Bergfriedhof in Heidelberg: Grab mit Aussicht
Der Friedhof auf dem ehemaligen Weinberg ist einer der schönsten Kirchhöfe Deutschlands. Schon von Weitem fällt die terrassenförmige Anlage auf.
In Prä-Corona-Zeiten konnte ein Besuch der Heidelberger Altstadt ganz schön anstrengend sein. Horden von Touristen schlängelten sich durch die engen Gassen, fluteten die ungezählten Andenkenläden mit extrem hohem Kitschfaktor oder gerieten bei dem Anblick des romantischen Heidelberger Schlosses fast in Ekstase. Sie stürmten zielstrebig die Restaurants und besetzten zuverlässig jeden touristischen Hotspot, den man sich selbst gern einmal in Ruhe angeschaut hätte.
Doch es war aussichtslos. Und so nahm der leicht apathische Besucher auf der Suche nach ein wenig Stille die Straßenbahn in Richtung West-/Südstadt und erreichte nach kurzer Fahrt den heute größten Friedhof der Stadt, der zugleich auch einer der schönsten Kirchhöfe Deutschlands ist. Und daran wird sich auch nach der Coronapandemie nichts ändern.
Der Heidelberger Bergfriedhof wurde am 18. September 1844 als „Neuer Friedhof an der Steige“ eingeweiht. Geplant hatte ihn der großherzogliche Garteninspektor Johann Metzger, und dabei war sein Anliegen vor allem, dass die Menschen den Gang zum Friedhof nicht mehr wie der Teufel das Weihwasser scheuen sollten, weil er im Denken der Menschen eigentlich kaum existierte, es sei denn, es war tatsächlich jemand gestorben. So ganz neu war diese Idee jedoch nicht, einen Friedhof in einen anderen Kontext als den der reinen Trauer und Verzweiflung zu setzen.
Der Gartenarchitekt Christian Hirschfeld regte zum Beispiel bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in seiner romantischen „Theorie der Gartenkunst“ an, dass der Friedhof ein „melancholischer Garten“ sein sollte, der „das Herz in eine Bewegung von mitleidigen, zärtlichen und sanft melancholischen Gefühlen“ versetzen solle. Caspar David Friedrich setzte diese Idee schließlich auch mit seinen Friedhofsgemälden visuell um, das jedoch eher bleischwer und gerne mit sehr viel Schnee.
Erinnern
Für die Jahre 2020 und 2021 steht der bundesweit stattfindende Tag des Friedhofs unter dem Motto „Natürlich erinnern“. Der Tag des Friedhofs wurde auf Initiative der Friedhofsgärtner ins Leben gerufen. Er findet in der Regel jährlich am dritten Wochenende im September statt, in diesem Jahr am 20. September
Arlington
Öffnungszeiten: Normalerweise April bis September: 8–19 Uhr; Oktober bis März: 8–17 Uhr. arlingtoncemetery.mil
Heidelberg
Der Heidelberger Bergfriedhof ist eine Oase der Ruhe und bietet durch das mehr als 20 Kilometer lange Wegenetz viele Möglichkeiten für ausgiebige Spaziergänge. Viele berühmte Persönlichkeiten haben auf dem Heidelberger Bergfriedhof an der Rohrbacher Straße ihre letzte Ruhestätte gefunden. In regelmäßigen Abständen lädt das Landschafts- und Forstamt der Stadt Heidelberg zu geführten Spaziergängen über den Bergfriedhof ein. Weitere Informationen unter: www.heidelberg.de/friedhof
Ein freiwilliger Gang, ob nun mit oder ohne Melancholie, war letzten Endes also das Anliegen von Metzgers Friedhofsplanung. Dafür nutzte er geschickt die extrem idyllische Lage mit seiner omnipräsenten und ausufernden Natur, die so beruhigend sein sollte, dass sie die Trauer über die Verstorbenen in den Hintergrund rückte, ohne sie dabei ganz zu vergessen.
