: Berlin soll sich ein Beispiel an Frankfurt nehmen
Was tun gegen Mietwucher? Nachdem die Linkspartei eine App freigeschaltet hat, häufen sich die Meldungen in den Bezirksämtern. Doch die sind überfordert. Bislang wurde noch kein Vergehen wegen Mietwucher geahndet
Von Christoph Mayer
In Berlin liegen die Wohnungsmieten oft weit über dem gesetzlich erlaubten Maß, die meisten Verstöße bleiben jedoch ungeahndet. Zu diesem Ergebnis kommen Vertreter der Linkspartei, die bei einer Podiumsveranstaltung am Montag Zahlen aus der ihrer Mietwucher-App präsentierten. Eingeladen hatte die Rosa-Luxemburg-Stiftung mit ihrer Landesstiftung Helle Panke.
Die Zahlen der Verstöße könnten eine neue Dimension illegaler Praktiken auf dem Berliner Wohnungsmarkt offenlegen. Im Herbst hat die Berliner Linkspartei gemeinsam mit der Bundespartei ein Mietwucher-App geschaltet, die seither in Berlin mehr als 50.000 Mal genutzt worden sei. Dies teilte Niklas Schenker, mietenpolitischer Sprecher seiner Partei, mit. In rund 35.000 Fällen habe demzufolge eine überhöhte Miete um mindestens 20 Prozent vorgelegen, so Schenker.
Laut Paragraf 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes liegt eine Ordnungswidrigkeit vor, wenn der Vermieter für die Miete vorsätzlich mehr als 20 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete verlangt. Die vermeintlichen Mietüberschreitungen in der App fallen indes überwiegend höher aus. Die durchschnittliche Überhöhung liegt Schenker zufolge bei 54,7 Prozent.
Ab einer Überschreitung von mehr als 50 Prozent handelt es sich nach dem Strafgesetzbuch um Mietwucher. Allerdings nur, wenn der Vermieter die Zwangslage oder Unerfahrenheit des Mieters auf dem Wohnungsmarkt ausgenutzt hat. In diesem Fall kann eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren verhängt werden.
„Es kann niemand mehr behaupten, dass es kein flächendeckendes Problem mit Mietwucher gibt“, kommentierte Schenker die Zahlen. Viele Vermieter würden die Wohnungsnot der Menschen schamlos ausnutzen. Mit der Mietwucher-App wolle die Linke den Druck auf den Senat und die Bezirke erhöhen, das Problem endlich ernst zu nehmen, so Schenker. „Mieter*innen sind keine Zitronen, die man einfach auspressen kann.“
Wucher im Wedding
Bewohner der Groninger Straße 3 und 5 erfahren den Mietpreisdruck derzeit an der eigenen Haut. Der Investor Spreewater GmbH aus Charlottenburg hat das Gründerzeithaus im Wedding im vergangenen Jahr erworben. Seither dreht sich bei den Mietern alles um die Verwertung der Immobilie, in der sie momentan noch vergleichsweise erschwinglich wohnen.
Die leerstehenden Wohnungen seien „unsaniert und völlig überteuert auf dem Wohnungsmarkt gelandet“, erläuterte der 35-jährige Mieter Raiko Sanchez. Der taz liegt ein Wohnungsinserat der Groninger Straße 5 vor, in dem eine Zweizimmerwohnung für 26,48 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter als teilmöblierte Dienstwohnung angeboten wurde. Gegen einen entsprechenden Aufschlag sei eine möblierte Vollausstattung möglich, heißt es weiter.
Eine andere Zweizimmerwohnung sei sei bereits von vier ausländischen Arbeitskräften bezogen worden, berichtete Sanchez, der im Kunst- und Kulturbereich arbeitet. Seine eigene Miete liege derzeit bei rund 9 Euro.
Angesichts der angespannten Mietsituation könnten die von der Linkspartei dokumentierten Fälle eine neue Dynamik in die Debatte um ein härteres Vorgehen gegen überhöhte Mieten und Mietwucher auslösen. Schenkers Kollegin Martha Kleedörfer, die für die Linke in der BVV Mitte sitzt, sieht dafür jedoch keinen politischen Willen bei der schwarz-roten Regierungskoalition.
„Der Senat will einfach nicht genug Mittel zur Verfügung stellen, um Fälle von Mietbetrug flächendeckend zu ahnden“, kritisierte Kleedörfer. „Die Wohnungsämter der Bezirke sind ohne das nötige Personal schlichtweg überfordert, insbesondere, seitdem die Linke die Mietwucher-App gestartet hat und deutlich mehr Anzeigen beim Bezirksamt ankommen.“
Laut Kleedörfer ist Mitte Spitzenreiter bei den eingehenden Fällen. Seit dem 12. November seien 400 Meldungen eingegangen. Die gemeldeten Mieten lägen im Durchschnitt bei 15,7 Euro, laut Mietspiegel dürften sie aber nur bei rund 9 Euro kalt liegen. Das seien ungefähr 300 Euro pro Haushalt zu viel, resümiert Kleedörfer.
Gesetze bleiben wirkungslos
Die Zahlen geben einen Einblick in das Ausmaß des Problems – und in die Lücke zwischen rechtlichem Anspruch und tatsächlicher Umsetzung. Zwar ist Mietwucher in Deutschland verboten, doch in der Praxis scheitert die Ahndung oft an unklaren Zuständigkeiten und fehlenden Ressourcen. Fachleute warnen seit Jahren, dass das Instrumentarium gegen überhöhte Mieten zwar vorhanden sei, aber kaum zur Anwendung komme.
Schenker ergänzte, dass von den berlinweit 2.000 gemeldeten Fällen noch in keinem einzigen eine Absenkung der Miete erfolgt sei. Mit verschiedenen Anträgen habe die Linksfraktion den Senat aufgefordert, die Bezirke bei der Durchsetzung zu unterstützen. Bislang seien alle Anträge abgelehnt worden. Die Untätigkeit des Senats sei „unterlassene Hilfeleistung für zehntausende Mieter*innen in Berlin“, so Schenkers Fazit.
Auf Anfrage der taz zu den Vorwürfen äußerte sich die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen nicht. In einer früheren Antwort der Pressestelle heißt es aber, man habe im Mai 2024 ein digitales Verfahren zur Erfassung entsprechender Anzeigen bereitgestellt. Bis Ende des Jahres seien über 500 Fälle erfasst worden.
Niklas Schenker, Linksfraktion
Ergänzend verweist die Verwaltung darauf, dass Mietrecht im wesentlichen Bundesrecht sei: Während Mietwucher als Straftat gelte, könnten Verstöße gegen die Mietpreisbremse nur zivilrechtlich durch Mieterinnen selbst geltend gemacht werden.
Der Bezirksverordneten Kleedörfer genügt diese Erklärung nicht. Für die nächste Sitzung der BVV hat ihre Fraktion einen Antrag eingebracht, mit dem sie das Bezirksamt auffordert, softwaregestützt bereits vor Mietvertragsabschluss an Vermieter zu schreiben, die über digitale Immobilienportale überteuerte Wohnungen anbieten.
In einem weiteren Antrag fordert die Linke die zusätzliche Schaffung von mindestens zwei Stellen für die Verfolgung von Mietpreisüberhöhungen. Auch eine berlinweite Öffentlichkeitskampagne und ein einheitliches Verfahren nach dem Vorbild von Frankfurt am Main sollen auf den Weg gebracht werden. Dort leitet das Wohnungsamt automatisch Verfahren ein, wenn der Verdacht besteht, dass Mieten das zulässige Maß um mehr als 20 Prozent übersteigen.
Frankfurt gilt als Vorreiterin im Kampf gegen überhöhte Mietpreise und Mietwucher. „Seit über 30 Jahren haben wir eine eigene Abteilung, die sich ausschließlich mit Paragraf 5 Wirtschaftsstrafgesetz befasst“, sagte Daniela Hirchenhain vom Amt für Wohnungswesen der Stadt Frankfurt.
Vier bis fünf Fachkräfte bearbeiten dort rund 200 Verdachtsfälle im Jahr – mit aufwendiger Prüfung, Rückforderungsbescheiden und Bußgeldern, sofern sich der Verdacht bestätigt. In einem aktuellen Fall wurde gerade erst eine Verurteilung wegen Mietwuchers nach § 291 StGB erwirkt.
Ein Problem bleibt die Angst der Mieter*innen: „Viele trauen sich nicht, überhaupt Anzeige zu erstatten“, sagte Hirchenhain. Die Dunkelziffer liege daher vermutlich weit höher. Das Amt arbeite eng mit Jobcentern zusammen, die Verdachtsfälle ebenfalls melden können. Das Verfahren selbst dauere im Schnitt etwa ein Jahr.
Die Diskutanten aus Frankfurt und Berlin waren sich einig, dass Politik und Behörden auch in anderen Städten ihr Engagement verstärken sollten. Denn die überteuerten Mieten fließen am Ende in den Mietspiegel – und verteuern den Wohnraum für alle Mieter.
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