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Beppe Grillo über Europa„Der Finanzsektor tötet“

Europa ist gescheitert, weil es den Bankiers die Politik überlassen hat, sagt Beppe Grillo, Chef der italienischen 5-Sterne-Bewegung.

„Die Stacheldrahtproduzenten gehören zu denjenigen, die in Europa die besten Umsätze machen“: Beppe Grillo. Foto: ap
Michael Braun
Interview von Michael Braun

taz: Beppe Grillo, zuerst machten Sie eine Karriere als Komiker, dann gründeten Sie mit dem Movimento 5 Stelle (5-Sterne-Bewegung) eine Protestliste, die bei den nationalen Wahlen 2013 aus dem Stand 25 Prozent der Stimmen gewann. Ihre „Fünf Sterne“ sind populär, weil sie sich an den Zuständen sowohl in Italien als auch in Europa stoßen. Beginnen wir bei Europa – was passt Ihnen daran nicht?

Beppe Grillo: Europa ist heute eine Idee, an die nicht einmal mehr diejenigen glauben, die Teil der europäischen Maschinerie sind. Europa sollte doch eigentlich dafür da sein, seine Bürger zu schützen, doch es schließt Abkommen wie zum Beispiel das Freihandelsabkommen TTIP, und dahinter steckt immer der alte Gedanke des Wachstums, des im Bruttoinlandsprodukt gemessenen materiellen Wohlstands.

Was denken Sie, wird dieses Europa scheitern?

Es ist schon gescheitert. 250 Millionen Bürger gehen nicht mehr zur Wahl. Unser Kontinent ist ein wunderbares Mosaik, wir sprechen viele verschiedene Sprachen. Zugleich aber haben wir eine gemeinsame Währung – die allerdings richtet große Schäden an. Hinzu kommt, dass niemand diejenigen gewählt hat, die in der Europäischen Union entscheiden. Was am Ende zählt, ist „der Markt“, der in alle Lebensbereiche vordringt. Und alles muss in Beziehung stehen zum Wachstum der monetär zu messenden Transaktionen.

Neben dem Markt sehen wir doch aber auch die Politik, die Europa zu lenken sucht.

Wir haben eine alte politische Klasse, die sich mit alten Geschichten befasst, mit dem BIP-Wachstum oder damit, die Produktion aufzublasen. Äußerst wenige Politiker nehmen überhaupt wahr, dass ein epochaler Wandel im Gang ist, der sich an der Schnittstelle zwischen der Industrie und der Wissensproduktion abspielt. Die Währung der Zukunft sind die Bits der Information, der Information vor allem über dein Leben. Jede Information über dein Leben gelangt sofort in ein Database – und wird vorneweg gegen dich verwendet.

Immer wieder bekommen Sie auch den Vorwurf zu hören, Sie seien antideutsch.

Vorneweg habe ich Deutschland sehr viel zu verdanken. Mein ökologisches Denken wurde ganz stark durch das Wuppertal-Institut beeinflusst, und schon vor 20 Jahren lernte ich in Deutschland das Konzept der Passivhäuser kennen. Auf der anderen Seite steht allerdings ein Deutschland, das von einer panischen Angst vor der Inflation beherrscht ist, und diese extreme Angst um den Wohlstand der Deutschen hinterlässt Opfer in Europa. Ganze Nationen verschwinden; in Griechenland sind wir wieder in der gleichen Situation wie vor einigen Jahren, sehen wir Bürger, die sich mit der Polizei prügeln.

Innerhalb dieses Systems gibt es keine Lösung. Wir müssen über einen Plan B nachdenken

Und das liegt am „deutschen Europa“?

Das liegt daran, dass wir Bankiers haben, die Politik treiben, während die Politik selbst abgedankt hat. Thomas Picketty braucht 1.000 Seiten, um am Ende Marx Recht zu geben, um uns zu erklären, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufgeht. Und es gibt nur zwei Wege, um sie wieder zu schließen: entweder eine hohe und progressive Vermögensteuer – oder einen Krieg, der den akkumulierten Reichtum vernichtet. An diesem Punkt sind wir angelangt! Innerhalb dieses Systems gibt es keine Lösung. Wir müssen also über einen Plan B nachdenken, für die Wirtschaft, für den Finanzsektor, für Europa.

Wenn Frau Merkel Sie um Rat fragen würde, was sie anders machen muss – was würden Sie antworten?

