■ Berlin rennt: Damwildgehege
Leicht lässt sich daherreden, ein jeder könne, so er denn wolle, laufen: gute Schuhe anziehen, aus dem Haus treten und einfach losrennen. Solches Reden gelingt abends am leichtesten. Wie auch morgens die Ausrede: Die guten Laufgegenden Berlins, der Tiergarten und der Grunewald, sind einfach zu weit weg. Joggen in Berlin scheint komplizierter zu organisieren als andernorts, wo angeblich hinter jedem Häuschen ein Wäldchen liegt. Aber einen Park, von dessen Mitte aus keine Autos mehr zu sehen sind, hat beinah jeder Berliner in seiner Nähe.
Der Schlosspark Charlottenburg etwa ist gerade so groß, dass man bei einem Lauf, der über eine halbe Stunde dauern soll, nicht allzu oft dieselben Bäume sieht. Läuft man in aller Ruhe auf das imposante Schloss zu, am besten bei Sonnenuntergang, vergehen alle Zweifel am ansonsten vielleicht als unsinnig eingeschätzten Tun. Seinen Reiz hat auch der Weg an der Spree zum Belvedere und zurück über die kleinen Brücken. Die Wege sind flach, kein Hügel sorgt für Abwechslung. Das kann, wer will, unter trainingsmethodischen Gesichtspunkten bedauern, aber Berlin ist halt kein Alpendorf. Wer mit U- oder S-Bahn kommt, muss immer ein klein wenig Lauferei einkalkulieren: Weder der S-Bahnhof Westend noch die U-Bahnhöfe Jungfernheide, Mierendorff- und Richard-Wagner-Platz liegen unmittelbar am Park.
Proletarischer ist das Laufen in den nördlich gelegenen Anlagen, vor allem im Volkspark Jungfernheide. Der bietet Flughafennähe, einen Teich und Wildgehege. Wegen seiner Nähe zum Schlosspark und zur Siemensstadt, wo die zum individuellen Laufen neigenden neuen Mittelschichten eher nicht wohnen, ist der Volkspark Jungfernheide noch nicht so stark überlaufenes Gebiet. Zu erreichen ist er für Jogger, denen es nichts ausmacht, auf der Rückfahrt zu müffeln, am leichtesten über die U-Bahnhöfe Halemweg und Siemensdamm.
Für Vieljogger, die ein bisschen Straßenverkehr nicht stört, hat der Volkspark Rehberge ähnlich viel zu bieten. Hier, im Wedding, gibt es Damwild- und Wildschweingehege, kleinere Parkanlagen und den großen Plötzensee, der allerdings nicht ganz zu umqueren ist: Das Freibad versperrt den Weg. Mit der U-Bahn ist der Volkspark über den Bahnhof Rehberge zu erreichen. Ist es einem – Autos hin, Autos her – wichtig, am Kanal entlang zu laufen, kann man auch über den Saatwinkler Damm vom Volkspark Jungfernheide aus laufen.
Wesentlich kleiner ist der Volkspark Humboldthain, der in die Kategorie der nicht ganz so schönen, aber vielleicht ja vor der Haustür liegenden Laufstrecken gehört. Seinen ganzen läuferischen Reiz bezieht er aus dem Umstand, dass er hügelig ist, mithin Bergläufe trainiert werden können; viel Abwechselung bietet er nicht. Der Humboldthain ist ein schönes Laufareal, wenn man dort wohnt, morgens eine halbe Stunde durch die Gegend hoppeln möchte und die Dusche nicht weit weg sein darf. Und er ist geeignet für den Läufertypus, der nur zwei Meter nach vorne schaut und dem es egal ist, ob er gerade die dreizehnte Runde derselben Strecke dreht.
Wer im nördlichen Berlin lebt und gerne viel läuft, der muss sich an die Volksparks Jungfernheide, Rehberge und Humboldthain gewöhnen. Die Alternative bestünde höchstens in noch kleineren Orten oder dem mitunter beschwerlichen Weg zu besseren Laufgegenden. Etwa mit Fahrrad oder S-Bahn nach Brandenburg.
Zu den kleineren Laufplätzen in Berlin gehören der Weißenseepark, die Volksparks Prenzlauer Berg und Friedrichshain im Osten der Stadt beziehungsweise der Görlitzer Park und der Viktoriapark im Bezirk Kreuzberg. Letzterer ist unmittelbar um den Kreuzberg herum gelegen – mit seinem künstlichen Wasserfall, dem Schinkel-Denkmal auf dem Gipfel, den man läuferisch ob der vielen Spaziergänger kaum erklimmen kann. Zumindest macht's keinen Spaß. Vereinzelt sieht man zwar im Viktoriapark einen Läufer, der aus sportlichem Antrieb trainiert und dem der steile Weg zum Schinkel hoch als Trainingsstrecke geeignet erscheint. Einmal im Jahr ist eine noch schnellere Sportart zu Gast, das Querfeldein-Radrennen. Aber auch das kann den Viktoriapark nicht zum beliebten Läuferplatz machen. Da ist auch die einmal jährlich stattfindende Kirmes und der ständige kleine Zoo mit seinen vielen Besuchern vor.
Da ist dann schon der Volkspark Friedrichshain mehr zu empfehlen, denn der ist angenehm verwinkelt und hat zwei Hügel. Oder das Laufen rund um den Weißen See. Da gibt es zwar keine Abwechslung, aber vom Wasser, Läufer wissen das, geht immer etwas Meditatives aus.
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