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Bergtourismus in JapanStau der Kugelkletterer

An Japans heiligem Berg Fuji-san drängeln sich die Touristen. Manche wollen den Massenansturm eindämmen, für andere gehört der Stau am Berg dazu.

Berg Fuji: Wer ihn besteigt, gilt als weise. Wer es nochmal macht, als Idiot Foto: Manuel Cosentino/Unsplash

N achts aus der Ferne sieht man auf der schwarzen Silhouette von Japans höchstem Berg eine weiß glitzernde Linie, die sich bis hoch oben zu seiner Spitze zieht. Das Licht stammt von den grellen Kopflampen von unzähligen Wanderern, die den Berg Fuji besteigen, um von seinem knapp 3.800 Meter hohen Gipfel gegen halb sechs Uhr morgens die Sonne über dem Pazifik aufgehen zu sehen.

Für diesen erhabenen Moment der Naturschönheit stehen sie auf den letzten 700 Höhenmetern mit Tausenden anderer Wanderer stundenlang im „Frühstau zu Berge“, wenn es nur noch schrittweise vorangeht. „Die Leute stehen so dicht hintereinander, dass sie bei einer Panik wie Dominosteine umfallen würden“, berichtet die Anwältin Arisa Tanaka vom Aufstieg am vergangenen Wochenende. Der Andrang ist so groß, dass Einweiser kurz vor dem Gipfel die Menschen mit „Come on, let’s go“ antreiben, damit kein gefährliches Gedränge entsteht. Die englischen Worte gelten den vielen Kletterern aus dem Ausland.

Die offizielle Aufstiegssaison reicht von Ende Juni bis Mitte September, wenn der Fuji-san komplett schneefrei ist. (Wie Mont beim Montblanc gehört das Wort san für Berg zum japanischen Namen, die deutsche Bezeichnung Fujiyama beruht auf einer falschen Lesung des Schriftzeichens für Berg.)

Der Aufstieg ist relativ leicht, da man bis zur fünften Bergstation in 2.300 Meter Höhe mit dem Auto oder Bus fahren kann. Bis dorthin kamen in diesem Jahr vier Millionen Menschen. Mehrere Hunderttausend davon machen sich dann auf den Weg zum Gipfel, darunter Senioren, Kleinkinder und Jogger. Die Betreiber der Hütten mit Schlafpritschen und die freiwilligen Helfer kommen daher mit dem Einsammeln von Müll und dem Reinigen der wenigen Toiletten kaum hinterher.

Touristen aus dem Ausland sind ein Problem

Knapp ein Drittel der Kletterer versucht einen „Bullet Climb“, will also den sechs- bis achtstündigen Aufstieg über Nacht pünktlich zum Sonnenaufgang ohne Ruhepause schaffen. Ein großes Schild an der fünften Station warnt ausdrücklich vor diesem „Kugelklettern“, so der japanische Ausdruck, insbesondere vor der größeren Verletzungsgefahr durch scharfes Lavagestein aufgrund von Müdigkeit, vor Höhenkrankheit durch die dünne Luft und vor Unterkühlung, wenn die Menschen bei Temperaturen nahe Null verschwitzt im Stau stehen. Jeder siebte Schnellwanderer gäbe erschöpft auf, daher sollte man sich genügend Zeit für einen gemächlichen Aufstieg lassen.

Die japanische Presse berichtete ausführlich über diese „Unsitte“ und identifizierte Touristen aus dem Ausland als das eigentliche Problem. Aber von den 61 Menschen, die die Bergwacht retten musste, war nur jeder vierte ein Ausländer.

Wer den Fuji-san besteigt, gilt einem japanischen Bonmot zufolge als weise. (Aber wer es zweimal tut, als Idiot.) Deshalb wollen auch viele Landesbewohner einmal ganz oben auf diesem seit 1707 schlafenden Vulkan stehen. Das diesjährige Chaos belebte jedoch die japanische Diskussion, den Massentourismus stärker zu regulieren.

„Diese Krise ist unkontrollierbar“, sagte ein Beamter. Der Bürgermeister der nahen Stadt Fuji-Yoshida ging noch weiter: „Der Fuji-san ist ein heiliger Berg, der gar nicht berührt werden sollte“, sagte Shigeru Horiuchi. Die Behörden fühlen sich unter Druck. Denn die UNESCO hatte den Fuji vor zehn Jahren zum Weltkulturerbe erklärt und schon damals Maßnahmen gegen die Überfüllung sowie den Rückbau der Parkplätze an den Bergflanken verlangt. Daher griffen die Lokalregierungen nun den früheren Plan auf, den Auto- und Busverkehr zu verbieten und auf der 28 Kilometer langen Zufahrtstraße eine Bahnlinie zu bauen.

Auf diese Weise könnte man die Zahl der Besucher und Kletterer leicht verringern. Das Vorbild liefern die Bergbahnen in der Schweiz. „Ohne dieses Projekt verliert der Fuji-san seinen Charme“, meinte der zuständige Beamte. Dagegen setzten sich Tourismusvertreter dafür ein, den Busverkehr am Berg zu elektrifizieren. Viele Fuji-Bezwinger lassen diese Überlegungen kalt. „Die Massen gehören zu diesem Erlebnis halt dazu“, sagt die deutsche Touristin Eva Möller nach zehnstündigem Kugelklettern mit glücklichem Gesicht.

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Martin Fritz
Auslandskorrespondent Japan/Südkorea
Volontariat beim NDR. War Hörfunk-Korrespondent in Berlin während der deutschen Einheit. Danach fünf Jahre als Südasien-Korrespondent in Neu-Delhi. Berichtet seit 2001 aus Tokio über Japan und beide Koreas.
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3 Kommentare

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  • Als ich vor anderthalb Monaten in Japan war, um Freunde zu besuchen, bestieg ich den 3.776 m hohen Fuji über den Subashiri-Weg (der länger und weniger frequentiert ist als der einfachere Yoshida-Weg), und auf dieser Seite, vor allem ab der siebten Station, waren nur wenige Wanderer.



    Mehr oder weniger die gleiche Situation, die wir auf unseren heimischen Bergen in Südtirol haben, Ziele, die leicht zu erreichen sind, ziehen viele Interessierte an, es genügt, sich ein wenig weiter weg zu bewegen, außerhalb dieser Ziele, dass sich alles ändert.



    Vielleicht lag es auch an der Tageszeit, die meisten gehen nachts hinauf, um den Sonnenaufgang vom Krater aus zu sehen, wir starteten oberhalb von Gotemba um neun Uhr, wir waren in viereinhalb Stunden oben (1.840 m Höhenunterschied), am Nachmittag trafen wir sowohl beim Aufstieg als auch oben auf dem Weg, der um den Krater herumführt, und dann vor allem beim Abstieg auf den nebelverhangenen Pfaden nur wenige Leute.



    Ich habe keinen entlang des Weges weggeworfenen Müll gesehen, wie es auf unseren im August von so genannten „Merenderos“ ( *) besuchten Bergen der Fall ist, auf denen man unendlich viele Papiertaschentücher und andere Dinge findet. Was mir bei den wenigen japanischen Wanderern, denen ich auf dem Weg nach oben begegnete, auffiel, war der Mangel an Training, einige schleppten sich erschöpft den Weg entlang.

    *Man nennt sie "Merenderos" und sie stürmen die Berge an Wochenenden, Feiertagen oder Ferien.



    Die Merenderos sind nicht daran interessiert, die wahre Essenz der Berge zu entdecken, die aus dem Kontakt mit der Natur, der Stille, der Abgeschiedenheit, der Intimität, der befreienden Anstrengung, der Einfachheit, dem Respekt vor dem Land und den uralten Traditionen besteht. Die Merenderos sind nur daran interessiert, die Landschaft mit einem Selfie zu verewigen, einen Alpenpass zu besteigen und ihren Freund anzurufen, um ihn an dieser Heldentat teilhaben zu lassen, in der Höhe zu klettern, ohne sich die Achseln nass zu

  • "Knapp ein Drittel der Kletterer versucht einen „Bullet Climb“, will also den (...) Aufstieg über Nacht (...) schaffen. (...) Die japanische Presse berichtete ausführlich über diese „Unsitte“ und identifizierte Touristen aus dem Ausland als das eigentliche Problem. Aber von den 61 Menschen, die die Bergwacht retten musste, war nur jeder vierte ein Ausländer."



    Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass tatsächlich die Gruppe der "Kugelkletterer" am Fuji-san von ausländischen Touristen dominiert wird. Allerdings sind diese eigentlich immer sehr gut ausgerüstet, wohingegen Einheimische teilweise in ihren Getas (das sind diese traditionellen japanischen Holzsandalen) versuchen den Berg hochzustolpern...



    Die Frage nach dem "Warum" ist auch leicht zu beantworten - neben dem Fuji-san zählen noch der philippinische Apo und der malayische Kinabalu als Vorbereitungsberge für die Vulkane des indonesischen Sundabogens. Gerade Weltreisende nehmen oft alle drei mit bevor es dann über die indonesischen Vulkane final zum Mount Wilhelm auf Neuguinea geht.

  • Wie überall, wo wir alle gern hinwollen (wir sind Masse, wir sind der Stau, nicht die Anderen) gibt es halt ein Überfüllungsproblem.



    Es durch einen Rückfall in bequeme Dünkel wie Igitt die schnöde Masse, wie schön ist elitärer Individualismus, ist Demokratievernichtend, denn das Reservieren der schönsten Orte für die Oberklasse, wie sie von Gutbürgerlichen momentan zum Mainstream gepusht wird, werden sich auf Dauer die Massen nur mit Gewalt bieten lassen: Das Unbezahlbarmachen von Flugreisen und Traumorten ist unfair, aber mit dem herrschenden System, wonach man sich halt etwas leisten kann oder halt nicht, für die, die es sich leisten können, vereinbar. Der Gedanke an Kontingente, d.h. einer Demokratisierung (Jeder hat eine Stimme, jeder darf mal dran) wird fälschlich als Kommunismus abgetan. Dabei ist es da wie beim Fliegen: 5 Prozent aller Fliegenden verursachen 50 Prozent aller Emissionen. Verteuern bringt also fast nichts.



    Dann muss man halt am Fuji Eintrittskarten verlangen, Erstbesteiger haben Vorrang.