Sie kann doch gar nicht den Kurs wechseln. Sie hat sich selbst geschaffen genau für diesen infernalischen Mechanismus, der die Deutschen in diesem System hält. Die Deutschen haben sehr viele positive Eigenschaften, aber da ist auch die andere Seite. Ein Deutscher, der auswärts unterwegs ist, hat immer einen Stadtplan dabei. Aber der Deutsche folgt dem Plan vor allem, um zu kontrollieren, ob die Karte auch stimmt, und nicht, um an einem bestimmten Ziel anzukommen.

Reden wir über Italien. Das Land hat sich vom Wachstum verabschiedet – aber eher ungewollt und in eher unglücklicher Weise.

Allein für den Zinsdienst auf die Staatsschulden gehen jährlich 80 bis 90 Milliarden Euro drauf. Da hat die Wirtschaft eigentlich keinen Sinn mehr. Wenn du in den 1.000 Kilometer entfernt entschiedenen Parametern bleiben willst, kannst du nicht mehr investieren, sondern nur noch schneiden und kürzen, während eigentlich das Gegenteil notwendig wäre.

Im Interview: Beppe Grillo

ist italienischer Politiker, Kabarettist und Schauspieler. Seine Bewegung Movimento 5 Stelle (deutsch: 5-Sterne-Bewegung) konnte bei den Parlaments­wahlen 2013 sowohl für die Abgeordnetenkammer als auch für den Senat die zweitmeisten Wählerstimmen auf sich vereinigen.

Es ist ja nicht so, dass Italien in den vergangenen Jahrzehnten nicht investiert hätte …

Gewiss, wir haben in Beton investiert, in große Infrastrukturprojekte, und haben dabei die kleinen Projekte vernachlässigt. Wir müssen jetzt radikal umdenken – allein schon, weil 50 Prozent der heutigen Jobs in 10 Jahren nicht mehr existieren werden.

Umdenken wie?

Vorneweg wollen wir die Debatte über ein universelles, bedingungsloses Grundeinkommen eröffnen. Der Arbeitsplatz dient dazu, gerade die jungen Leute zu erpressen, du musst jede Arbeit annehmen und endest als frustrierter Mensch. Genau besehen entscheidet das Einkommen, nicht die Arbeit, darüber, ob du aus der Gesellschaft ausgeschlossen bist oder nicht. Wenn du drin bist, kannst du dann frei entscheiden, welcher Arbeit du nachgehen willst.

Dem M5S wurde immer wieder vorgeworfen, es habe keine eindeutige Position in der Flüchtlingskrise – auch um von rechts kommende Wähler nicht zu verprellen.

Die Rechte verlangt den Zuwanderungsstopp, die Linke will die Immigranten reinlassen. Wir stellen uns in die Mitte, wir sagen, dass man hier nicht wie im Fußball als blinder Fan einer Mannschaft agieren sollte, dass man weder gut sein noch das Arschloch abgeben sollte. Natürlich brauchen wir Kontrollen, die Personen, die kein Bleiberecht haben, müssen wieder zurückgeschafft werden. Zugleich gilt auch, dass wir Libyen nicht bombardieren können und dann die Leute ertrinken lassen, die von dort zu uns kommen. Heute geht der Trend aber in die Richtung, dass die Stacheldrahtproduzenten zu denjenigen gehören, die in Europa die besten Umsätze machen. Überall wird dicht gemacht.

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5 Kommentare

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  • Der Mann hat Recht.

  • Die "Antworten" von dem Komikerpolitiker haben zwar auch als inkohärentes Kuddel-Muddel-Allerlei einen Informationswert . Jedenfalls aber auch den , dass der Taz-Korrespondent sich als bloßer Stichwortgeber für die Ablassung von Textbausteinen eines versierten Wahlkämpfers hergegeben hat .

  • Philosophisch und markttheoretisch kann ich alle Stichworte unterschreiben.

     

    Was folgt aus diesen Stichworten bzw. Sammelsurium konkret. Nix! ....

    und genau das ist das Problem!

    Ein Dilemma der aufgeregten Rechten und Linken über das "verkommene" System.

  • es gibt nur zwei Wege, um sie wieder zu schließen: entweder eine hohe und progressive Vermögensteuer – oder einen Krieg, der den akkumulierten Reichtum vernichtet. An diesem Punkt sind wir angelangt! Innerhalb dieses Systems gibt es keine Lösung.

     

    Leider wohl war!

     

    Grillo macht einen sehr überlegten, fundierten Eindruck, sehr gut. Bisher hielt ich ihn für einen Hitzkopf, Phrasendrescher.

  • Man sollte also nicht gut sein? Interessant. Das erklärt auch, warum sich 5Stelle bei der Abschaffung von Diskriminierung so ziert. Man will sozusagen das italienische Pegida-Potenzial mitnehmen. Im Gegensatz zu Europa kann das nur scheitern,