Bergmannstraße verändert sich: Es könnte radikaler werden
Drei Jahre Bürgerbeteiligung, drei Jahre Aufregung und Ärger: Bei der Begegnungszone Bergmannstraße schließt sich ein Kreis. Ein Wochenkommentar.
Erst leisten Anwohner*innen und Gewerbetreibende jahrelang Widerstand gegen die „Begegnungszone Bergmannstraße“, dann lenkt das Bezirksamt scheinbar ein – und am Ende werden selbst die utopischsten Forderungen vom Anfang des Prozesses übertroffen.
Drei Jahre Bürgerbeteiligung, drei Jahre Aufregung und Ärger, am Ende erschienen schon die temporär installierten Parklets vielen zu radikal, zu hässlich, zu anders – obwohl die schon eine abgeschwächte Form dessen waren, was das Bezirksamt ursprünglich vorsah. Insbesondere Ladenbesitzer*innen befürchteten, sie könnten ohne Autoverkehr Kundschaft verlieren. Jetzt präsentiert das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg vier Varianten, wie die Bergmannstraße in Zukunft aussehen könnte – und plötzlich steht die Option im Raum, dass die Autos noch weiter zurückgedrängt werden.
Drei der Vorschläge sehen vor, dass die Bergmannstraße fast komplett autofrei wird. Und alle wollen mehr Aufenthaltsräume und Begrünung. Das überrascht angesichts des lauten Widerstands der letzten Jahre. Was ist mit den Kritikern des Projekts passiert?
Sie haben sich offenbar in die Kommentarspalten des Beteiligungsforums mein.berlin.de verlegt. Dort befürchten die Kommentierenden, die Begegnungszone könnte zur Touristen- und Partymeile mutieren. Und ärgern sich, das sei alles zu teuer und umständlich – eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 20 Stundenkilometer und ein paar Radarfallen täten es doch auch.
Auf Ablehnung folgt Akzeptanz
Kommentare im Netz geben aber oft kein repräsentatives Meinungsbild wieder. Und immerhin sind die vier Vorschläge das Ergebnis einer Werkstatt, zu der ein Querschnitt der Straßenbewohner*innen eingeladen wurde.
Vielleicht ist das der natürliche Verlauf von Fortschritt? Auf anfängliche Ablehnung gegen alles Neue folgt Akzeptanz – und schließlich Gewohnheit. Irgendwann sind autofreie Straßen so normal, dass niemand mehr darüber nachdenkt. Das wäre ja immerhin eine erfreuliche Erkenntnis: Man muss nur lange genug warten, dann werden die Dinge besser.
Aber selbst wenn sich eine Mehrheit der Anwohner*innen zum konsequenten, radikalen Umbau durchringt: Die Bergmannstraße ist keine direkte Demokratie und bei solch großen Investitionen gilt: Das letzte Wort hat der Senat. Als nächstes präsentiert das Bezirksamt dem BVV einen Vorschlag zur Umsetzung. Dazu muss es aus dem Wunschkonzert und den unterschiedlichen Ansprüchen eine konkrete Empfehlung herausarbeiten.
Es könnte durchaus sein, dass der Senat die Finanzierung am Ende nicht bereitstellt – und der ganze Prozess von vorne losgeht. Anina Ritscher
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