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Berlin-Wahl am 20. September 2026Umkämpftes Haus

Wäre jetzt und nicht erst in einem Jahr Abgeordnetenhauswahl, wäre zwar der erste Platz klar an die CDU vergeben. Alles andere aber ist völlig offen.

Wer hat künftig die Mehrheit im Berliner Abgeordnetenhaus? Das entscheidet sich in einem Jahr bei der Wahl am 20. September 2026
Von Stefan Alberti aus Berlin

Über den „einsamen Kai“ hat die SPD vor der Abgeordnetenhauswahl 2023 gespottet. Und wollte damit verdecken, dass sie am Wahlabend hinter CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner und seiner CDU liegen, dieser aber ohne Koalitionspartner dastehen könnte. Nun, ein Jahr vor der nächsten Wahl, ist die Lage ähnlich: Zumindest nach bisherigen Umfragedaten steuert die CDU erneut auf einen Wahlsieg zu. Die zentrale Frage aber ist: Ist das egal, weil es am 20. September 2026 für eine linke Mehrheit reicht? Das gilt sowohl rechnerisch wie inhaltlich. SPD wie Grüne sehen sich zwar zumindest in Teilen der Linkspartei näher als der CDU. Sie fragen sich aber nach den dortigen Verwerfungen seit dem Herbst 2024, mit welcher Linken sie es zu tun haben.

Die jüngste repräsentative Umfrage liegt gut drei Monate zurück, aktuelle Zahlen einer Befragung im Auftrag des Tagesspiegel bestätigen aber die schon im Sommer beschriebene Lage. Die CDU kommt auf 25 Prozent und liegt damit aller Kritik an Partei und schwarz-rotem Senat zum Trotz nur um 3 Prozentpunkte unter ihrem Wahlsieg­ergebnis von 2023 und 6 bis 9 Punkte vor allen anderen. Im linken Lager vorne ist die Linke – jene Partei, die noch Ende 2024 bundesweit mit nur 3 Prozent vor dem Aus stand und es nicht wieder in den Bundestag zu schaffen schien.

Fast auf einer Höhe dahinter: Grüne, SPD – und die AfD. Ob und wie sich eine Koalition bilden lässt, wird auch davon abhängen, ob es das in Brandenburg mitregierende, aber bei der Bundestagswahl gescheiterte Bündnis Sahra Wagenknecht, kurz BSW, ins Abgeordnetenhaus schafft.

Bei SPD, Grünen und Linkspartei verweist man gerne darauf, dass Berlin grundsätzlich eine linke Stadt sei und seit der Wiedervereinigung mehrheitlich stets links gewählt habe. Genau betrachtet stimmt das allerdings seit 2023 nicht mehr. Bei der damaligen Wiederholungswahl kamen SPD, Grüne und Linke zusammen erstmals nicht mehr auf eine Mehrheit der Stimmen, sondern bloß auf 49 Prozent. Für eine Mehrheit im Parlament hätte das dennoch gereicht, weil kleinere Partei wie die FDP an der Fünfprozenthürde scheiterten und deren Stimmen so unter den Tisch fielen. Die SPD entschied sich jedoch bekannterweise dafür, wie zuletzt 2001 Juniorpartner von CDU und Wegner zu sein.

Eine Kenia-Koalition gab es schon in Brandenburg

Die Christdemokraten bräuchten nach jetzigem Stand zwei Koalitionspartner und könnte nach ihren Ausschlusskriterien – weder mit der AfD noch mit der Linkspartei – nur mit SPD und Grünen ein Bündnis bilden. Eine solche nach den Landesfarben benannte schwarz-rot-grüne Kenia-Koalition gab es von 2019 bis 2024 in Brandenburg.

Eine, wenn nicht sogar die entscheidende Rolle spielt in all dem die Frage: Wie zündet der designierte Spitzenkandidat der SPD, den die Partei im November offiziell benennen will? Nachdem die Partei sich zu zerlegen schien zwischen den Ambitionen von Ex-Regierungschefin Franziska Giffey und Langzeit-Fraktionschef Raed Saleh, hat der von Hannover nach Berlin zurückkehrende Steffen Krach immerhin parteiintern schon für Beruhigung gesorgt.

Krach war bis 2021 Staatssekretär für Wissenschaft und damit nominell nur ein Mann der zweiten Reihe. Da aber der damalige Regierungschef Michael Müller das Ressort zwar mitverantwortete, aber wegen seines Hauptjobs eher wenig Zeit dafür fand, war Krach de facto Berlins Wissenschaftsminister.

Fachlich beschlagen, durchsetzungsfähig – diese Attribute bestreitet auch jenseits der SPD kaum jemand. Was auch gut zu wissen ist: Bei Fraktionsklausuren war Krach zu später Stunde für die Musik zuständig – mit einem kongenialen Partner in dieser Sache, nämlich dem damaligen Senatskanzleichef Björn Böhning. Der ist inzwischen als Staatssekretär in der Bundesregierung der entscheidende SPD-Koordinator im Koalitionsausschuss.

SPD-Mann Krach ist gegen Enteignungen

Die Sache mit Krach ist bloß: Er ist eher ein Mann der Mitte und spiegelt genauso wenig wie seine Vorgänger Giffey und Müller die linke Mehrheit beim SPD-Landesparteitag. „Kein Unternehmen muss Angst haben, enteignet zu werden“, sagte Krach beispielsweise Anfang September in einem Interview. Ein SPD-Landesparteitag hingegen hat sich schon Mitte 2022 für ein Enteignungsgesetz ausgesprochen.

Es dürfte nahe liegen, dass die CDU hier ansetzen und versuchen wird, Krach als das nette Gesicht einer auf Funktionärsebene vielfach ganz anders tickenden, viel weiter links verorteten SPD darzustellen, der als Regierungschef eine ganz andere Linie vertreten müsste. Minimalziel für Krach ist, die SPD wieder zur stärksten Kraft im linken Lager zu machen und somit in einer Koalition mit Linkspartei und Grünen das Rote Rathaus für sich beanspruchen zu können.

Das große Fragezeichen ist dabei die Zukunft der Linkspartei. Nach dem Streit über den Umgang mit Antisemitismus in den eigenen Reihen haben prägende Gesichter der vergangenen 10, 15 Jahre die Partei verlassen, darunter drei Ex-Senatsmitglieder wie Klaus Lederer und Ex-Fraktionschef Carsten Schatz. Andere bisher tragende Kräfte sind zwar weiter Parteimitglieder, treten aber 2026 nicht mehr zur Abgeordnetenhauswahl an. Erst diese Woche gab Fraktionschefin Anne Helm bekannt, dann nicht mehr kandidieren zu wollen.

Wohin geht der Kurs eines Landesverbands, der all diese Leute verliert, dessen Mitgliedschaft aber seit Oktober von 8.300 Mitglieder auf über 16.000 gewachsen ist? Wohin werden all diese Neuen die Partei steuern? Das ist weder eine rein akademische noch eine bloße Medienüberlegung. Es ist vielmehr die Frage, die ganz schnell auftaucht, wenn man mit SPDlern und Grünen über die Abgeordnetenhauswahl spricht. Dort könnte die erst seit Mai amtierende Landesvorsitzende Kerstin Wolter die Linke als Spitzenkandidatin anführen.

Grüner Spitzenkandidat: Haben die besten Antworten

Wobei die Grünen bei jener Wahl nicht nur wegen des Verhältnisses zur Linkspartei deshalb in einer besonderen Lage sind. Denn es ist möglich, dass Berlin am 20. September 2026 nicht nur ein neues Abgeordnetenhaus wählt, sondern auch über einen Volksentscheid abstimmt, die Stadt innerhalb des S-Bahn-Rings autofrei zu machen. Das klingt grün, hat aber nicht die Unterstützung der beiden designierten grünen Spitzenkandidaten.

Schon 2022 und damals noch als Verkehrssenatorin sagte Bettina Jarasch, die ihre Partei die 2026 mit Co-Fraktionschef Werner Graf in die Wahl führen soll, der taz über das Volksbegehren: „Ich teile ja fast alle Ziele der Initiative, aber ich halte den Weg politisch und auch praktisch für falsch.“ An dieser Ablehnung hat sich nichts geändert, und die Grünen stehen mitten zwischen dem Ziel, nicht als Verbotspartei dazustehen und dem Drängen auch zahlreicher Anhänger, den Autoverkehr drastisch einzuschränken.

Werner Graf, als der Mann, der bei einem Grünen-Wahlsieg ins Rote Rathaus einziehen soll, sagt in diesen Wochen Richtung 2026: „Ich bin fest davon überzeugt, dass wir die besten Antworten haben.“ Offen ist bloß, ob die zu den Fragen passen, die bei der Wahl in einem Jahr entscheidend sind.

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