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Bergmannstraße weiter in DiskussionDie Mühen der Verkehrswende

Wie die Bergmannstraße endlich zur Begegnungszone wird: Bis Ende September sind vier Vorschläge auf der Straße zu sehen.

Auch schon ausprobiert: verkehrsberuhigende Punkte auf der Bergmannstraße Foto: picture alliance/Paul Zinken/dpa

Herr Warmuth steht vor einer Stellwand an der Bergmannstraße und rätselt. „Ich muss das hier erst einmal verstehen“, sagt der Anwohner und blickt angestrengt auf eine Grafik. Die Stellwand ist Teil einer Open-Air-Galerie, in der vier Möglichkeiten präsentiert werden, wie die Bergmannstraße in Zukunft aussehen könnte.

Im vergangenen Jahr sorgte das Modellprojekt „Begegnungszone Bergmannstraße“ für Spott: Als Experiment installierte der Bezirk „Parklets“, kleine Inseln auf Parkplätzen für Fahrradständer oder Sitzgruppen, die zum Verweilen einladen sollten.

Das hat nicht richtig geklappt, findet Warmuth: „Wir Anwohner nutzen die nicht. Nur Touristen oder Partyleute. Außerdem sind sie hässlich und passen überhaupt nicht in diese Straße aus der Gründerzeit.“ Der Rentner begrüßt also, dass die provisorischen Parklets Ende des Monat abgebaut werden. Bis dahin stehen darauf die Stellwände der Open-Air-Galerie.

Seit drei Jahren tüftelt das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg an einer „Begegnungszone Bergmannstraße“ herum, unter Beteiligung der Anwohner*innen. In zwei Werkstätten haben jeweils hundert zufällig ausgewählte Anwohner*innen vier „Perspektiven“ erarbeitet, die jetzt auf den Stellwänden vor Ort vorgestellt werden. Konsens unter den vier Varianten ist: Die Bergmannstraße soll verkehrsberuhigter werden – am besten gleich ganz autofrei.

Touristen und Feierwütige

Außerdem sehen alle Vorschläge vor, dass die Straße um Begegnungsorte und Grünflächen bereichert wird und Fußgänger*innen Priorität haben. Eine Gruppe hatte konkrete Ideen für die Begegnungsorte: Ein Kräutergarten, Schaukeln oder Urban-Gardening-Projekte könnten die autofreie Straße beleben.

Die Varianten unterscheiden sich aber in einigen Punkten: Eine Variante sieht eine mittige Fahrradachse vor, eine andere möchte auf der ganzen Straße Grünflächenelemente verteilen, um den Radverkehr zu entschleunigen. Eine Version erlaubt Autoverkehr für An­wohner*innen in eine Richtung.

In einer Variante wird der ÖPNV mithilfe von absenkbaren Pollern durchgelassen, in einer anderen bleibt eine Durchfahrt quer über die Bergmannstraße offen. Seit Montag und bis 23. September können alle Nutzer*innen des Portals mein.berlin.de die vier „Perspektiven“ kommentieren. Einige fürchten, dass die Begegnungszone Touristen und Feierwütige anziehen könnte. Andere wünschen, dass die Parklets bleiben bis zur endgültigen Umgestaltung.

Vorschläge der An­woh­ner*innen

Am 20. September werden in einem „Real Labor“ alle Optionen vor Ort ausprobiert, bevor das Bezirksamt der Bezirksverordnetenversammlung ein fertiges Konzept vorlegt – inspiriert von den Vorschlägen und den Anmerkungen der An­woh­ner*innen. Und dann wird drei Jahre lang auf der Straße gar nichts passieren. In der Zeit wird die Umsetzung geplant und nach der Finanzierung gesucht.

Demokratie ist aufwendig und nicht unbedingt ziel­führend

Eine Anwohnerin

Diese ist nämlich noch nicht gesichert und abhängig von der politischen Agenda des Senats: „Wenn die Verkehrswende oben auf der Liste des Senats steht, dann steht auch die Berg­mannstraße oben“, sagte Bezirksstadtrat Florian Schmidt am Montag.

Eine Anwohnerin, die selbst an einer Werkstatt teilgenommen hat, findet: „Demokratie ist aufwendig und nicht unbedingt zielführend.“ Der Vorschlag ihrer Werkstattgruppe wurde nicht in die engere Auswahl genommen: „Wir wollten einen Wasserlauf die Straße entlang legen für die Kinder im Sommer.“ Sie begrüßt aber die Parklets, sagt sie, und habe sich selbst schon mit einem Stück Pizza hingesetzt.

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2 Kommentare

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  • Das Einrichten einer einzelnen "Begegnungszone" ist reine Symbolpolititik und hat mit der Verkehrswende nur am Rande etwas zu tun.

  • Schade,



    Man hat also Angst, dass danach zu viele Auswärtige, Touristen und Partygänger (nett für: saufende Herumhänger) dort die hübschen Flächen mit Beschlag belegen.



    Daher soll es nicht zu hübsch werden.

    Erster Eindruck: Drumherum ist es offenbar ziemlich Scheiße, aber das ist in Berlin wohl so Standard, dass sich darüber niemand mehr aufregt.

    Gefährliche These: Besser es ist überall scheußlich als irgendwo schön.

    Im Süden hat man das konsequent umgesetzt:



    In Ulm hat man in der Innenstadt alle Sitzgelegenheiten entfernt, weil sich nach Meinung der Stadtoberen und/oder des Citymarketings dort die falschen Leute hingesetzt haben.

    Also Berliner: Haltet durch, und schaut hin, ob wer gegen Sitzgelegenheiten wettert, nicht aus Schwaben kommt. :-)