervorragend in den Zeitgeist des Bezirks.
Allerdings bewahren Biber sich stets ein anarchisches Moment. Sie belassen es nicht dabei, hin und wieder bei einem Glas Chianti Classico und laut aufgedrehten Scherben auf dem Sofa rebellisch die Faust in die Höhe zu recken, sie bauen noch richtige Barrikaden.
Wenn ihnen ihr Wohnumfeld nicht passt, machen sie kurzen Prozess mit der Uferbepflanzung wie der Landschaftsplanung und legen bei Bedarf ganze Gewässersysteme um. Im Tiergarten fielen schon Kanäle trocken, weil die Biber mit kleinen Umgestaltungen dafür gesorgt haben, dass es bei Dürre um ihre Burgen schön feucht bleibt.
Strenge Schutzmaßnahmen
Dabei ist das Biber-Comeback eine kleine Öko-Sensation. Die Art war in Europa praktisch ausgerottet, in Deutschland fast gänzlich verschwunden. Erst durch strenge Schutzmaßnahmen gelang die Wiederansiedlung. Mit beachtlichem Erfolg: In Berlin und Brandenburg sind alle nutzbaren Lebensräume inzwischen wieder ausreichend bebibert.
Was zu wütender Biberkritik führt. Landwirt*innen beklagen Mais-Klau und überflutete Felder, Förster*innen und Landschaftsplaner*innen ärgern sich über gefällte Bäume. Denn der Biber lebt ressourcenintensiv: Ganze 4.000 Kilogramm Holz werden pro Jahr und Biber zerlegt und zerraspelt, wo immer er sich niederlässt. Schon wird die Bejagung der Tiere gefordert.
Dabei ist sein Wirken wertvoll: Der Biber schert sich nicht lange um Planfeststellungsverfahren, er sorgt ratzfatz für Gewässer-Renaturierung – und damit für verbesserten Hochwasserschutz. Viele andere Arten profitieren von seinen Maßnahmen. In der Stadt kann man sein ausuferndes Wirken mit Schutzzäunen und Estrichmatten effektiv steuern.
Was noch fehlt, sind ordentliche Pop-up-Biberwege durch die City. Kein Scherz: Um die Populationen zwischen Spree und Havel zu verbinden, müssten die Nager die Berliner Kanäle nutzen – noch aber mangelt es an ausreichend Ausstiegshilfen und Biberschleusen. Denn zwischendurch legen die Biber sich gerne wie alle anderen Berliner zum Chillen ans Ufer. Wie gesagt: Eigentlich passen sie wirklich sehr gut in die Stadt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei