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Berlin & ich (1)

Bis zum Ostbahnhof zu fahren ist für mich unnötig. Zeitverschwendung. Am Zoo auszusteigen, aus Hamburg oder Köln kommend, wäre viel besser, weil ich dann, mit Bus, U- und S-Bahn, zwanzig Minuten schneller in Neukölln zu Hause wäre. Trotzdem. Erst vom Zoo an beginnen die Gründe aufzuscheinen, weshalb ich Berlin attraktiver als jede andere Stadt finde.

Der Zug fährt auf einem Viadukt durch jene früheren Brachen, die heute als Berlin-Mitte bekannt sind. Durch einstiges Mauerland. Seit sieben Jahren nehme ich die Veränderungen in diesem Teil der Stadt wahr, und eben sie hat dieses Berlin allen anderen Städten voraus. Da veränderte sich wirklich eine ganzes Zentrum. Als ich damals kam, so meine ich mich präzise zu erinnern, wurde am Potsdamer-Platz-Viertel schon herumgebaut – das bis heute einzige, das Ost wie West wie Touristen gemeinsam haben.

Gewiss ist nur, dass der Reichstag schon stand. Was heute um ihn herum steht, Kanzleramt, Paul-Löbe-Haus, die Wohnschlange an der Spree, das nach wie vor unaufgeräumte Viertel um das Restaurant, das „Paris–Moskau“ heißt und vor dem immer so wahnsinnig teure Autos stehen, unberlinisch teure Autos sozusagen. Nach wie vor sind Betonmischer zu sehen, aber inzwischen nur noch ausnahmsweise.

Ein Blick aus dem Zug: das Kanzleramt, noch von Kohl so mächtig geplant, dass dagegen die schweizerische Botschaft als Nachbar wie eine bessere Baracke aussieht, jedenfalls: Dieses Gebäude ist zwar sehr, sehr groß, aber, alles in allem, eben doch nicht größer als der neue Bahnhof, der an Stelle des Lehrter Bahnhofs entsteht. Seit wenigen Wochen hat er sein gläsernes Dach.

In den Lokalteilen der einheimischen Zeitungen lese ich nach wie vor nichts über die örtlichen Prominenten, heißen sie nun Juhnke, Mira oder Winter. Langweilig. Berliner Luft. Hundekacke auf der Straße. Raser auf der Avus. Langweilig. Trostlos.

Ich bevorzuge Berichte über den weiteren Prozess, für den es gar kein Wort gibt, der aber bedeutet, dass die alte Einheiten namens West- wie Ostberlin verschwinden, wenigstens randständig werden.

Der Osten musste schon Federn lassen, der Prenzlauer Berg ist vollständig verwestlicht sozusagen. Der Westen hingegen harrt seiner Verwandlung standhaft. Deshalb wirkt selbst der Alexanderplatz so viel frischer, aufbrüchiger, westlicher als, beispielsweise, der Breitscheidplatz an der Gedächtniskirche.

Was jedenfalls Berlin als Nichtwestberlin und Nichtostberlin so attraktiv macht, ist ja das Neue, das Unabgezirkelte: Mit dem Ruf, Hauptstadt sein zu sollen, kamen plötzlich auch Menschen nach Berlin, die den Einheimischen (wohnen sie nun in Kreuzberg oder Schöneberg oder Charlottenburg, waren es nun Alternative, Salonbolschewisten, Flaneure sonstiger Art) signalisierten: Jetzt definieren wir hier mit.

Die Strecke zwischen Zoo und Ostbahnhof ist die schönste Visitenkarte der Stadt. Es staubt und dreckt. Diese Bau- und Aufbauwut, dieses Gigantische, das dennoch nicht protzig scheint, bezeichnet den Unterschied zum Vorher. In Berlin entsteht etwas Neues. Was es ist, wird an der Bahnlinie erkennbar, Fahrtrichtung Ost. PAULA MEISEL

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