Verschlungenen Wege
Schon von Weitem fällt die terrassenförmig angelegte Anordnung des Friedhofs auf, was kein Wunder ist, denn der Berg war tatsächlich einmal ein Weinberg mit einer der schönsten Aussichten. Metzger behielt bei seiner Planung die ursprüngliche Terrassierung bei und die Beerdigungen erfolgten zunächst am Hang. Als dann später der Platz knapp wurde, erweiterte er den Friedhof um neue Serpentinenwege und Terrassen. Einsame Ruhebänke, auf denen man verweilen konnte, ließen den Ort noch verwunschener erscheinen, die Begrünung, die bis heute den Plänen Metzgers folgt, verleiht dem Ort einen Parkcharakter, bei dem die verschlungenen Wege auf den Geländeterrassen von einer äußerst üppigen Vegetation komplettiert werden.
Und auch Tiere werden gelegentlich gesichtet: Fledermäuse, Dachse, Siebenschläfer et cetera scheinen sich hier wohl zu fühlen. Sogar Rehe oder das ein oder andere Wildschwein begehrten in der Vergangenheit verbotenerweise Einlass, was auch nicht immer durch den Friedhofszaun verhindert werden konnte, der dann kurzerhand schon mal niedergemäht wurde. So ein gemeines Wildschwein hätte jedoch viel zu tun, wenn es den Friedhof auf der Suche nach einem Schlupfloch im Zaun umrunden würde, weil der Friedhof inklusive Serpentinen und den mehr als 18 Terrassen eine Gesamtfläche von fast 15 Hektar mit einem Gesamtwegenetz von 23 Kilometern hat.
„Einige Friedhöfe stehen unter Denkmalschutz und stellen touristische Attraktionen dar, wie etwa Friedhöfe, auf denen berühmte Persönlichkeiten beerdigt wurden. Städtische, stark begrünte Friedhöfe übernehmen neben Parkanlagen wichtige klimatische und ökologische Funktionen“, heißt es im Internet im Begleittext zum diesjährigen „Tag des Friedhofs“, der seit 2001 deutschlandweit stattfindet und vom Bund Deutscher Friedhofsgärtner (BDF) ins Leben gerufen wurde.
Noch vor circa 25 Jahren wurde man als kulturinteressierte Friedhofsgängerin als potenzielle Grabräuberin misstrauisch beäugt, wenn man ein Grab mit einem Fotoapparat bewaffnet mehrmals umrundete. Verpönt war lange auch noch die Aussicht auf eine Feuerbestattung, und erst Ende des 19. Jahrhunderts wurden in Deutschland die ersten Krematorien erbaut, was bei Weitem nicht überall auf Zustimmung stieß. Nach Gotha, wo 1878 die erste Feuerhalle überhaupt erbaut worden war, ist das 1891 in Betrieb genommene Heidelberger Krematorium das zweitälteste Deutschlands.
Der Besucher kann den Bergfriedhof auf insgesamt vier thematisch nicht geordneten Rundwegen erkunden, auf denen man zu zahlreichen Grabstätten bedeutender Persönlichkeiten der Stadt geleitet wird. Viele namhafte Wissenschaftler der Universität Heidelberg fanden hier ihre letzte Ruhe, so zum Beispiel der Erfinder des Bunsenbrenners, Robert Bunsen. Der Soziologe und Nationalökonom Max Weber liegt hier begraben, die Dichterin Hilde Domin, der Dirigent und Komponist Wilhelm Furtwängler, die Liste der Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kunst und Kultur ließe sich noch lange fortführen. Eingekeilt zwischen dem Krebsforscher Vincenz Czerny und dem Mundartdichter Gottfried Nadler findet man auf dem Rundweg I eine Gedenkstätte für Aids-Opfer, was auf einem Friedhof nicht unbedingt selbstverständlich ist.
Auf das bekannteste Grab, das eine Station des III. Rundwegs ist, macht schließlich ein nicht zu übersehendes Hinweisschild aufmerksam, das den Weg zum Grab von Friedrich Ebert weist. Die Grabstätte ist zwar von der Größe her repräsentativ, aber dennoch schnörkellos gehalten. Sechs große Stufen muss man erklimmen, um das Podest mit dem monumentalen Altarstein aus Muschelkalk zu erreichen, auf dem „Des Volkes Wohl ist meine Arbeit“ unter dem Namen des einstigen sozialdemokratischen Reichspräsidenten geschrieben steht. Flankiert wird der Stein noch von zwei seltsam verfremdeten Adlern, über die ein Hochkreuz mit dem gekreuzigten Jesus wacht.
Eine mit Efeu umrankte Bodenplatte verrät dann etwas mehr über Friedrich Ebert, der am 28. Februar 1925 kurz vor seinem 54. Geburtstag nach einer Amtszeit von sechs Jahren von einer verschleppten Blinddarmentzündung dahingerafft wurde. Der Parteivorsitzende der SPD und Nachfolger des letzten Reichskanzlers der Kaiserzeit wurde nach der Überführung in seine Heimatstadt am 5. März 1925 beerdigt.
Ein Bauwerk für die verstorbene Gattin
In der Nähe des Ausgangs am Oberen Gaisbergweg fällt der Blick auf einen großen antiken Tempel, der die Ebert-Grabstätte an Monumentalität locker übertrumpft. Der Bierbrauer Philipp Bartolomae hatte in Amerika sein Glück gesucht und gefunden und war als reicher Mann zurückgekehrt, der 1898 den Weinheimer Architekten Otto Hasslinger damit beauftragte, das imposante Bauwerk für seine verstorbene Frau Sophie zu entwerfen, und zwar mit der Devise: Nicht kleckern, sondern klotzen.
Metzger muss sich nicht im Grab umdrehen, er hat alles richtig gemacht. Seine Vision von einer eigentlich sehr modernen Friedhofsplanung zieht sich wie ein roter Faden bis in die Neuzeit durch: Im Jahr 2018 wurde auf dem Bergfriedhof ein vom Städtischen Landschafts- und Forstamt in Zusammenarbeit mit der Genossenschaft Badischer Friedhofsgärtner geplanter „Erinnerungsgarten der Kulturen“ eröffnet. Auf diesem Gemeinschaftsgrabfeld ruhen nun Menschen aus unterschiedlichen Ländern, Kulturen oder Religionen, was dem unkonventionellen Metzger mit Sicherheit gefallen hätte.
Und auch der 1876 eröffnete Jüdische Friedhof ist nicht, wie so oft, von den christlichen Friedhöfen separiert. Zwar Eigentum der Jüdischen Kultusgemeinde, ist er heute ebenfalls Teil des Bergfriedhofs und über den Eingang Rohrbacher Straße zu erreichen. Unschwer weist ein schmiedeeiserner Davidstern, der in das Eingangstor eingearbeitet wurde, den Weg. Unweit vom Eingang fällt gleich ein großer Grabstein auf, der von einem überdimensionierten Palmwedel dominiert wird, der zudem noch vergoldet ist und so einen schönen Kontrast zum schwarzen Stein bildet. „Gut und edel war sein Thun und Streben. Und so wird sein Bild stets bei uns leben“, liest man darauf über den 1890 verstorbenen Fabrikanten Albert Reis. Gleich dahinter befindet sich dann ein Grab aus der Neuzeit einer 2010 verstorbenen jüdischen Frau. Alt und Neu, Vergangenheit und Gegenwart sind hier zusammengefügt und in die außergewöhnliche Hanglage integriert worden.
Friedrich Ebert und der Bierbrauer und all die anderen Menschen auch unterschiedlicher Konfessionen, die im Laufe der Jahre hier bestattet wurden, haben eins gemeinsam: ein Grab mit Aussicht. Da könnte man fast ein wenig neidisch werden. Wenn es denn einmal so weit ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid