Berlin als Vorreiter gegen Hitze: „Ohne Verbote geht es nicht“
Der Zukunftsforscher Stephan Rammler hat eine Studie über Berlin als „Reallabor“ der Klimaanpassung vorgelegt. Wie realistisch ist dieser Optimismus?
taz: Herr Rammler, Sie haben soeben Ihre Studie über Berlin als „Reallabor der Klimaanpassung“ vorgestellt. Das scheint ihnen richtig Spaß gemacht zu haben.
Stephan Rammler: Vor allem der letzte Teil hat mir Spaß gemacht.
taz: Da kommt eine amerikanische Journalistin im Jahr 2050 nach Berlin und berichtet, was die Stadt seit 2025 alles auf den Weg gebracht hat. Das ist ja sehr ungewöhnlich für ein wissenschaftliches Gutachten. Welche Reaktionen gab es darauf?
Rammler: Sehr gute. Als wir das Gutachten vorgestellt haben, war es bei diesem narrativen Teil mucksmäuschenstill. Ich forsche seit über zwanzig Jahren zum Thema Transformation und baue da immer diese Elemente von Story Telling ein. Man kann den Menschen nicht immer mit Angst und Druck begegnen, man kann sie auch neugierig machen und motivieren, etwas zu ändern.
Stephan Rammler, geboren 1968, ist Mobilitäts- und Zukunftsforscher. Er hat in Marburg und Berlin studiert und arbeitet unter anderem am Wissenschaftszentrum Berlin und als Professor am Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT). Er ist außerdem Autor zahlreicher Bücher.
taz: Nun war Berlin schon einmal Vorreiter mit dem bundesweit ersten Mobilitätsgesetz. Seitdem die CDU im Roten Rathaus sitzt, ist von Mobilitäswende keine Rede mehr. Wo nehmen sie den Optimismus her, dass es bei der Klimaanpassung besser wird?
Rammler: Es gibt einen Unterschied zwischen Klimaanpassung und Mobilität. Als jemand, der sich mit der Soziologie des Automobils beschäftigt hat, weiß ich, dass Mobilität einen sehr stark symbolisch-expressiven, alterspraktischen, psychologischen Charakter für die einzelnen Nutzerinnen und Nutzer hat.
taz: Das heißt, das Klimabrett ist einfacher zu bohren als das Verkehrsbrett?
Rammler: Das wollte ich damit sagen. Mobilität ist ein extrem politisiertes Thema. Zwar kann beim Thema Klimaanpassung auch der private Haushalt was tun. In erster Linie aber geht es darum, dass die Kommune und die Verwaltungen anfangen, sich intensiver mit Themen wie Bevölkerungsschutz und Katastrophenvorsorge zu beschäftigen. Ich weiß zwar nicht, ob es 2025 einen solchen Hitzesommer geben wird, wie wir ihn im Szenario beschrieben haben. Aber klar ist, dass über die Jahre Berlin immer heißer geworden ist.
taz: Ist der Fokus auf Klimaanpassung nicht auch das Eingeständnis einer Niederlage? Also, das 1,5-Grad-Ziel nicht zu erreichen und nur noch zu versuchen, aus der Not eine Tugend zu machen?
Rammler: Total. Aber es gibt diesen diskursiven Umschwung. Die Leute verstehen, dass jetzt Anpassung an der Zeit ist. Da hat sich vor unseren Augen oder wegen mir auch hinter unserem Rücken etwas verändert, und jetzt ist es mit aller Wucht da. Resilienz wird in den nächsten Jahren eines der zentralen Paradigmen der Gesellschaft sein.
taz: Was kommt da auf Berlin zu?
Rammler: Es gibt drei Dinge. Einmal die Hitze, dann die Wasserknappheit und schließlich Starkwetterereignisse wie Starkregen und Stürme.
taz: In einigen Jahren wird Berlin das Klima einer südeuropäischen Stadt haben, schreiben Sie. Anders als eine Stadt in Andalusien, Sizilien oder Griechenland ist aber eine Stadt im Norden nicht darauf vorbereitet.
Rammler: Die Städte im Süden sind über Jahrhunderte kulturell und organisch mit den dort lange Zeit stabilen Klimabedingungen gewachsen. Man hat dort gelernt, dass man die Häuser weiß anstreicht, kleine Fenster hat, gut belüftet ist, Fensterläden und Markisen hat, die Schatten bringen. Es gibt eine Kultur der Pause, in der Mittagshitze wird Siesta gemacht, es wird länger in den Abend gearbeitet, entsprechend isst man später. Die Kulturen haben sich lange Zeit arrangiert und haben es tief in sich eingeschrieben, wie man mit Hitze umgeht. Nur sind wir das in Nordeuropa nicht gewöhnt. Wir glauben immer noch, dass die Schule morgens um acht beginnen muss.
taz: Welche Anpassungen wären am dringendsten nötig?
Rammler: Konzeptionell ist Berlin gut aufgestellt. Es gibt seit 2016 die AFOK-Studie, in der alles drinsteht, was auf Berlin zukommen wird.
taz: Sie meinen das „Anpassungskonzept an die Folgen des Klimawandels“ der damaligen Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt.
Rammler: Genau. Auch die Handlungsempfehlungen sind da genau beschrieben. Da fragt man sich schon, warum da seitdem so wenig passiert ist. Auch wenn ich natürlich weiß, das Berlin seitdem mit anderen Herausforderungen zu tun hatte, der Integration der Flüchtlinge, der Pandemie, dem Krieg in der Ukraine. Unterm Strich muss man aber festhalten: Berlin hat ein paar Sachen gemacht, aber nicht genug. Deshalb muss Klimaanpassung jetzt ins Zentrum aller Stadtentwicklungsmaßnahmen gestellt werden.
taz: Was heißt das konkret?
Rammler: Es heißt nicht, Klimaanlagen in alle Gebäude einzubauen, sondern von den Kulturen des Südens zu lernen, wie man mit passiven Maßnahmen, mit Verschattung, mit Luftzugsystemen, mit Bäumen und Grün und einer aufgelockerten Architektur die Stadt so gestaltet, dass viel Schatten und möglichst viel Verdunstung da ist.
taz: Das mit den Bäumen ist in Berlin ja schon ein Plus. Ihre fiktive Journalistin hat im Landeanflug auf Berlin, im Luftschiff übrigens, festgestellt, wie grün die Stadt ist. Sind das nicht jetzt schon ganz gute Startvoraussetzungen?
Rammler: Es sähe noch viel schlimmer aus in Berlin, wenn es nicht so grün wäre. Seien Sie mal in Köln.
taz: Oder in Paris.
Rammler: Da haben sie im Sommer nicht nur die Hitze, sondern auch die Gewitter, und das Wasser kann nicht gesammelt werden. Berlin dagegen hat nicht nur viel Grün, sondern auch Freiflächen wie das Tempelhofer Feld. Man sollte in Berlin darauf achten, das zu erhalten, also keine Straßenbäume fällen oder wie in Pankow nachverdichten und Grünflächen zu opfern.
taz: Aber auch hier gilt: Der Senat macht eher das Gegenteil. Auf Drängen der SPD hat der Vorgängersenat sogar die Charta für das Stadtgrün gestoppt, die einen Erhalt aller Grünflächen gefordert hat.
Rammler: Deswegen schreiben wir solche Studien und versuchen, gemeinsam mit Bewegungen wie dem Baumvolksentscheid eine gesellschaftliche Dynamik in Gang zu bringen.
taz: Sie haben bereits einige Handlungsfelder identifiziert, wie Gesundheit, Stadtentwicklung, Wasser, Boden, Mobilität. Was wären denn sinnvolle ad hoc-Maßnahmen? Weiße Tücher, die über Straßen gespannt werden, wie im spanischen Sevilla?
Rammler: Katastrophen- und Bevölkerungsschutz stehen an erster Stelle. Die Alten dürfen in den Altenheimen nicht unbetreut sein, sie müssen viel trinken. Alle Einsatzkräfte, Feuerwehr, Polizei, müssen an das Thema herangeführt werden. Das ist das Thema Protektion, also Vorausschau. Dafür braucht es Verwundbarkeitsanalysen, die sich anschauen, wo die vulnerablen Bevölkerungsgruppen und Infrastrukturen sind. Die in Dahlem oder Zehlendorf leben, leben in einer kühleren Stadt als in der Innenstadt. Das ist das Unmittelbare.
taz: Und danach?
Rammler: Würde man anfangen mit Verordnungen, dass alles, was Neubau ist, noch stärker auf das Thema Klimaanpassung geprüft wird. Grün-blaue Infrastrukturen, Schwammstadt und so weiter. Dann das Thema Entsiegelung. Radwege bauen, die wasserdurchlässig sind. Das braucht aber Zeit und Geld. Grün pflanzen und pflegen, das können wir aber sofort anfangen. Es muss mehr Grün in die Stadt. Jede Ecke in der Stadt muss vollgepflanzt werden.
taz: Haben Sie einmal durchgerechnet, was das alles kosten würde?
Rammler: Der Baumentscheid hat das gemacht. Das sind etliche Milliarden, aber über viele Jahre gestreckt. Es würde finanzierbar sein.
taz: Berlin hat ein Haushaltsloch von drei Milliarden und muss sogar Klassenfahrten streichen.
Rammler: Meine Aufgabe war es nicht, eine Studie zu machen und reinzuschreiben, was alles nicht geht. Ich habe formuliert, was passieren müsste. Zum Beispiel die Dächer weiß zu streichen, auch wenn das nicht zulässig ist. Weiße Farbe reflektiert das Sonnenlicht und schützt vor Erwärmung.
taz: Im Grunde geben Sie der Politik Hausaufgaben an die Hand. Der Auftraggeber der Studie war die Friedrich Ebert-Stiftung Berlin. Ist das eine politische Studie?
Rammler: Ja. Die Studie versucht, all das, was wir bereits erarbeitet haben, in ein Policy Design zu gießen.
taz: Sie sind ein großer Fan des Baumentscheids. Das Volksbegehren ist nach dem Stopp der Charta initiiert worden und hat zum Ziel, dass Berlin ein Klimaanpassungsgesetz bekommt.
Rammler: Das brauchen wir auch. Brandenburg hat bereits eine Klimaanpassungsstrategie, Berlin hat das nicht. Das Szenario des Klimabauhauses ist eines, hinter dem sich alle versammeln können, hoffe ich.
taz: Auch die, die in einem Hitzesommer plötzlich ihren Pool nicht mehr wässern dürfen?
Rammler: Die werden sicher dagegen aufbegehren. Aber wir müssen anfangen, einzelne Dinge grundsätzlich zu verändern, und da gilt es dann auch, den Interessen bestimmter Eliten entgegenzutreten.
taz: Wir alle wissen, welche Gegenreaktionen Verbotsdiskussionen hervorrufen.
Rammler: Natürlich weiß ich das. Aber es geht nicht ohne Verbot. Politik ist dazu da, Ver- und Gebote auszusprechen. Sie ist auch dazu da, Menschen, die der Allgemeinheit schaden, Grenzen zu setzen. Dieses ewige Mäntelchen nach dem Wind hängen ist nicht der richtige Weg. Wenn es 40 Grad in der Stadt hat, darf kein Auto mit Verbrennungsmotor mehr fahren.
taz: Ausgangspunkt Ihres Szenarios war eine Klimakatastrophe im Jahr 2025. Ist es so, dass es ohne Katastrophe nicht geht?
Rammler: Ich glaube, es geht nicht ohne Katastrophe. Da gibt es dann die einen, die den Kopf in den Sand stecken und in rückwärtsgewandte und biedermeierische Tendenzen verfallen. Angst verstellt die Zukunft. Das erleben wir gerade bei den jungen Männern, die AfD wählen. Es gibt aber auch die, die durch die Probleme sensibilisiert werden. Und die vielleicht genau den Impuls eines positiven Narrativs brauchen, um das Gefühl zu entwickeln, dass doch nicht alles zu spät ist.
taz: Hoffnung statt Angst.
Rammler: Nicht die Kassandra, die vorauseilend warnt, sondern eine positive Utopie, die Horizonte öffnet. Dieser Sog hat mehr Energie als die Push-Funktion einer Kassandra.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen